Volltext Seite (XML)
MBm-krnWltt Anzeiger Tagebllttt sör.Hshtnstck-Krnstthal, LberliinDiir, Gersdorf, Luqail, Wüsteubralld, Urspnnlg, Mittelbach, Hermsdorf, Bernsdorf, Lanqenberq, Falken n. s. w. M-- MN,«,«» >>HRl,7 »»11«IsslWW»!slUDOll'7^ 17 V "M NMWIIIII I» IHWII« I IM« I Nr. 193. Sonlltag, der: 21. August 1898. Beilage. Fürst Bismarck über Ludwig II. von Bayern. Der Redakteur der „Nellen Bayr. Landeszeitung" Anton Memminger theilt weiter folgende Aussprüche des Fürsten Bismarck mit: „Ganz besonders erfreute ich mich der Achtung des verstorbenen Königs Ludwig II. Wir korrespon- dirten miteinander über wichtige politische Angelegen heiten bis in die letzten Jahre seines Lebens, und er war in der Kundgebung seiner Anschauungen ebenso liebenswürdig gegen meine Person wie geistreich in Bezug aus verschiedene Sachen, die in Frage standen. Nach dem schriftlichen Verkehr, den er mit mir pflog, konnte ich ihn durchaus nicht für geisteskrank halten, ganz gewiß nicht. Ich erfuhr davon erst aus den Zeitungen. In die inneren bayerischen Angelegen heiten habe ich mich grundsätzlich nie eingemischt. Mit Miuisterkreisen hatte ich nichts zu thuu. Allerdings, als im Unglückümonat I88t> die Katastrophe heran nahte, wurde ich durch den Flügeladjutauten Graf Dürckheim mittels eines in Neutte in Tirol aufge gebenen Telegramms von dem Stande der Ange legenheiten unterrichtet und sozusagen meine Hilfe, die Reichshilfe, für den König augeruseu. Ich tele graphiere zurück au den Grafen nach Tirol: „Seine Majestät soll sofort nach München fahren, sich seinem Volke zeigen und selbst sein Interesse vor dem ver sammelten Landtage vertreten." Ich rechnete so: ent weder ist der König gesund, dann befolgt er meinen Rath. Oder ist er wirklich verrückt, dann wird er seine Scheu vor der Oeffentlichkeit nicht ablegen. Der König ging nicht nach München, er kam zu keinem Entschluß, er hatte den Willen und die geistige Kraft nicht mehr lind ließ das Verhänguiß über sich Her einbrechen. Mein alter Herr war durch das Schicksal des Königs tief ergriffen. Und daß König Ludwig auch in den letzten Tagen und nach seiner Ent thronung noch so viel Liebe und Anhänglichkeit im bayerischen Volke gefunden hat, stellt diesem treuen Volke das ehrendste Zeugniß aus. Die richtige Ent scheidung war auch dem Volke nicht so leicht. Darum entschuldigte ich auch Sie, Herr Redakteur, welche damals einer der Regierung feindlichen Volksmeiuuug Ausdrnck verliehen haben und diesen ihren Muth mit schweren Freiheits- und Vermögensstrafen büßen mußten. Aber nachdem die Sache aufgeklärt und die allgemeine Erregung sich gelegt hatte, wäre es von Seiten dieser königstreuen Redakteure ein Unrecht ohnegleichen gewesen, wenn sie der bessern Einsicht entgegen den Prinz-Regenten, einen durch und durch ehrlichen und wohlwollenden Fürsten, fort und fort hätten kränken wollen. Es freut mich, daß auch Sie, Herr Redakteur, der Sie mit an der Spitze der ministerfeindlichen Opposition gestanden haben, bei ruhiger Betrachtung der Thatsachen zu dem einzig richtigen Schlüsse gelangt sind und zu Ihrem Prinz- Negenteu stehen. Jede Anfeindung desselben märe ein schweres Unrecht, denn es mußte wohl so kommen, wie es gekommen ist. Der König war wirklich ver rückt und regierungsunfähig geworden. Sein Ver halten meinem Telegramm gegenüber beweist das für jeden Verständigen." Fünf lustige Musikanten ans einer Ferienreis'. Wir haben bereits über eine Künstlersahrt einiger Berliner Herren berichtet, eine Fahrt, die in Plauen einen jähen Abschluß fand. Jetzt schildert einer dec Betheiligten, Herr Cellist Heinrich Beyer die Erlebnisse auf der Fahrt im Berliner Lok.-Anz. in folgender Weise: „Eine famose Idee!" riefen mir übrigen Vier, als uns unser Freund Max eines Abends im Cas« den Vor schlag machte, eine Reise durch das schöne Thüringen als „fahrende böhmische Musikanten" zu machen und den Ueberschuß dem Brahmsdenkmalfondö zuzumeisen. Bald waren wir möglichst „zünftig" kostümirt, und binnen kurzer Zeit hatten wir ein Repertoir von über 50 Nummern „auf der Walze", Beethoven, Mozart, Haydn, Schubert, Mendelssohn, Brahms, Gounod, Strauß, Koschat, Ivano vici und — laut not loaut — „Das Bienenhaus". „Bitte fünf Billets Vierter nach Eisenach!" bat ich den Schalterbeamten auf dem Anhalter Bahnhof. — „Alles einsteigen!" rief der Schaffner einige Minuten später, und allgemeines Erstaune», als mir fünf struppigen Gesellen uns von Verwandten und Freunden, die des Kontrastes wegen in vollstem Wichs erschienen waren, verabschiedeten. Kaum war der Zug in Bewegung, so packten wir unsere Instrumente aus und spielten die lustigsten Tanzweiseu, was sechs hübsche, junge Mädchen, die sich im Nebenabiheil befanden, sofort anlockte. In kurzer Zeit herrschte im gauze» Wagen die fröhlichste Stimmung, und schließlich tanzte alles, alte Männer, junge Frauen, selbst die Schaffner. Auf jeder Statiov erhielten mir aus allen Wagenklassen Besuch, den dieses lustige Treiben anz^g. Glücklich in Eisenach angelangt, fanden wir bald ein billiges Nachtguartier. Doch ach, da »ahte der Wirth mit dem Fremdenbuch. Kurz entschlösse« faßte Freund Max die Feder und schrieb: „Vitalis Smetana aus Znaim". Seinem Beispiel folgend schrieb der Zweite: „Caspar Tomasczeck", der Dritte: „Anton Andryczeck", und ich „Josoph Strausky". Nur unser Clariuettist schrieb: Ferdinand Oberhofer aus Bayreuth". Am nächsten Morgen vor allen Dingen also auf die Wartburg. An d r großen Freitreppe am Fuße des Wartburgberges st. ßen wir auf acht bei der Arbeit be findliche Steinmetzen. „Grüß Gott." — „Morgen." — „Na, spielt doch m. l einen auf, Kinder." „Was wollt Ihr geben, Frainde?" — „20 Psg. pro Mann." — Kurze Berathung, und mir packen aus, setzen uns auf die am Wege zerstreut liegenden Steine und spielen den Leuten zur Arbeit, die ihrerseits den Takt zu unserem Spiel hämmern. — Nun geht's weiter und wir komme» zur „Villa Daheim"' Ohne Erlaubniß setzen wir uns in die Laube. Bei unserem Spiel erscheinen an jedem Fenster durch zwei Etagen vier bis fünf Mädchenköpfe. Wir sind also in einem Pensionat. Dieser Umstand giebt uns neue Kraft, und wir spielen mit aller uns zn Gebote stehenden Innigkeit und Leidenschaft. Der Lohn bleibt nicht aus. Man wirst uns Rosen hinunter, schickt uns Bier, schließlich bringt uns eine junge Dame, in das Ende einer Spitzdüte gewickelt, das Ergebniß einer Sammlung. Wir sagen unsern Dank und gehen weiter. — „Frainde", ruft plötzlich Andryczeck, „ist hier wieder klamer Mädchenpensionat". Ohne Erlaubniß schwirren wir auch hier hinein, doch da schleudert uns die Vorsteherin ein energisches „Veto" entgegen. Auf unser Bitten und Betteln, daß wir „armes Musikant aus Böhmen" seien, wird uns gestattet, zu spielen. Durch unsere Musik hingerissen, singt sogar schließlich die Vorsteherin einige Lieder mit. Nach dem wir „goldenen" Lohn empfangen, ziehen wir weiter zur Wartburg hinauf, von Zeit zu Zeit uns an dein Anblick schöner Waldpartien ergötzend. Wie wundervoll, wenn tiesschwarze Tannen mit Eichen und Buchen ab wechselten, wieder eine Wiese voll in den schönsten Farben blühender Blumen — und dann die Stimmung, in der wir Fünf uns befanden: so ganz frei, ganz ent hoben aller konventionellen Pflichten, nicht an Zeit und Ort gebunden. Herrlich! Welche Poesie im Lumpen leben. — Oben angekommen, entschließen wir uns zu einem Nundgang durch die Wartburg, um jene Stätten zu sehen, an denen sich schon früher unsere Kollegen musikalisch Konkurrenz gemacht, und dis so viele große Männer gesehen haben. Unser Aussehen erregt auch hier allgemeines Erstaunen und Kopfschütteln. Dem herumführenden Kastellan drücken wir am Schluß die zum Trinkgeld ausgestreckte Hand mit einem „Danke schön, Grüß Gott, lieber Fraind." — Nun geht's bergab und durch die überwältigend schöne und romantische Drachen schlucht, welche an manchen Stellen so eng ist, daß wir leiden Cellisten kaum mit unseren Instrumenten hin durch können. Inzwischen wird es Abend und wir ziehen nach Eisenach, um für 30 Pfennig im „Fröhliche» Mann" z» übernachten. Am nächsten Tage sachten mir den »ns bekannten General X. auf, bei dem wir eine köstliche Erkennungs- seene erlebten. Vordem hatte inan uns aufgefordert, im letztgenannten Pensionate Nachmittags nochmals „zum Kaffee" zu spielen. Wir sagten natürlich zu, und dort passirte es, daß unserem lieben Smetana bei dem allzu „lebhaften" Vortrage einer Mazurka die Un aussprechlichen zerrissen. Hier, ivie bei dem General „goldener" Lohn. Wir verabschiedeten uns und fuhren nach Friedrichroda. Am nächsten Morgen hatten wir bei Bezahlnng unserer Rechnung im Gasthof die köstliche Scene, daß uns der Kellner den Betrag von zwei Mark abrundete, uns die überschießenden 35 Pfenige mit den Worten zuschiebend: „Lassen Sie man, ich bin früher auch Artist gewesen, ich weiß, wie sauer Ihr Brod ist." So er bärmlich sahen wir also aus. Nach diesem Intermezzo zogen wir hinauf zu den Villen, um nufer „saures Brod" zu verdienen. Nirgends ließ man nns spielen, weil die Herrschaften nicht zu Haus seien, und kurz entschlossen setzten wir uns in den Chausseegraben, den Hut aus den Damm, und fingen an. Da belebten sich die Vor gärten und die Herrschaften waren plötzlich heimgekehrt. — Im Laufe des Tages hatten wir gute Einnahmen und wir kauften unserem ersten Geiger Smetana eine neue „Galahose" für 2,25 Mark bei einem „Kleider pascha", da seine alte noch immer die Spuren seines zu temperamentalen Spieles aufmies. Mit kleinen Zwischenstationen fuhren wir nach Ilmenau. Von dort ging's hinauf zum Gabelbacher Wirthshaus, dem Kickel- hahn und dem Goethehäuschen. Hier mußten wir Rast machen. Den ganzen Tag schon war das schönste Wetter, kein Lüftchen regte sich. So wirklich „lieber allen Wipfeln ist Ruh". Die ganze Poesie und Innigkeit dieses Gedichtes überkam uns hier an seinem herrlichen Entstehungsort. Durch diese Gedanken und Betrach tungen waren wir theils bewußt, theils unbewußt in eine poetische Stimmung gerathen. Eine Nachwirkung zeigte sich in dem tiefgehenden und ergreifenden Vor trag von Mozart ,,^v« verum", daß wir Abends in Kammerberg-Manebach einem aus den verschiedensten Charakteren zusammengesetzten Publikum in der Kutscher stube des Kruges vortrugen. Eine solche Wirkung habe ich noch nicht erlebt, ist auch nur bei Mozart möglich. Am nächsten Tage spielten wir in Elgersburg auf der Veranda des Kurhotels, gerade als die Gäste von der Dubio ä'bow kamen. Auch hier schenkten uns die Damen wieder Rosen und Edelweiß, und der Umstand, daß zwei von ihnen für uns sammelten, füllte unsere „Klondike", wie mir scherzhaft unsere Reisekasse nannten, ganz hervorragend. Wundervoll mar es, als sich unser Andryczeck später als Kriegskamerad des Kurarztes ent puppte, und dieses Ereigniß mußte feuchtfröhlich be gangen werden. Neber Gehren, Großbreitenbach kom mend, hatten wir von Katzhütte bis Schwarzburg den Genuß, das obereSchwarzathal in sechsstündigem Marsche kenne» zu lernen. Von dort ging's im unteren Schwarza- thal nach Blankenburg. Trotz unserer Betheuerungen, daß wir „wirklich kainer Ungeziefer hoben", verweigerte man uns überall ein Nachtlager, so daß wir noch Nachts 11 Uhr nach Saalfeld fahren mußten. Hier fanden wir das billigste Nachtquartier der Reise. Infolge unseres erbärm lichen Aussehens verlangte der biedere Wirth für Bier am Abend, Nachtlager, Kaffee und Weißbrot 40 Pf. pro Mann. Müde der an sich schönen und poesievollen Wanderung, folgten wir jetzt der Einladung unseres Freundes L. nach Plauen im Vogtland. Bei unserer Ankunft regnete es in Strömen, und wir waren gezwnngen, vom Bahn hof die elektrische Bahn zu benutzen. Wie erstaunten wir, wenigstens äußerlich, als uns beim Verlassen des Wagens einige Kriminalbeamte ansforderten, einer „freundlichen Einladung zum Wachtlokal" Folgezu leisten. Ein kurzes Verhör, in dessen Verlauf man uns laut Depesche beschuldigte, 180 Mark in Köthen entwendet zu haben. Jetzt war es Zeit, unser Inkognito fallen >u lassen, und die Vertreter der heiligen Hermandad waren daran, wirklich erstaunte Gesichter zu machen, denn unter dieser Maske vermuthetensie nicht „Berliner auf Reisen." Vermischtes. * Ein entsetzlicher Nnglücksfall ereignete sich am l7. d. M. auf dem Ritterguts Bresewitz. Dort war die Dampf-Dreschmaschine in voller Thätigkeit, und der Rittergutsbesitzer Grosse, ein junger, erst seit kurzer Zeit verheiratheter Mann, begab sich an Ort und Stelle, ml den Verlauf der Arbeit zu überwachen. Dabei >etrat er den D resch kästen der mit voller Kraft arbeiten den Maschine, glitt aus und fiel mit dem einen Fuß in die Oeffnung der Maschine. Diese zermalmte ihm den Fuß bis oberhalb des Knies. Es war sofort ärzt liche Hilfe zur Stelle, und aus Greifswald eilte Herr Professor Helferig herbei, der das Bein amputirte. Der verletzte starb bald nach der Operation. * Einem ebenso dreisten wie witzigen Kurpfuscher ist der Berliner Privatgelehrte F. unlängst zum Opfer gefalle». Er wandte sich, da ihm die ärztliche Kunst ein Vertrauen einflößte, jüngst an den Grazer „Natur arzt" Dr. Grevenbergcr und ließ sich von ihm Alpen- novs, dessen Heilkraft bei manchen gläubigen Seelen lber allem Zweifel steht, in acht Sendungen zn je 32