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Redaktioneller Teil. PL 267, 16. November 1916. daher die Möglichkeit größer, daß ihre Werke allgemein ver standen werden konnten. Trotzdem hatte man versucht, dieses Verständnis durch Beigabe von Textillustrattonen zu fördern, eine Sitte, die in der letzten Zeit mehr und mehr zurückge gangen ist. Diese Geschmacksänderung ist umso auffallender, als das große Publikum niemals einen solchen Bildhunger entwickelte wie heutzutage — sie wird aber erklärlich, wenn man bedenkt, daß der größte Teil unseres heutigen Jllustrationsmaterials nicht mehr zeichnerischer, sondern photographischer Natur ist. Die Photographie nach der Natur gilt eben dem Publikum als wahr, während es die Zeichnung als Phantasieprodukt be wertet. Es sagt sich mit einem gewissen Recht: Ist der Roman nun schon ein Phantasicprodukt, so brauche ich nicht ein zweites Medium, das mir das Geschilderte nach einer bestimmten Rich tung auslegen will und dabei doch nicht die Wirklichkeit dar stellen oder wenigstens glaubhaft Vortäuschen kann. Etwas anderes wäre es, könnte man die Illustrationen di rekt photographisch Herstellen, so daß sie den Eindruck des wirk lichen Lebens Hervorrufen würden. Die handelnden Personen, das Milieu der Handlung müßte dem Leser bildlich so darge- stcllt werden, daß er zu der Auffassung kommt: Ja, das ist der Held, die Heldin, so und nicht anders sehen sie aus. Das ist der Garten, in dem sich die Liebesszene abgespielt hat, das Haus, das sie bewohnen, das die Arbeitsstelle — die Fabrik, das Ate lier, oder die einfache Werkstatt. Dann könnte die Illustration tatsächlich den Inhalt wirksam ergänzen, dem Verständnisse näherbringen. Technisch ist eine derartige Verquickung von Schrift und Bild sehr Wohl durchführbar, und wir haben in der Filmiitdn- strie dafür ein glänzendes Beispiel. Hier war das Problem noch schwerer zu lösen, weil es sich darum handelte, einen Roman ohne Worte darzustellen. Es ist gegenüber dem Roman das vollkommen umgekehrte Verfahren. Bei diesem denkt sich der Leser die Bilder dazu — beim Film die Worte, und da dies nur bis zu einem gewissen Grade möglich ist, kann weder das eine noch das andere System der Darstellung eine volle Wirkung erzielen. Hauptfchwierigkeiten bei einem derartig illustrierten >erk liegen in der Kostenfrage. Das Risiko des Verlegers u groß, wenn er neben den sonstigen Unkosten auch noch sie der Darstellung durch erstklassige Schauspieler zu trage» hätte. Dies würde sich nur bei sehr hohen Auflagen als rentabel erweisen. Die Höhe derselben hat er aber durchaus nicht in der Hand. Aber diese Hauptschwierigkeit ließe sich überwinden, wenn Verfasser, Verleger und Kinofabrik Zusammenarbeiten würden. Wir haben eine ganze Anzahl von Romanen, die schon mit mehr oder weniger Glück verfilmt wurden. Wenn das Experiment nicht immer gelungen ist, so lag das Wohl daran, daß der betref fende Roman sehr wenig dazu geeignet, vor allem nicht im Auf bau die Verfilmung vorgesehen war. Würde aber schon vom An- auf gesehen, so wäre es sehr wohl möglich, auf die >en des Films Rücksicht zu nehmen, ohne daß deshalb als solcher notgedrungen darunter leiden müßte. Würden alsdann nach Fertigstellung des Manuskripts Her stellung des Films und Drucklegung des Buches gleichzeitig in Angriff genommen, so hätte man das nötige Bildmaterial in reicher Auswahl, ohne das Extrakosten entstehen würden. Das Erscheinen der beiden müßte bann ebenfalls gleichzeitig erfolgen, was noch den einen Vorteil hätte, daß Buch und Film sich gegenseitig unterstützten, daß der Romanfilm für den Film roman werben würde und umgekehrt. Technisch sind jedenfalls keine Schwierigkeiten vorhanden, geschäftlich ebensowenig, der Filmroman würde die erhöhten Kosten durch Vergrößerung der Auflage sicher hereinbringen. In künstlerischer Hinsicht kommt es natürlich auf die Ausführung an. Sicher ist, daß der Roman nur gewinnen kann, wenn er durch Anlehnung an den Film mehr auf Spannung gearbeitet wird, wie auch der Film, da ein großer Teil jetzt zu roh zusammenge stellt ist, eine feinere Durcharbeitung, wie sie durch die Abhängig keit vom Roman bedingt ist, Wohl verträgt. Auch in dieser Hin- 1418 sicht ist eine gegenseitige Beeinflussung von Vorteil — kann es wenigstens sein, wenn wirkliche Künstler das Werk schaffen. Anderenfalls entsteht natürlich auch hierbei Kitsch, was bei unserer heutigen Art auch nicht vermieden wird. Der Gewinn jedoch wäre, daß auch wirkliche Kunstwerke dem großen Publikum leichter verständlich gemacht würden und die Möglichkeit, dem Schund cntgegenzuwirken, für den ernst haften Schriftsteller größer wäre. Soldatenlektüre. Nachdem ich den strammen Dienst in der Kaserne plötzlich wieder mit der idyllischen Bettruhe im Lazarett vertauscht habe, famden auch einige neuere Börsenblätter den Weg zu mir. Was Kamerad L—s in Nr. 227 schreibt, veranlaßt mich, auch meine Beobachtungen über den Lesestoff unserer Feldgrauen mitzuteilen. Während meiner Ausbildungszeit habe ich bei meinen Kameraden, sowohl den 20- als auch den über 40jährigen, kein Ver langen nach Lesestoff gefunden, solange wir in einem kleinen Spessart dorfe in Bürgerquartieren lagen. Als wir dann aber nach einem Truppenübungsplatz kamen, der vom nächsten Orte eine gute Stunde entfernt war, stellte sich bei mehr freier Zeit auch die Langeweile ein. Vor allem abends nach Dienst wußten viele nicht, was sie machen sollten. Manche hätten vielleicht gern etwas gelesen, aber Kantine und Kartenspiel verschlangen meist die Löhnung bis zum letzten Pfen nig. Als dann ein Unteroffizier, der immer die neuesten bunten Zehn pfennighefte las, diese unter seine Korporalschaft verteilte, war bald die ganze Kompagnie damit verseucht. Um diesem Einflüsse zu begeg nen, ließ ich mir nach und nach eine größere Anzahl Neclamheftchen schicken, die viel gelesen wurden. Dafür brachten mir die Kameraden manchen »Schauderroman«: die Schundliteratur aber ganz auszurot ten, war unmöglich. Seltsamerweise waren die Reclambändchen ganz zerlesen, wenn sie durch 5—6 Hände gewandert waren, während die bunten Hefte mindestens die doppelte Benutzerzahl aushielten! Während zweier Monate draußen in Frankreich habe ich im Nekrutendepot, in der Front vor Verdun und in Ruhestellung an der belgischen Grenze nur ganz selten Kameraden gefunden, die etwas anderes als Tageszeitungen lasen. Die freie Zeit wurde auch hier meist mit Kartenspielen ausgefttllt. Von daheim hat wohl da kaum jemand Bücher erhalten oder erbeten. Im E t a p p e n l a z a r e t t in Belgien liefen immer einige stark zerlesenc »Komet-Nomane« um; woher sie kamen, konnte ich nicht seststellen. So gut für Essen und Trinken gesorgt war, so wenig war an geistige Nahrung für die etwa 700 Kranken gedacht worden. Da es uns verboten war, durch Vermittlung der Krankenwärter oder -schwestern irgend etwas in der Stadt zu kaufen, so waren wir auf die wenigen Ullsteinbücher angewiesen, die von Ärzten ab und zu gekauft und nach dem Lesen auf der Station liegen gelassen wurden. Dagegen besaß ein Reserve-Lazarett in einem freund lichen Städtchen an der Bergstraße, in das ich später kam, eine richtige Bücherei, deren Verzeichnis über 000 Nummern umfaßte. Der Grund stock war von einigen edlen Spendern am Orte gestiftet und die Samm lung dann durch die Neichsbuchwoche bedeutend erweitert worden. Eine Schwester gab täglich Bücher ans, wodurch die dienstlichen Hem mungen glücklich vermieden wurden. Als ich das Bett verlassen durfte, bot ich ihr meine Hilfe an und habe schließlich mehrere Wochen die Vücherausgabe allein besorgt. Verlangt wurden von den Kranken hauptsächlich »Räubergeschichten«. Auch Kapitän Marryat, Karl May und Mollhausen fanden sich anfangs selten in den Schrank zurück. Neben diesen Schriftstellern war besonders Engelhorns Noman- bibliothek begehrt, später wurden auf meine Anregung hin auch Raabe, Zahn, Keller, Finckh, Storni n. a. viel gelesen. Einmal ansgegebene gute Bücher wurden meist gleich weiter empfohlen, sodaß sie nur selten wieder zu mir zurttckkehrten. Die 250 Patienten hatten durchschnitt lich 80—100 Bücher im Gebrauch, doch war das Interesse fast aus schließlich auf belletristische Literatur beschränkt. Neben den Bänden der Lazarettbücherei wurde aber noch sehr viel Schund gelesen, der meist von Damen des Wohltätigkcitsvercins ins Haus gebracht wurde. So besuchten Frau .... und Frau .... etwa aller 14 Tage die Kranken und verteilten stets einen Stoß Hefte von »Krieg und Liebe«, »Vergißmeinnichtbibliothek«, »Im Kugelregen« und »Heinz Brandt, der Fremöenlcgionär«. Diese Damen lasen alle Neuerschei nungen der genannten Sammlungen erst selbst und brachten sie, schon seit Kriegsausbruch, dann ins Lazarett, ivo sie so lange hernmlagen, bis die Schwestern einmal damit anfränmten. In einem Genesungsheim im Nheingau lernte ich daun eine Bibliothek kennen, die ähnlich der in Nr. 227 beschriebenen ver waltet wurde. Da sie sich ans der Schreibstube befand und über Aus-