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292, 17. Dezember 1895. Fertige Bücher. 735t s55I65j Iruwwklliese. In 10 Hngen 5 Auflagen verkauft. Ucber „Lütje, die Strnwwelliese" urteilt das Hamburger Fremdenblatt: Der „Struwwel-Peter", dieses — man darf getrost sagen: populärste Bilderbuch der Kinder, hat ein Seitenstück er halten, das — ihm nicht etwa seinen Rang streitig machen will, denn das thun auch hundert andere Weihnachts-Bilderbücher, die hübscher, eleganter, moderner, nur nicht volkstümlicher sind als er, nein, das neben ihm zu gleicher Stufe der Popularität emporsteigen wird: dieses Buch heißt „Die Struwwel-Liese". Es liegt ein Werk vor, welches in Wort und Bild den alten „Peter" überragt und textlich wie illustrativ Töne anschlägt, deren künstlerische Anpassung an die Phantasie und das Begriffs vermögen des Kindes dem Werke ernste Beachtung sichern — von dem äußern Erfolge, der ganz gewiß nicht ausbleiben wird, ganz abgesehen. Nur auf den ersten Blick erscheint es merkwürdig, daß der Verfasser der „Liese", wie Hofsmann, der Erfinder des „Peter", wieder ein Arzt ist, Or. wsci. I. Lütje in Hamburg. Tiefer als der Vater sieht der Arzt in die Seele des Kindes. Freilich muß der Arzt, der einen wirksamen „Struwwel - Peter" oder eine wirksame „Struwwel - Liese" schreiben will, auch ein Poet sein — und der Verfasser der „Liese" ist es. Man höre nur die ersten Verse unter dem aller liebsten, struppigen, in verschlissenen Kleidern sich reckenden Liesel: „Seht einmal, wie gähnt sie, Alle Glieder dehnt sie; Ungewaschen, ungekämmt, Rock zerrissen bis aufs Hemd, Loch im Strumpf und Loch im Schuh, Pfui, du garst'ges Liesel du!" Die Verse freilich bleiben ohne Wirkung, wenn die Illustra tionen nicht auf gleicher Höhe stehen, hier aber gerade haben Verfasser und Verleger das größte Glück gehabt. Sie haben in Maddalena einen Zeichner gefunden, der sich mit großer Klarheit in die Phantasie des Kindes versetzt. Wer hätte nicht aus der Traumdämmerung der ersten Jugend die Er innerung allerhand eingebildeter Schrecken ins Leben hinüber gerettet — die große drohende Glocke, die hinter dem schul faulen Kinde herwackelt; die magische Gewalt der Kirchturm glocken, bei deren Klange das Gesicht schief stehen bleibt, wenn das Kind gerade eine Fratze schneidet Maddalena hat eine ganze Menge eindringlicher Momente in ganz famoser Weise erfaßt — man muß nur sehen,' wie die Sonne zum Liesel, das nicht aufstehen will, ins Fenster hineinschaut und sich dabei init spindeldürren Fingern am Fenster festkrallt. So etwas gräbt sich ins Gedächtnis ein. Wie in der Phantasie des Kindes, gewinnt hier alles Leblose Leben und Sprache: die Sonne, der Wind rc. Es ist wirklich ein Buch, an dem selbst Erwachsene ihre Freude haben können, dem Kinde aber — den kleinen Mädchen vor allen ist ein neuer Schatz erstanden, der am Weihnachtsabend die Augen glänzen macht. Der be kannte rührige Verleger G. Fritzsche, der das „Liesel" aus der Taufe hob, hat es seinem Inhalt entsprechend vorzüglich aus gestattet. Ein anderes Hamburger Blatt bringt folgende humoristisch-poetische Beurteilung: Es hat mich immer verdrossen, Daß vom „Struwwelpeter" es hieß: „Den hat man ins Herz geschlossen: Und nicht auch die „Struwwel-Lies". Und ich bin doch g'rad so belehrend, Durchaus nicht des Scherzes entbehrend Wie Peter, der eigentlich nur Die Freundschaft der Knaben erfuhr; Wir Mädchen, wir sind zwar gewöhnlich Sehr artig, gehorsam, versöhnlich, Auch gar nicht so wild, wie die Jungen, Und doch ist man häufig gezwungen, Auch unsere Fehler zu rügen, Wenn wir dem Gebot uns nicht fügen. Drum kann es nicht schaden den Madeln, Sie mal ganz gehörig zu tadeln, Daß wegen der Tochter Benehmen Mama'chen sich nicht braucht zu schämen. Trotzdem sind viel Jahre verstrichen, Seit Peter die Gunst sich erschlichen. An Liese hat keiner gedacht, Das hat mir viel Kummer gemacht. Ich wollt' mit Vergnügen berichten Gar viele und hübsche Geschichten Für Kinder von drei bis acht Jahren, Die gerne so etwas erfahren; Doch niemand den Schritt zu mir lenkte, Die nöt'ge Beachtung mir schenkte. Da nahten mir plötzlich zwei Männer, Der Dicht- und der Mal-Künste Kenner, Die hörten mit tiefem Verständnis Sich an meiner Sünden Bekenntnis: Vom Liesel, das — weil sie zerrissen Die Puppe — vom Hund ward gebissen; Die ältere Leute verlachte; Die spät erst am Tage erwachte. Bis daß sie die Feuerwehr weckte; Die heimlich am Kuchen gern schleckte; Die sorglos zum Schlafzimmer geht Und — denkt Euch — vergißt das Gebet!" Dies alles, dies hat nun der güt'ge Und lustige Doktor wsä. Lütje In drollige Verslein gebracht, Maddalena die Bilder gemacht. Es schwang der Humor seine Pritsche, Und dann ward verlegt' ich bei Fritzsche. „Die Bilder sind farbig und zierlich, Die Reime moralisch, manierlich, Der Einband ist schwer zu zerreißen, Das Büchlein thut „Struwwel-Lies" heißen. Nun lieg' ich auf großen Realen Und Tausende lassen mich holen. Man preiset mich schriftlich und mündlich, Mein Vorrat verringert sich stündlich. Und nun noch ein Wort an Euch, Kinder, An böse wie gute nicht minder: „Wollt Ihr Euch erheiternd belehren, Und von Euren Fehlern bekehren, So müßt Ihr den lieben Verwandten, Den Freunden sowie den Bekannten, Wenn nach Euren Wünschen sie fragen, Als Antwort: „Die Struwwel-Lies" sagen. „Und sollte ein Buchhändler-Laden, „Natürlich zum eigenen Schaden, „Mein Büchlein nicht führen in Masse, „So geht nur zur Gerhofstraße, „Zu Fritzsche, zu meinem Verleger, „Und wird der Verkauf dann noch reger, „Als er cs bisher schon gewesen, „Wenn recht viele Kinder mich lesen, „So freu'N wir uns alle, und Ihr „Habt Nutzen davon und Plaisier. „Weshalb ich recht herzlich Euch bitte, „Nach artiger Mägdelein Sitte, „Dem Wunschzettel gebt die Devise: „Ach! schenkt uns die „Struwwel - Liese!" Die gesamte Presse des In- und Auslandes feiert das Erscheinen der „Struwelliese" als das Hauptereignis seit 50 Jahren auf dem Gebiete der Kleinkinderlitteratur. Eine einzige große Buchhandlung bezog annähernd 900 Exemplare. Ich liefere 2 ord., nur bar mit 30"/o und 13/12 Exemplare. Wirkungsvolle, farbige Plakate stehen Handlungen, die sich energisch für das Buch verwenden, in 1 Exemplar zur Verfügung. HambUr g. G. Fritzsche. 995 Zwetundsechjigsler Jahrgang.