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Wohnungsnoth angezeigt sei. — Abg. Albrecht und Genossen (Soz.) endlich beantragen, baldige Vorlegung eines Gesetzentwurfes zur Regelung des Wohnungs wesens, insbesondere soll der Gesetzentwurf Bestimm ungen enthalten bezüglich der Beschaffenheit der Wohn ungen, der Durchführung der Wohnungsinspektion, so wie betreffs der Beschaffung eines Reichswohnungsamtes. — Abg. Hieber (nat.-lib.) befürwortet seine Resolution. Die Wohnungsnoth sei zu einer der schlimmsten sozialen Kalamitäten geworden, am meisten litten darunter die kleinen Leute. Er denke sich die Sache so, daß eine Reichswohnungskommission einzusetzen sei, daneben aber auch eine einzelstaatliche Centralkommission. Von wesent licher Bedeutung sei auch die Kredilfrage. Redner be tont schließlich noch, daß er und seine Freunde selbst verständlich nicht an Beschränkung der Freizügigkeit denken. — Abg Schmidt-Frankfurt a. M. (Soz.) legt das Hauptgewicht auf die Wohnungsinspektion. Das Hauptübel bestehe nicht so sehr in dem Wohnungs mangel, als in der Unzulänglichkeit der Wohnungen. Es gelte das nicht nur für die großen Städte, sondern ebenso sehr für die kleinen Orte und für die ländlichen Wohnungen des Ostens. Um der Wohnungsnoth ab zuhelfen, müsse gesetzlich mindestens bestimmt werden, daß die Gemeinden im Falle von Straßendurchlegungen und dabei eintretender Riederlegung von Wohnhäusern für Ersatz sorgen müssen. Auf Bauten durch Unter nehmer für die Arbeiter legten seine Freunde kein Ge wicht, da die gleichzeitige Kündigung der Wohnungen mit der Beschäftigung für den Arbeiter immer ein Uebelstand sei. — Abg. Schrader (freis. Ver.) erklärt die Anträge der Nationalliberalen und Sozialdemokraten für zuweitgehend. Seine Resolution entspreche dem in voriger Session angenommenen Antrag, auf den die Regierung leider noch nicht geantwortet habe. Eine Ausdehnung der Enquete auf die lokalen Verhältnisse sei überflüssig, darüber wüßten wir bereits genug. — Staatssekretär Graf Posadowsky verliest folgende Er klärung: Der Reichskanzler erkennt au, daß auf dein Gebiete des Wohnungswesens Mißstände bestehen, be sonders in den Jndustriecentren, welche nur auf gesetz licher Grundlage beseitigt werden können und müssen. Abhilfe ist aber nur zu suchen auf dein Gebiete der Kommunialverwaltung, des Steuerwesens und der polizei lichen Befugnisse. Solche Maßnahmen werden aber nur getroffen werden können von den Einzelstaaten. Der Herr Reichskanzler ist der Ansicht, daß die Frage staatsrechtlich und administrativ nur in den Einzelstaaten gelöst werden kann. Auf diesem Standpunkt stehe auch die preußische Regierung, welche fest entschlossen ist, die bessernde Hand anzulegen und welche ja auch schon, wie sie es in der Thronrede angekündigt hat, eine Ge setzesvorlage geschaffen hat. Das Reich erblickt seine Aufgaben auf dem Gebiete des Wohnungswesens nur darin, daß es für seine eigenen Angestellten so weit möglich zweckentsprechende preiswürdige Wohnungen herstellt. Entsprechende Ausgaben enthält der Etat be reits. Sobald die finanziellen Verhältnisse es ge statten, und sobald weitere Erfahrungen darüber ge sammelt sind, soll diese Aufgabe in Zukunft noch auf breiterer Grundlage behandelt werden. Das Reichs- Gesundheitsamt wird außerdem, soweit es den Einzel- staateu erwünscht erscheint, berathend und unterstützend eingreifen. Eine besondere Abtheilung des Reichs-Ge sundheitsamts wird zu diesem Behufs berathen und Vorschläge machen. Abg. Dr. Jäger (Centr.): Nicht auf polizeilichem, sondern auf dem Wege der Selbst hilfe lind des gemeinschaftlichen Zusammenschlusses müsse man vorgehen. Ein Mangel sei nur an kleinen Wohn ungen vorhanden, daher dürften sich jedenfalls mehrere Familien zusammen schließen. Im klebrigen müsse für Private die Vereinsthätigkeit ergänzend eintreten. — Abg. v. Richthofen (kons.) erklärt, daß seine Freunde von der Erklärung des Staatssekretärs vollkommen be friedigt seien; sie ständen im Wesentlichen auf dem Standpunkt, daß die Arbeitgeber die Fürsorge für ihre Arbeiter durch Bau von Ärbeilerwohnungen über nehmen müßten. Auf dem Laude sei auch in diesem Punkte schon mehr als in den Städten geschehen, ob gleich die Arbeiterwohnungen im Allgemeinen schlechter seien als auf dem Lande. — Abg. Dr. Stockmann (Neichsp.) stellt gleichfalls fest, daß man in den Groß städten weit weniger geneigt sei, der Wohnungsnoth abzuhelfen, als dies auf dem Lande der Fall sei. In erster Linie sei es Sache der Kommunen da zu Helsen, insbesondere durch kommunalen Terrainerwerb. Ferner müsse durch sanitäre Vorschriften dem Bewohnen unge eigneter Wohnungen entgegen gewirkt werden. Gegen die vorliegenden Anträge hätten seine Freunde das Hauptbcdenken, daß das Reich auf diesem Gebiete nicht zuständig sei. — Abg. Stolle (Soz.) hält das Reich sür durchaus kompetent, Normativbestimmungen auf dem Gebiete des Wohnwesens zu erlassen. — Abg. Hilbert (Bund der Landw.) und Abg. Schrempf (kons.) sehen die Wurzel des Uebels in der Landflucht der Arbeiter. Die ganze Wohnungsfrage sei daher auch nur eiue Frage der großen Städte, und es sei daher auch nur Sache der Kommunen, sich des Uebels zu er wehren. Diese hätten ja auch das Geld dazu, insonder heit Berlin. Um eine Sache des Reiches handelt es sich hier nicht, sondern nur um eine Geldfrage der Kommunen. Da mit ist die Debatte beendet. Ehe den Antragstellern das übliche Schlußwort gegeben wird, erfolgt Vertagung. — In der heutigen Sitzung des Reichstags ertheilte vor Eintritt in die Tagesordnung der Präsident das Wort dem Reichskanzler Grafen Bülow zu folgenden Ausführungen: Meine Herren. Nach 63jähriger Regie» rung ist Ihre Majestät die Königin von England im 83. Lebensjahre zur ewigen Ruhe eingegangen. Während der langen Regierungszeit ist Königin Viktoria immer bestrebt gewesen, ein friedliches und freundliches Ver- hältniß zwischen Deutschland und England zu pflegen. Nicht nur die nahen verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen unserem Kaiserhaus und dem englischen Königs. Hause, sondern auch die mannigfachen wirthschaftlichen, politische» und kulturellen Jnteresien, welche Deutschland und England verbinden, laßen uns aufrichtig Antheil nehmen an der Trauer de» britischen Volke« um seine ehrwürdige Herrscherin. Ich bin gewiß, den Empfin dungen des hohen Hauses zu begegnen, wenn ich dieser Ihrer Theilnahme hier Ausdruck verleihe. — Präsident Graf Ballestrem: Im Anschluß an die Trauerbotschaft, welche uns soeben der Herr Reichskanzler mitgetheilt hat, nehmen auch wir vollen Antheil an dieser tief er- schültcruden Tcauerkunde. Ich konstatire, daß der Reicks, lag das Gedächtniß der verstorbenen erhabenen Fürstin stet« in hohen Ehren halten wird und an der Trauer herzlichen Antheil nimmt. Ich bitte, mich zu ermächtigen, diese Kundgebung Sr. Majestät dem Kaiser und Ihrer Majestät der Kaiserin Friedrich Namens des Reichstags uuszusprechen. Berlin, 23. Januar. Das „Armeeverordnungs blatt" veröffentlicht einen Armeebefehl des Kaisers, der aus Osborne datirl ist, der Trauer über das Hin scheiden der Königin Viktoria Ausdruck giebt und be stimmt, daß sämmtliche Officiere der Armee 14 Tage lang und diejenigen des 1. Garderegiments, deren Chef die Königin war, 3 Wochen lang Trauer an legen. Berlin, 23. Januar. Die „Nordd. Allgem. Ztg." veröffentlicht aus Anlaß des Ablebens der Königin Viktoria an leitender Stelle folgenden Artikel: Mit Ihrer Majestät der Königin Viktoria scheidet aus dem Kreise der europäischen Staatsoberhäupter eine Herrscherin, die länger als zwei Menschenalter über den Geschicken des britischen Reiches gewaltet hat. Neben der staatsklugen Ausübung ihrer verfassungs mäßigen Rechte in dem Vereinigten Königreiche und dessen Kolonien besaß die verewigte Monarchin dank ihrer gleichsam schon geschichtlich gewordenen Persön lichkeit, ihrer politischen Begabung, ihrer reichen Lebens erfahrung und nicht zuletzt ihren vielfachen verwandt schaftlichen Beziehungen zu fast allen regierenden Häusern eine Stellung, wie sie vor ihr keiner Königin von England zu theil geworden war. Nicht zum wenigsten ihren persönlichen Eigenschaften verdankte es Königin Viktoria, daß sie bei der sechzigjährigen Jubel feier ihrer Thronbesteigung am 20. Juni 1897, wie zu ihrem achtzigjährigen Geburtstage am 24. Mai 1899 von ihren Völkern gefeiert und von den Sympa thien des nichtbriüschen Auslandes begrüßt wurde. Auch heute wenden sich unsere Gedanken theilnahms- voll dem Königlichen Hause und dem Volk von Eng land zu. Se. Majestät der Kaiser und König brachte Seiner erlauchten Großmutter herzliche Zuneigung ent gegen, und bei manchem Leid, das der vielgeprüften Königlichen Frau in den letzten Jahren b-schieden war, empfing sie Beweise der ritterlichen und pietätvollen Anhänglichkeit ihres ältesten Enkels. Auch jetzt ist Se. Majestät der Kaiser auf die Nachricht von der letzten schweren Erkrankung der Königin sofort nach Osborne geeilt, zugleich als Vertreter Seiner hohen Mutter, der Kaiserin und Königin Friedrich, die sich in ernsten körperlichen Leiden nun noch von so schmerz licher Trauer betroffen sieht! Wenn in den politischen Beziehungen des Reiches zu England nach vorüberge gangenen Trübungen immer wieder das Maß von gegenseitiger Rücksicht und von Vertrauen hergestellt werden konnte, das zwei Kulurvölker mit vielfach ver flochtenen werthvollen Beziehungen in ihrem amtlichen Verkehr schwer entbehren würden, so wird es der entschlafenen weisen Fürstin auch vor der Geschichte unvergeffeu bleiben, daß ihr Einfluß die auf Erhaltung von Friede und Freundschaft gerichteten Anstrengungen öfters erleichtert, niemals durchkreuzt hat. Im Ge dächtniß ihrer Völker ist der Königin Viktoria ein Ehrenplatz gesichert unter Englands bedeutendsten Herrschern. — Die Ueberfahrt des Kaisers von Vlissingen uack England an Bord de« Dampfers „Engelland" von der Zeeland Con pagnie ist sehr stürmisch gewesen. Sie dauerte 7 Stunden. Während der Fahrt blieb der Kaiser fast ununterbrochen auf Deck; er kam ohne jeden Anfall von Seekrankheit davon, und sprach sich wieder holt mit Begeisterung über den gewaltigen Eindruck aus, den das Stürmen und Brausen der See mit ihren mächtigen Wellenbergen auf ihn gemacht habe. — Wie Graf Walderiee einem Engländer eine Lection über den Anstand ertheilte. Man schreibt den „M. Reuest. Nackr." aus Peking unterm 3. Dez.: Spazierte da neulich der Vertreter von Reuters Bureau in Peking in den inneren Hof des Winterpalastes, also den Theil, den der Fcldmarschall bewohnt, hinein und collidirte in dem schmalen Portal mit dem Grafen, der seinen draußen harrenden Wagen besteigen wollte. Ohne sich stören zu lassen, ohne zu grüßen und ohne sich zu entschuldigen, wollte der stolze Brite gemächlich seinen Weg kortsetzen. Da drehte sich Graf Waldersee entrüstet um und rief dem Correspondenten ein frisch-fröhliches „Guten Morgen, Sie Flegel!" zu. Dieser Gruß verfing trotzdem nicht, bis dem Herrn in kräftigen, gut englischen Worten be deutet wurde, daß es unter weißen Leuten allgemein üblich sei, beim Betreten eines Hauses den Hausherrn zu grüßen, nicht aber ihn über den Haufen zu rennen. — Dies Beispiel IPricht für sich, steht aber leider nicht einzig in seiner Art da. Daß bei diesem Benehmen der Herren der englischen Presse dem Feldmarschall die Lust vergeht, sich „interviewen" zu lassen, liegt wohl klar auf der Hand. — Die Gesandten in Peking traten am Dienstag zusammen und beschlossen, auf die geforderten Aufklär ungen über die letzte Note erst dann zu antworten, wenn die Chinesen durch ihre Maßnahmen und Beschlüße den Beweis geliefert haben winden, daß sie den angenommenen Bedingungen entsprechend Genugthuung leisten wollen. Der erste Punkt der Genugthuung betrifft die Bestrafungen. Die Gesandten haben diese Frage berathen, soweit sie sich auf die Hauptschuldigen bezieht, und sich Vorbehalten, mit dem Prinzen Tsching und mit Li-Hung-Tschang über die Ärdingungen zu berathen, unter denen dieser Be schluß ausgkführt werden soll. — Aus dem chinesischen Kriegsschauplätze ist zur Zeit fast völlige Ruhe einge treten. — Ein Artillerist vom ostasiatischen Expeditionscorps, Ker zur Verbüßung einer Gefängnißstraße aus China nach Deutschland lransportirt wurde, passirle mi einem Neberführungecommando den Bahnhof zu Hannover. Der Mann hatte infolge einer Liebelei eine Chinesin erschoßen und einen Kameraden schwer verletzt. Das Kriegsgericht verurlheilte ihn zu einer Gefängnißstrafe von zehn Jahren Er wurde von einem Unteroffizier und zwei Marinesoldaten nach Butzbach lransportirt, um im dortigen Gefängniß die Strase zu verbüßen, da er glrichzeitig aus dem Heere ausgestoßen wurde. — Auch in den jüngsten Tagen hat die Afrikander- Erhebung zur Unterstützüng der eingedrungen Buren sich gleich der vorwärtseilenden Flamme einer planmäßig gelegten Zündschnur immer weiter auSgebreitct. Wenn der amtliche englische Telegraph über die südafrikanischen Ereignisse heute fast vollständig schweigt, so können wir wohl annehmen, daß das Cabinett die durch den Tod der Königin hervorgerufene Trauerstimmung des Volkes nicht noch durch Meldungen trüben will, die nach der ganzen Lage auf dem Kriegsschauplätze unmöglich er freulich klingen können. Aus Capstadt wird unterm 23. Januar berichtet: 200 Buren zogen am 18. d M. in Van-RhynS-Dorp ein; außerhalb der Slaot soll noch eine starke Streitmacht stehen. Die Bure» sollen auch Oudtshvven bedroht und die Stadtgarde zur Uebergabe ausgefordert hqben. Ein Buren-Commando ist vor Uniondale eingetroffen, nur sieben deutsche Meilen vom Indischen Ocean entfernt; man glaubt, daß die Küste das Ziel ist. Auch in Namaqaland konzenlriren sich die Buren, wahrscheinlich, um die Kupferbergwerke und die Niederlassungen daselbst anzugreifen. Englische Truppen sind dorthin gesandt worden. — Ein englischer Sergeant, der von den Buren gefangen war, aber entkommen ist, erzählt, daß Kcitzingers Commando in oier Schwadronen getheilt mar, und daß Colonial-Rebellen dabei waren, eine fünfte zu bilden; die Letzteren seien wohlerzogene Leute, ganz ungleich den typischen Buren. Nahrung und Munition führen die Eingefallenen nicht mit sich, sondern verlaßen sich auf die holländischen Farmen, in denen sie herzlich ausgenommen werden. Viele einfluß reiche Farmer haben ihre Beamte» veranlaßt, sich den Buren anzuschließen. England. — Der König Eduard VII. won England, das zweite Kind und der älteste Sohn der soeben ver storbenen Königin, ist geboren am 9. Nov. 1841 im Buckinghampalast zu London. Zuerst durch Privat lehrer unter Oberleitung seines Vaters, des Prinzen Albert, erzogen, studierte er in Edinburgh, Oxford und Cambridge, bereiste 1860 Nordamerika und 1861 bis 62 den Orient. 1863 trat er ins Oberhaus. 1875 bis 76 besuchte er Ostindien und war 1878 Vorsitzen der englischen Kommission für die Pariser Ausstellung. 1883 erhielt er, zum Chef der Blücher-Husaren ernannt, den Rang eines preußischen Generalfeldmarschalls. Peinliches Aufsehen erregte 1891 seine Verwicklung in einen Prozeß, nach dessen Ausgang der ihm befreundete Oberst Gordon-Cumming wegen falschen Spiels aus den Listen der englischen Armee gestrichen wurde. Man gab dem Prinzen schuld, daß er dem Spiel und anderen Leidenschaften allzusehr ergeben sei. Albert Eduard ist vermählt seit 10. März 1863 mit Alexan dra (geb. 1. Dez. 1844), Tochter Christians IX. von Dänemark. Seine Kinder sind: Albert Viktor, Herzog von Clarence (ff 1892), Georg, Herzog von Hork, präsumtiver Thronfolger; Luise (geb. 20. Febr. 1867, seit 1889 vermählt mit dein Herzog von Fife), Viktoria (geb. 6. Juli 1868), Maud (geb. 26. Nov. 1869, seit 22. Juli 1836 vermählt mit Karl, Prinzen von Däne mark). Man hat öfter behauptet, der Prinz von Wales sei ein Franzosenfreund. Wir glauben aber, daß man dafür keinen anderen Anhalt hat als den, daß er stets ein Freund von Paris und noch mehr des Pariser Lebens gewesen ist. Aber mit sechzig Jahren ändert man sich auch in dieser Beziehung, und