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Adorker Wochenblatt. Mittheil un gen über örtliche und vaterländische Angelegenheiten. Achter Jahrgang. Preis für den Jahrgang bei Bestellung von der Post S7 Ncugroschcn, bei Beziehung des Blattes durch Botcngelegenhrit SO Neugroschen. IT. Erscheint gebe Mittwoche. 26. April 18^43. Des Mannes Chre und der Denun- eiationsprozeß. Liebe und Ehre waren von jeher die edelsten und höchsten Kräfte, welche Menschen bewegten. Liebe umfaßt Aeußeres, Ehre Inneres. Beide sind, wie alles Menschliche, dem Wechsel der Ansichten, Mei- nungen und Bildungen des Bölkes unterworfen, sie unterliegen, sollen wir ein triviales Wort gebrauchen, der Mode. So scheint jene Liebe, welche man vor zugsweise: o Liebe! nannte, mit dem endlich abge droschenen Lafontänischen und Clauernschen Romanen aus den Köpfen der Schüler und Mädchen ziemlich verschwunden und einer weit vernünftigeren, der Gat ten- und Familienliebe gewichen zu sein. Menschen liebe, vor einiger Zeit unter dem Namen Humanität, jetzt unter dem Namen des Liberalismus gefaßt, ist die herrschende Idee der Zeit: auf dem Papier wenig stens; denn im Leben spürt man noch verdammt we nig davon. Gestützt auf den Satz: liebe deinen Näch sten, wie dich selbst, soll die neue Lehre christliche Gottesliebe practisch machen und den Menschen durch den Staat, wie die Kinder durch die Schule bilden: Heil ihr! Du aber, Vaterlandsliebe, neuerstandenes, erst seit Napoleons Druck uüd Sturz neucrkanntes Kleinod, lodernde Opferflamme, ängstlich bewacht vom Auge der Gewalt, einsamer Fels im Nebel der Gegenwart, wo bist du ? stürzen sie noch immer verzwei felnd herab, deine PriestH,.-Äe. neuen Addriche, oder bauen sie still deinen Tempel und hoffnungsvoll? Anders mit der Ehre. Wo fände sich jetzt ein Mann, der nicht sagte: meine Ehre. Freilich ist der Begriff davon verschieden; der hält das, jener jenes für Ehre; aber jeder Mensch hat doch Etwas, was ihm heilig ist: ein besseres Gefühl, dessen Verletzung ihm wehe thut, eine innere Meinung seines Werthes,! deren Anerkennung er bei andern voraussetzt und von ihnen verlangt. Der Eine hält darauf, Vermögen er worben zu haben und bewahren zu können, der An- vere freut sich der Stufe, die er mühsam der bürger lichen Gesellschaft abrang, ein Dritter sonnt sich im Glanze eines uralten Namens, ein Vierter stützt sich auf sein Talent, ein Fünfter auf sein Glück, ein Sechster gar auf seine Beschränktheit, ja, selbst der gemeinste Verbrecher, der Dieb, hat seine Ehre: er findet sie im Grade der Kühnheit und Gefahr bei der Begehung, der Festigkeit und List bei der Entdek- kung seiner Thaten. Was ist nun aber wahre Ehre? Liegt sie in der Parole: ein Mann ein Wort? — Nicht allein darin, obschon ein Mann von Wort zu sein, das erste Kennzeichen eines Ehrenmannes ist. Auch darin liegt die Ehre nicht, seine Pflicht als Die ner oder in besonderer Stellung zu thun, noch end lich liegt sie darin, für Thron und Altar und die In teressen Beider zu streiten; sie liegt lediglich darin, niemals schlecht und gemein zu sein, sich selbst und Andere zu achten, auf welchem Platz immer das Schick sal uns stellt. Das Ideal eines Ehrenmannes frei lich ist: frei zu sein von allem Sinn für Unrecht, streng zu sein gegen sich selbst, gerecht zugleich' und: mild gegen Andere; der rechte Mann findet sein Glück a' und seinen Werth nur im Bestehen des öffentlichen Rechtes und in der Größe seines Vaterlandes. Der! ist der Beste, der die Ehre seines Vaterlandes durch: sein eigenes Beispiel nicht schmälert und an sich nicht schmälern läßt. Das ist's, was die Franzosen und Engländer ziert. Zum Glück ist dieses Streben auch dem Deutschen nicht fremd. Seit dem Befreiungs kriege hat sich in Deutschland der Sinn für bürgerli che und National-Ehre mehr geklärt und verbreitet. Namentlich ist sich diese Richtung im Mittelstände be-