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VukmherHaaeblatt Sonnabend, 5. Dezember 1923 Beilage zu Nr 2LV 77. Jahrgang Dresdner Brief. Dresden, 2. Dezember. Sehr geehrter Herr Redakteur! Haben Sie keine Sorge, daß ich Sie belästigen könnte oder Ihnen Ihre kostbare Zeit rauben werde! Das liegt mir fern! Ich weiß nur zu gut, daß Sie von früh bis in den späten Abend hinein in ihrer Tretmühle, verzeihen Sie, Redamonsstube sitzen und nicht wissen, wie sie alle Gescheh- mfle des Tages, und das sind nicht wenige, in Ihrer ge schätzten Tageszeitung unterbringen sollen. Freilich weiß ich nun, daß sie auch noch anders zu tun haben . . . nun, das wissen Sie ja alles selbst und ich will Sie nicht un nötig aushalten. Der erste Schnee ist längst herunter in Dresden und die Dresdner Kirmes ist natürlich wieder ein mal verpaßt worden, denn die findet ja bekanntlich drei Tage vor de.i ersten Schnee statt und ich wäre ihnen dank bar gewesen, wenn sie mich darauf aufmerksam gemacht hätten. Es hätte sich ja allerhand darüber schreiben lassen können! Doch läßt sich das nun nicht mehr ändern, Also zur Sache! Weihnachten steht bevor! Ist es nicht bedauerlich, daß noch vor dem Fest das Giraffenbaby im Zoo verenden mußte? So ein junges, blühendes Leben! Man hat den Kadaver ausgeschnitten und nach dem Drachen des Todes geforscht und, denken Sie, nichts gesunden. Sicher steht nur, daß das Leben tatsächlich weg ist! Gotti Heute kommt ja so Viel weg! Aber Sie können mir glauben, es hat nur an dem Halse gelegen, der war zu kurz, viel zu kurz! Und eine Mißgeburt hat nach Friedrich Nietzsche keine Existenz berechtigung. Doch zur Sache. Weihnachten steht bevor! Und da finde ich es hübsch, daß der Zirkus Sarrasani, aller Reklame zum Trotz, noch rechtzeitig in seiner Heimat eingetroffen ist und das Feier tagsgeschäft ausnützen kann! Denken Sie sich, Sarrasani hat sich in Amerika das Reklamemachen abgewöhnt! Ja, er hat es öffentlich erklärt! Trotzdem schrieb er allen Zeitun gen, daß der Dampier „Ludendors", auf dem er sich mit seinen kostbaren Tieren befand, unterwegs sich in einem schweren Sturm befunden hat, welcher, er wäre ja sonst nicht hier, glücklich an ihm vorübergegangen ist. Mag dies ein gutes Anzeichen für ihn sein, daß die schaulustige Be völkerung an seinem Unternehme» nicht vorübergeht! Doch wollte ich ja ganz etwas anderes Ihnen mitteilen! Zur Sache also! Weihnachten steht bevor! Da hat man nun die Weih nachtsstimmung schell noch benutzt und eine öffentliche Ver sammlung einberufen, um gegen die Dresdner Schund- Wochenschriften ins Feld zu ziehen. „Arena", „Tribüne", „Revue" u. a. heißen diese Wochenschriften, welche in Dres den herumschnüffeln und ans jeder Angelegenheit, mit Vor liebe aber aus jeder Privatangelegenheit bekannter Leute, eine Sensation drehen. Dabei verfolgen sie den unchristlichen jesuitischen Grundsatz: „Der Zweck heiligt das Mittel!" Damit gaben sie sich den Anschein von Wahrheitssuchern und Wahrheitsapostcln! Das war nun den Dresdnern sehr unangenehm, doch es gab auch welche, die sich als begeisterte Anhänger zeigten! Aber in der Versammlung stellte sich heraus, daß selbst der Gründer und Verleger dieser Skan dalblätter kein begeisterter Anhänger war und die Käufer seiner Blätter anklagte! Er habe es ausprobiert, ohne sen sationelle Aufmachung kaufte man die Blätter nickt. Er möchte gern auf anständige Weise sein Brot verdienen. Wer der Blamierte war? Reden wir nicht davon! Doch nun bin ich schon wieder von der Sache abgekommen. Aber es geht einem soviel durch den Kopf, daß man wirklich nicht weiß, von was man zuerst sprechen oder schreiben soll. Weihnachten steht bevor. Wieviele sehen das Fest mit Sorge näher kommen. Täglich mehren sich die Arbeits losen. Organisationen und Gewerkschaften erxistieren wohl, aber ihre Macht ist sehr einseitig und seltsamerweise in manchen Fällen hemmend und störend! Davon kann ich ein Lied singen. Da hat mir neulich Einer einen Fall er zählt, der mir interessant genug erscheint, um über ihn zu sprechen und ich glaube Arbeitgeber, Arbeitnehmer und die Organisationen und Gewerkschaften können daran lernen! Kommt da ein sechzigjähriger Familienvater und bittet um Arbeit. Für jeden Lohn will er arbeiten, nur um seine Existenz zu haben. Schließlich läßt sich der mitleidige Ar beitgeber breitreden und räumt dem Bittsteller ein Plätzchen in seinem schon übervollen Betriebe ein. Nach einiger Zeit erfährt der Betriebsrat von dem Arbeitverhältnis. Die Ge werkschaft wird benachrichtigt und sordert nun Tariflohn für den Eingestellten. Der Arbeitgeber hat nun für einen Posten zwei Angestellte mit vollem Tariflohn! Trotzdem der Sechziger bei weitem keine Vollkraft ist. Mit ihm ist nun das Unternehmen zum Schaden aller anderen Ange stellten belastet. Der Arbeitgeber wird kopfscheu und hart. Die älteren Arbeitslosen haben nichts mehr zu erwarten! „Zu straff gespannt, zerspringt der Bogen!" Und wo bleibt die freie Entwicklung? Ich glaube, wir wüssen umlernen! Immer nur das Bewährte hüten Aber ich wollte ja doch etwas ganz anderes. Doch habe ich Sie nun schon solange aufgehalten, daß ich cs kaum noch wage, ihre kostbare Zeit noch länger in Anspruch zu nehmen. Also ein andermal dies wichtigen Dinge! Es hat schon noch Zeit. Darum Kurzschluß! Ihr W. Alexander Köhler. Aus aller Welt. " 25jahriges Jubiläum der Handelsgesellschaft deutscher Zeitungsverlcger. Die Handelsgesellschaft deutscher Zeitungs. Verleger in Berlin veranstaltete aus Anlass ihres LSsühriaen Bestehens in den Räumen des Pressehauses eine stimmungs volle Gedenkfeier. Der-Vorsitzende des Aufsichtsrats, Direk tor Earl Müller, Berlin, schilderte in einer längeren An sprache Geschichte und Zweck der Handelsgesellschaft. Der Vorsitzende des Vereins deutscher Zeitungsverleger, Kom merzienrat Or. Krumbhaar, Liegnitz, nahm im Verlaufe des Abends Gelegenheit, den führenden Männern der Handels gesellschaft für ihre aufopfernde Tätigkeit im Dienste der deutschen Zeitungsverlegerschaft, insbesondere in den Kriegs- und Krisenzeiten, wärmsten Dank zu sagen. * * Riesige Schneemengen im Harz. In den letzten Tagen sind im Harz riesige Schncemassen gefallen. Im Gebiete zwischen Torfhaus und Andreasberg sind derartige Schneeschanzen zusammengetürmt worden, daß es einigen Fahrern vom Goslarer Jäger-Bataillon, die mit Pferden unterwegs waren, nur mit Mühe gelang, die eingesunkenen Tiere wieder freizumachen. Der Schlitten konnte nicht wie der geborgen werden. Derartig riesige Schneemassen, wie in diesem Winter, sind im Harz seit langem nicht mehr zu ver zeichnen gewesen. * * Starker Schneefall im Schwarzwald. Im. ganzen Schwarzwald sind große Schneemengen niedergegangen. Auf den Höhen liegt der Schnee über 1 Meter hoch. * * Raububerfall. In Bochum-Riemke wurde auf > einen Boten der Zeche Konstantin der Große, Schacht 10, ein räuberischer Ueberfall verübt. Der Bote, der mit seinem Fahrrade auf der menschenleeren Straße fuhr, wurde plötzlich von einem unbekannten Manne angehalten, der ihm mehrere Messerstiche in den Arm beibrachte und ihm seine mit Geld und Papieren angefüllten Ledertasche entriß. In der Tasche befanden sich unter anderem 1300 Mark bares Geld. Der Täter ist unbekannt entkommen. * * Freigabe eines von den Franzosen beschlagnahmten l Flugplatzes. Me aus Sembach berichtet wird, ist der von > den Franzosen seit längerer Zeit beschlagnahmt gewesene, 280 Morgen große Flugplatz nunmehr frcigegeben worden. " Verurteilte Spione. Wegen Verrats militärischer Geheimnisse verurteilte nach dreitägiger Sitzung das Oberste Landesgericht in München die berufslose ! Frieda Baumann aus Ludwigshafen unter Einrechnung t einer zweimonatigen Gefängnisstrafe zu drei Jahren sechs ! Monaten und drei Tagen Zuchthaus, den Werkmeister Josef , Brifach aus Ludwigshafen zu sechs Jahren Zuchthaus, den . Sekretär Josef Endres aus München zu zwei Monaten i Gefängnis, verbüßt durch die Untersuchungshaft, den Metzger , Josef Dambösz aus München zu ciiwm Jahr drei Mo- ' naten Gefängnis und den Metzger Wilhelm Brand in München zu sechs Monaten Gefängnis. Ein 16jähriger Lehr ling aus Schwetzingen und ein kaufmännischer Angestellter aus Ludwigshafen wurden freigesprochen. Der Baumann und dem Brifach wurden die Ehrenrechte auf fünf Jahre ab- i erkannt. Einige Geldbeträge wurden als für die Staatskasse verfallen erklärt. Die Beschuldigten standen im Dienste des französischen Spions Richard Walter. " Behinderung des Schiffsverkehrs auf der Elbe. In folge starker Eisbildung ist die Schiffahrt auf der Elbe sehr erschwert. Verschiedene Passagier, und Frachtdampfer stellten ihre Fahrten ein. i,»i in Vom (Stück vergessen. Roman von Fr. Lehne. 69. Fortsetzung. Nachdruck verboten. „Geh!" stieß sie zornig hervor, „geh! Wenn du nicht willst, daß ich dich durch den Diener Hinausweisen lasse." Sie bebte vor Erregung am ganzen Leibe. Maltes Schlech tigkeit überstieg alle Grenzen. Und als er gegangen mit unverständlich gemurmelten Worten, brach sie in ein heißes Weinen aus. Als sie zwei Tage später zur Eesangstunde ging, wurde sie in der Nähe des Schlosses von einer jungen, rotblonden Dame an gesprochen, die sich in unbeschreiblicher Erregung befand. Gwendoline war verwundert; obwohl ihr die Dame bekannt schien, konnte sie sich nicht erinnern. Cenzi Obermeier aus München." "Ah, Fräulein Obermeier — in der Tat, ich hätte sie nicht wieder erkannt." Ich bin Tanzkünstlerin geworden und hier im Kabarett Grüner Papagei" engagiert." " Wo auch mein Bruder ist —" bemerkte Gwendoline überrascht Sie runzelte die Stirn, einen Zusammenhang erratend ' Sie kommen wohl m seinem Auftrage, um seine AnLge^ ZU vertreten." Merklich kühl klang ihre Stimme . »La'und nein, Baronesse - aber nicht so, wie Sie denken: Ich habe nichts mit ihm zu tun Dennoch hat er Mich verfolgt^ wo ich bin, ist er auch." »Er war verlobt" „Ich weiß alles' alles - ich trage aber keine Schuld, ba° -mir! Und jetzt, o, es ist furcht- kramnit.?^?^ °""en voller Tränen, ihre Hände um- « "Üer Frühe kam er zu mir, forderte ?r batte wieder ae^ manchmal ausgeholsen - tatest hatten ihm nichs gegeben, und ich tat es aucy nicht - trotz seiner Bitten, und da - da zog er einen Revolver aus der Tasche, richtete ihn gegen seine Brust — und dann lag er da " Es schüttelte sie und in starrem Entsetzen blickten ihre sonst so lustigen Augen. Sie schwieg einen Augenblick und fuhr dann mit leiser, stockender Stimme fort: „Er lebte noch! Die Sanitäter haben ihn nach dem Krankenhause geschafft und ich habe hier auf Sie gewartet, weil ich doch von ihm wußte, daß Sie hier sind —" Gwendoline schloß wie im Schwinde) die Augen. Sie fühlte eine Schwäche in allen Gliedern. Hatte er seine Drohung doch wahr gemacht? Aber sie fühlte sich dennoch frei von Verantwortung! Einmal würde Malte doch diesen Weg gegangen sein, ob früher oder später, das sagte ihr ihr wägender Verstand. Trotzdem hatte diese Nachricht sie schwer getroffen. „Möchten Sie nicht zu ihm gehen?" fragte Lenzi leise. „Za, doch vor allem muß ich meiner Mutter telegraphie ren — sie muß Herkommen." Der Gedanke an die Mutter erregte sie furchtbar. Aus dem Wege zum Postamt erzählte ihr Lenzi Obermeier viel von Malte und Gwendoline hörte aus den Worten der Kleinen gerade genug — er hatte sich nicht geändert, war der Alte geblieben! Sie fragte im Krankenhaus nach seinem Befinden, sich als seine Schwester vorstellend, die um volle Wahrheit bat. Die Antwort der Aerzte lautete wenig befriedigend. Die Kugel hatte man nicht entfernen können. Gwendoline pries den Zufall, der sie für heute eines Zusammenseins mit der Herzogin enthob, die bei einer großen Veranstaltung zugegen sein mußte. Das Schwerste stand ihr bevor — die Ankunft der Mut ter! Gwendoline erwartete sie am Bahnhof. Sie erschrak bei ihrem Anblick. Wie alt sie geworden und wie dürftig sah sie aus — und so versorgt und verhärmt, und daran trug nur Malte die Schuld. Zorn erfaßte sie wieder auf ihn, obwohl sie ihn auf dem Schmerzenslager wußte. „Mütterchen —" in selten erwiesener Zärtlichkeit küßte Gwendoline die Mutter, die, kaum das Loupee verlassend, schon fragte — warum hast du mich gerufen?. Es ist etwas mit Malte — so sage es mir doch!" « Gwendoline zog den Arm der Mutter durch den ihren, führte sie nach einem Wagen und gab Auftrag, nach dem Krankenhaus zu fahren. Unterwegs machte sie die Mutter in schonendster, zartester Weise mit dem vorgefallenen be kannt. Frau von Reinhardt hielt das Gesicht in den Händen verborgen; ein Schluchzen erschütterte stoßweise ihren Kör per. Gwendoline wollte tröstend, beruhigend den Arm um sie legen, wurde aber zurückgewiesen — sie biß sich auf die Lippen — es blieb immer das gleiche, wenn es sich um Malte handelte! Der Wagen hielt vor dem Hospital. Die Baronin schleppte sich förmlich hinein, die Füße gehorchten ihr kaum. Als Gwendoline hinter der Mutter das Zimmer des Kranken betrat und er ihrer ansichtig wurde, schüttelte er den Kopf. Sie blieb draußen. Man hatte der Baronin größte Vorsicht und Selbstbe herrschung mit Rücksicht auf den Patienten empfohlen. Und obwohl ihr das Herz fast brechen wollte, beim Anblick des geliebten Sohnes, der mit verbundenem Oberkörper re gungslos dalag, bezwang sie sich mit all der Kraft, deren nur ein Mutterherz fähig ist. Sie setzte sich an sein Bett, lächelte ihn an, streichelte seine Hände und mit unendlicher Liebe ruhten ihre Augen auf seinem blassen Gesicht mit den bläulichen Schatten und der merkwürdig scharf hervor- springendcn Nase, wie vom Tod schien es ihr schon gezeichnet. Das Sprechen wurde ihm schwer, es war mehr ein Röcheln. „Mama, bist du zu deinem Malte gekommen." Die Ge genwart der Mutter wurde ihm doch zum Trost in den letzten Stunden seines leichtsinnigen Lebens. Er fühlte genau, daß es zu Ende ging. Eine karge Frist war ihm noch gegönnt — dann war's vorbei! „Hast du gefühlt, Mutter, daß ich dich rief?" fragte er leise. „Gwendolines Telegramm," entgegnete sie. Er machte eine schwache, abwehrende Bewegung. , (Fortsetzung folgt.)