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Ne auch nur einen Augenona lang zauverte, dies erlösende I Wort zu sprechen. Ein hohles Brausen war auf einmal in ihrem Kopf. : Ihre Finger tasteten nervös aus der Lehne ihres Sessels ! hin und her. Und immer hämmerte derselbe Gedanke in ihrem Hirn, wie sie noch einmal einen allerletzten Ausweg finden könnte, um das zu gewinnen, was ihr in diesem Augen blick das Kostbarste dünkte: Zeit! — Selbst, wenn Alsleben wirklich schwieg, blieb ja noch immer die Klippe der Scheidung. Würde die Leidenschaft eines Mannes, dem schon die Frist einer einzigen Woche fast zu lang schien, auch diese probe überstehen, die Probe eines Aufschubs von drei, von sechs Monaten, ja vielleicht eines ganzen langen Jahres? Und wenn dann diese Scheidung überhaupt nicht zu- bande kam ? Ein kaltes Entsetzen krallte sich plötzlich um ihr Herz. Dann mußte etwas geschehen, das sie von dem Manne, »n den sie gefesselt war, befreite, und es kam ihr wieder der Gedanke, der beim Abschied Axels von Lessow heute abend zum ersten Male in ihr aufgedämmert war. Axel von Lessow! Sie -wußte in der Erregung des Augenblicks selber .richt, was sie eigentlich von ihm erwartete, sie fühlte nur, »a er zu ihr gehörte, daß er ihr Retter werden und sie be freien mußte aus den Maschen dieses furchtbaren Netzes, von denen sie sich immer enger, erstickender umstrickt fühlte. Eine verzweifelte Entschlossenheit schwoll auf eininal in ihr auf, alles zu opfern und alles zu wagen. Sie batte die dunkle Empfindung, als sei sie mit dem Saum ihres Kleides in die Speichen eines Rades geraten, das sie mit eiserner Kraft wiederstandslos, unentrinnbar in das Getriebe einer entsetzlichen Maschine riß. „Ich kann mich nicht so schnell in das alles hinein finden, was Sie mir da vorschlagen!" jagte sie endlich. »Auch ich sehe natürlich ein, baß wir handeln müssen, ehe rs vielleicht zu spät ist. Allein so überstürzt, wie Sie es wünschen und für möglich halten, bin ich nicht imstande, mich von Pahlowitz zu lösen. Man beargwöhnt mich dort bereits. Und wenn dann meine plötzliche Abreise mit Ihrer Absage zusammenfällt, so stehe ich für nichts. Ich bitte Sie daher, auch mir ein Opfer zu bringen und noch einige Zeit weiter auszuharren, selbst über den Tag Ihrer Verlobung hinaus. Und jedenfalls den entscheidenden Brief nicht eher abzusenden, als bis ich Ihnen Nachricht gegeben habe. Wollen Sie mir das versprechen?" Und sie bat und schmeichelte und schlang ihren Arm lockend um seinen Hals. Und nun kamen ihm zum ersten Male ihre Lippen ent gegen und erbebten beide in einem süßen, taumelnden Rausch, daß sie selbst in diesem Augenblick an eine tiefere Empfindung für ihn glaubte. Ihr schlanker, warmer Körper lag weich in seinen Armen, und sie fühlte, wie langsam jeder Wille, jeder Widerstand in ihm dahinschwand, wie sie die Stärkere war und die Siegerin blieb. — Da riß sie sich auf einmal los, und sah ihn an mit blitzenden stahlharten Augen. »Zch gehe am Samstag mit Ihnen nach England." 19. Kapitel. Als Hella sich gleich nach dem Abendbrot in ihr Zim mer zurückgezogen hatte, war die Baronin noch einmal durch den Park gegangen und hatte dann von der Terrasse aus in stiller Versunkenheit dem Spiel Dr. Reinwaldt's gelauscht, der sich zu Hertas Verlobung ein kleines Konzert- orogramm zusammengestellt hatte und die Muße des ein samen Abends zur technischen Durcharbeitung einiger be sonders schwieriger Vortragsstücke benutzte. Die nervös-gespannte Stimmung, die seit einiger Zeit iber Pahlowitz lagerte, hatte sich jetzt endlich auch der chönen Schloßherrin mitgeteilt, daß die dickleibigen Wirt- chaftsbücher heute lange unaufgeschlagen vor ihr auf dem Tische liegen blieben und sie statt der Prüfung der Milch- und Butterrechnungen allerlei nachdenkliche Betrachtungen um Vergangenheit und Zukunft entspann. Mit Alsleben war sie seit der Aussprache am See nur ein einziges Mal flüchtig auf dem Felde zusammen getroffen. Sie hatte eine Begegnung mir iym nicht gejucht, aber auch nicht gemieden. Seit langem jchon war sie sich darüber klar, daß sich der Eindruck des ersten Tages allmählich zu einer reifen Liebe, die ihr Schicksal kennen will und, muß und sich danach sehnt, gestaltet hatte. Sie fühlte sich zu ihm hingezogen mit der unwidersteh lichen Macht eines großen Heimwehs, und ihre Seele wurde still und ruhig, wenn sie auch in seinen Augen den Abglanz jenes Feuers zu erblicken meinte, das in ihrem Herzen mit einer jo keuschen, reinen Flamme glühte. Noch hatten sie kein Geheimnis miteinander, wie sehr sie auch ein letztes, entscheidendes Wort von ihm ersehnte, daß sie die jeltsam-spröde Zurückhaltung und Undurch dringlichkeit seines ganzen Wesens zuweilen fast mit einem leisen, eifersüchtigen Argwohn betrachtete. Um halb elf kam Dr. Reinwaldt wieder auf die Ter rasse, saß noch ein Viertelstündchen und ging dann bald nach seinem Zimmer hinauf. Der Mond stand jetzt gerade über der Lichtung des großen Vorplatzes: jein weißer zitternder Schein streifte über die üppigen Elyzinienhänge und die zarten, blassen Schatten gaben allen Linien einen eigenen, geheimnis vollen Reiz. Vom Park dufteten die Tannen betäubend stark herauf Es war jo still, daß man die alte Standuhr der Diele bis auf die Veranda ticken hörte. Wie etwas Drohendes, Dämonisches lag es in der ban gen Schwüle der unbewegten Luft. Da klang auf einmal ein leichter Schritt. Die Baronin blickte verwundert auf. Ein Helles Kleid leuchtete auf der Verandatreppe. „Guten Abend, gnädige Frau!" Trude Warkentin stand vor der Baronin, ohne Hur, wie sie von Hauje fortgelaufen war, und in einer großen weißen Hausschürze. „Ich wollte mich nur noch ein wenig nach Herta um sehen!" sagte sie entschuldigend. „Wir haben bis zum spä ten Abend eingekocht, und die alte Lene hat mich nicht früher fortgelassen." „Das ist aber sehr lieb von Ihnen, Fräulein Trudchen!" war die freudige Entgegnung. „Herta hat schon den ganzen Tag nach Ihnen gejammert!" „Dars ich noch einmal zu ihr hinaufgehn? Es ist zwar schon ziemlich jpät, aber sie hat noch Licht!" Die Baronin hielt Trudes Hand noch immer in der ihren: von der wundervollen Frische des jungen Mädchens ging es wie ein belebender Strom auf sie über. „Meinetwegen, liebes Kind! Doch plaudern Sie mir nicht mehr zu lange. Ich komme selbst bald einmal herauf und bringe Ihnen noch etwas zum Naschen!" Mit einem leisen Seufzer nahm die Baronin jetzt ihre Bücher zur Hand und begann die gewohnnte Prüfung. Alsleben hatte in der letzten Zeit für Süßrahmbutter eine neue Verbindung nach Berlin angeknüpft und mit dem Vertreter einer Buttergroßhandlung einen sehr gün stigen Verkaufskontrakt abgeschlossen. Gleich die ersten Abrechnungen ergaben eine nicht un erhebliche Mehreinnahme gegenüber den früheren Liefe rungen an die in Konkurs geratene Wartenberger Ver einsmolkerei. Auch der Ertrag der Schweinemästerei war unter sei ner umsichtigen Verwaltung beträchtlich gestiegen: überall stieß sie auf seine fest durchgreifende Hand, und während sie die mächtigen Seiten des Hauptbuches umblätterle, schien es ihr auf einmal, als blickten ihr seine klaren blauen Augen mit einem Ausdruck stillen Ernstes aus den langen steilen Kolonnen der schwarzen Zahlen entgegen. Dann stand sie am Büffelt des Speisesaales, füllte für die beiden Mädchen Konfekt und Früchte auf eine Kristall- jchale und ging damit die Treppe der großen Halle zum ersten Stock hinauf. Die Tür zu Hertas kleinem Reich war nur angelehnt, ein schmaler Lichtstreis fiel in das Dunkel des Korridors; zugleich damit klang erregtes Sprechen, von halbunter drücktem Schluchzen begleitet, aus der Tiefe des Schlaf zimmers, daß die Baronin unwillkürlich lauschend ihren Schritt hemmte. (Fortsetzung jolgt^