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76 bereits durchgebracht, davon die Schuld auf sich zu laden, Seiner Gnaden natürlich nicht zuzumuthen war. Die gemeine Seele eines sterbenden Schrei bers schien dazu vollkommen hinlänglich. Der treue Landgerichtsdiener stürzt also eines Abends plötzlich in die Amtsstube, versetzt dem armen Oberschreiber mehrere Dolchstiche und läßt ihn blutend und als todt auf der Erde liegen, und eilt nun, einige Ge richtspersonen herbeizuholen, die über den Selbst mord des Schreibers ein Protokoll aufnehmen und unter diesen aufgeregten verdächtigen Umständen die Kasse aufschließen sollen, nachdem Seine Gnaden der Herr Landrichter alle Ursacke hätten, zu fürchten, daß es damit nicht richtig sei. Als aber die Commission eintrat, hatte der vermeintliche Cadaver sich schon wieder erhoben, und besaß noch so viel Kraft, in's nächste Haus zu gehen, wo er der Hülfe eines Arz tes übergeben wurde. Unterdessen entstand eine sol che Entrüstung bei den Einwohnern des Orts, daß der Herr Graf es für gut sand, mit seinem würdi gen Landgerichtsdiener die Flucht, und wohin sicherer, als nach München selbst zu nehmen. Niemand zwei felte, daß dieses aus unwiderstehlichem Drang gesche hen, sich ebendamals bei dem allgemeinen Aufgebot in eigener Person zu stellen. Man eilte, einen so schönen patriotischen Zug in der vaterländischen Ge schichte zu verherrlichen, indem man den Herrn Land richter zum Major, den Landgerichtsdiener aber zum Hauptmann der Landwehr ernannte, um bei dem formirten Generalstabe derselben in München zu ar beiten. Der Herr Graf erhielt überdieß das Kreuz des Civilverdicnstordens, der einzige Landrichter, dem eine solche Auszeichnung bisher widerfahren war. Vergeblich war im Laufe des ganzen Kriegs dem Schreiber alles Schreien und Wehklagen. Als aber mit dem Frieden der Herr Graf wieder außer Thä- rigkeit kam und sich noch mehrere schwere Klagen gegen ihn erhoben, so konnte endlich der Anfang ei ner Untersuchung nicht mehr ausgehalten werden, wel che der Landrichter Pölzel in Landshut zu führen und die den richterlichen Spruch zur Folge hatte, daß der Herr Graf als Major zu cassiren und auf die Festung zu setzen sei. Als aber das Urtheil zur Be stätigung vorgelegt wurde, war man darüber so er zürnt, daß man es unvollzogcn ließ und lieber dem fatalen Schreiber, der durchaus nicht schweigen woll te, zu Tölz ein Brauhaus schenkte, das wohl seine 40,000 Gulden werth sein soll. Lm Regierungsbezirke Amberg war ein Landrich ter, genannt von Betschard, der wegen schwerer Ver brechen und Betrügereien endlich in peinliche Unter suchung kam, welche sein Todcsurtheil zur Folge hat te. Im kurfürstlichen Kabinet erging aber für große Bezahlung ein Begnadigungsrescript dahin: daß, ob wohl nichts gerechter wäre, als ihn mit dem Schwer te vom Leben zum Tode zu bringen, Sr. Kurfürstli che Durchlaucht doch die Gnade wollten vorwalten lassen, und ihn, unter bestätigter Cassation als Land richter, dafür gleichwohl zum Hofgerichstrath (eine Reihenstufe höher) in Amberg wollten bestellen. Bei seiner Anmeldung zur Einführung im Hofgericht erklär te ihm der ehrliche Gerichtspräsident, daß das gcsammte Gericht beschlossen habe, seine Sitze zu verlassen, so bald er den Saal zu betreten wagen würde; daß man aber von seinem Dasein keine Kennrniß neh men , ihm auch den Besoldungsbezug gestatten wolle, sofern er sich ruhig verhalte. Mit Freuden nahm der glückliche Jnquisit das Anerbieten an, das ihm sein Leben um desto bequemer und arbeitsloser mach» te. Bald darauf ereignete es sich, daß der Kurfürst für die prima vouim seiner Maitressen e-«en Mann suchte, dessen Rang und Namen sie in Stand setzte, täglich in den vordersten Plätzen der Hoffähigen zu erscheinen, und die Winke des Sultans zu erlauschen. Die saubere Genossenschaft schlug hierzu den Malefi kanten von Betschard vor, der auf der Stelle, zu deS Städtleins Amberg höchstem Erstaunen, durch einen Courier mit der Ernennung zum Minister der ober- pfälzischen Provinz einberufen wurde, und einen eid lichen Revers ablegte, seine Scheingemahlin nicht im mindesten zu berühren. Es währte aber nicht lange, so wurde selbst dieser Frau die Nähe dieses Scheu sals so zuwider, daß sie in den Kurfürsten drang, ihr denselben vom Halse zu schaffen. Auf die Frage des Kurfürsten: Was soll ich denn aber um GotteS willen mit ihm anfangen? war die kurze naive Ant wort: „Laß ihn köpfen" und so erging denn noch selbigen Tages ein Kabinetsrescript an den Hofrath, welches ihm befahl, den Minister von Betschard we gen seiner vielfachen Verbrechen binnen dreimal 24 Stunden enthaupten zu. lassen, versteht sich, ohne vor- ausgegangene Untersuchung und Vertheidigung. Der Hofrath seinerseits that mit seinem Auftrage so drin gend und der Minister andererseits war so dumm und so feig, daß er nicht sowohl auf die Rechtswohl- that der Vertheidigung, sondern lediglich auf die