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HchmM-GuWckrTaqÄMim-AMM Nr. 123 Sonnabend, den 30. Mai 1931 1 Beilage Das Wort liegt bei Deutschland YourWan-MraloriM durch die WittlWett überholt Parole: Sprengung! Von Paul Oskar Seidl Wenn von Tributen und Schulden gesprochen wird, richten sich aller Augen nach Amerika, als ob von dort die Entscheidung komme. Den Schlüssel zu ihr halten die USA unbestreitbar in der Hand. Betrachtet man die Frage aber nur aus dem reparationspolitischen Gesichtsfeld, dann zeigt sich, daß der Anstoß zu der amerikani schen Echlüsselbewegung sür die Öffnung der Entlastungstore von Deutschland gegeben wer den muß. Das Auftreten Hoovers gegenüber der glan zenden Vollversammlung der Internationalen Handelskammer zu Wafhington, lein beinahe ojsen ausgesprochenes Verbot der Behandlung der Tribut- uns Kriegsjchuldenprobleme, ent sprang nicht nur einer einsichtslosen amerikani schen Halsstarrigkeit sondern einer gewissen Zwangslage. Amerikas Haushalt wird am 30. Juni mit einem Fehlbeträge von rund vier Milliarden Mark abschließcn. Die Kriegsschul denzahlungen der Freunde der Vereinigten Staaten belaufen sich jährlich auf eine Milliarde Mark Zinsen und Amortisation. Dazu kommen noch 40,8 Millionen Mark vermischte Ansprüche und 25,3 Million n Mark Besatzungskosten l!) aus Deutschland. Auf diese Summen möchte der amerikanische Finanzminister angesichts des Fehlbetrages natürlich nicht so ohne weiteres verzichten, zumal er damit die amerikanischen Kriegsanleihen verzinsen muß, sür die im Falle des Echuldenverzichts demnach Stcuergelder zu erheben wären. Selbst wenn die Amerikaner von der Notwendigkeit überzeugt sein sollten, daß der Krieg für sie nicht nur Gewinne, son dern endlich auch wirtschaftliche Opfer verlangt, übrigens solche, die sie angesichts ihrer wucheri schen Kriegslieferungsrechnungen leicht bringen könnten, kann man von ihren Politikern schon aus innerpolitischen Rücksichten nicht ein Ange bot auf Schuldennachlaß erwarten, der für uns eine Tributermäßigung bedeuten würde. Frank reich und England unternehmen gegen Amerika leine Schritte, da sie sich der Gefahr ausgesetzt sähen, als böswillige Schuldner angesehen zu werden. Das Wort liegt bei Deutschland. Auf uns lastet die größte Plage und das willkür lichste Unrecht. Wir haben längst Recht und spä ter sogar die Pslicht gehabt zu rufen: So gehts nicht mehr weiter. Schluß mit den Tributen! Eine Möglichkeit, eine solches Wort mit der Tat zu begleiten, bot bisher immer noch der Poungplan mit seinen Bestimmungen über die deutschen Ausschubrechte. Betrachten wir sie näher, dann müssen wir sofort erkenne», daß die hier gegebenen Möglichkeiten angesichts der gegenwärtigen Notlage uns keine allgemein be lebende Entlastung mehr bieten können. Roh gerechnet müßten wir zur Beschäftigung von fünf Millionen Arbeitslosen ebcnsoviele Milliarden Mark flüssig machen. Weder in Form van er höhten Steuern noch von Krediten können wir sie bereitstelle», brauchen allerdings auch gar nicht de» ganzen Betrag verfügbar zu habe», weil die entscheidende» Belebu»gsanteile der Ge samtsumme im Wechselspiel der wieder gesunden- sden Wirtschaft aus Arbeit und Kauf und Ver ¬ brauch entstehen würden. Dennoch kann uns nur mit Summen geholfen werden, die weit über eine Milliarde Mark hinausgehen. Welche Geldbeschaffungsmöglichkeiten bieten nun die Aufschubbestimmungen des Poung- plans? Die ganze im Rechnungsjahr 1930/31 aufzubringende Tributsumme beläuft sich auf 1793,2 Millionen Mark. Davon sind 1041,6 Millionen Mark die eigentlichen Reparations zahlungen,' 66,3 Millionen Mark machen die schon ermähnten Besatzungskosten und anderen Tributzahlungen an Amerika aus, die den, Poungplan noch angehängt wurden; 21,5 Millionen Mark entfallen auf die belgischen Markrückzahlungsforderungen und 86,7 Millio nen Mark auf den Dienst für die Dawcsanleihc. Diese, die Zahlungen an Belgien und 612 Mil lionen Mark der Poungplanzahlunacn gelten vertragsmäßig als „geschützt", sollen also aus jeden Fall gezahlt werden. Die amerikanischen Sondertribute und die verbleibende Milliarde Mark des Hanger Planes würden den Aufschuö- bestimmungen unterworfen werden können. Diese gliedern sich in einen Transferaufschub und den eigentlichen Zahlungsaufschub. Die An meldung für die aufschiebbare Noung-Milliarde muß mit 90tägiger Frist erfolgen. Wir könnten die Überweisung der Zahlungen in Devisen oder Mark an die BIZ bei unver züglicher Kündigung frühestens von, September ab um zwei Jahre aufschieben; später müßten sie also nachbezahlt werden. Die an »ns schon ab April 1932 hcrantretcnden »enen Iabrcszahlungen können wir dann ebenfalls , noch aufschieben, aber mir uni ein Jahr. Die nufgeschobenen Summe» müssen wir mit eine:» Prozent über den Reichsbankdiskont, höchstens (!) mit 5stL Prozent verzinsen. Die aufgescho benen Rcichsmnrkbeträgc sollen wir aber i m m e r n o ch a u f K o n t o d e r B I Z bei der Neichsbank cinzahlcn und dürfen sie erst nach Vereinbarung mit der BIZ für Anlagezwecke benutzen, soweit sie nicht für Sachlieferungen in Anspruch genommen werden. Von den transfer ausgeschobenen Summen können wir nach einem Jahr dann auch die Zahlung von 50 Prozen' oder nach Beratung mit einem dann fälligen internationalen Sonderausschuß mehr ausschie- bcn. Später bricht dann eine wahre Sintflut aufgelaufener Zahlungsverpflichtungen über uns herein. Aber darüber brauchen wir uns wirklich nicht den Kopf zu zerbrechen. Ebenso wie der ganze Zahlungsplan sind auch die M orations b e - st i m m ungen des Poungplanes dur ch die Wirklichkeit l ä n g st überholt worden. Die Anmeldung des Moratoriums, unter dem die Transfer- und Zalstungsaufschub- bestimmungen verstanden werden, brächte zu nächst eine Entlastung, wen» wir von den be fürchteten Kündigungssturm in kurzfristigen Krediten einmal abjehen. Eine Änderung unserer Gesamtlagc würde dadurch aber auf kei nen Fall ermöglicht. Das Risiko der plötzlichen kurzfristigen Krcditentziehung und damit eine schwere Gefährdung unserer Währung darf heute nicht einmal mehr als lohnend betrachtet werden, geniessen an dem wirklich zu erringenden Erfolg durch genaue Beachtung des Poungplans Deutschlands verantwortliche Politiker haben mit diesem Aushilfsmittel zu lange gewartet Nun ist es dafür zu spät geworden. Daraus er wächst sür die deulsche Politik an und sür sich noch kein Vorwurf. Für ihre Haltung sprach die Rechnung auf die Einsicht des Auslands, daß der Plan an und sür sich verfehlt ist, und daß er zu Bon Irinnen und Sranßen Berlin, vierte Maiwoche Also — nun ist der große Wurf gelungen oder doch der Anlauf zum große» Wurf gekom men. Zur selben Zeit, da die skaggengeschmück- tcn kleinen Dampfer die Havel hinauffuhren, um gedrängte Haufen gespannter Menschen aus froher Blütenfahrt nach Werder zu bringen, hat sich's entschieden: Im Jahre 1936 wird dcr Schauplatz der „O l y m p i a"-Spiele — Ber lin sein . . . Na, wenn solche Nachricht ein trifft, soll man da nicht in Begeisterung er beben? Soll man nicht begeistert und klassisch zugleich gespannt sein? So klassisch, daß sich die Begeisterung des nun einmal im alten Stil humanistisch Gebildeten durchaus nur in der Form „Elegischer Distichen" ausströmen kann. Und da mich in meiner stillen Schreibstube keiner daran hindert, so möchte ich sie im klassischen Versmaß- hinströmen. Endlich, du herrliche Stadt, durch welche die s köstliche Spree fließt, Wird der Ruhm dir zuteil, der deinem Wachs- ftum gebührt! -fach „olympischem" Bild im peloponncsischen sElis, Das zum Alpheus herab Tempel um Tempel I gestuft, Wirst du strahlend ersteh'» als wcltbeglückende IJeststadt, Die mit dem Ölzweig des Siegs Läufer und sSpringer bekrönt. „Gottes-Friede" wird sanft nach altertümlichen > Vorbild Glätten und sänftigen rasch deiner Parteien s Gezänk. Statt des olympischen Zeus', de» des Phidias (kunstreiche Hände Einst aus Elsenbein und lauterem Golde ge-' sformt, Wird, erhebend den Kranz, das metallische sWeib Berolina Grüßen die scstlische Schar, so dir zum Hclden- skampse naht. Und dein Grunewald wird, erhoben zum „Hei- sligen Haine", Endlich von Sipos gefegt. Fort mit dem s Stullenpapier! Unter den Linden der Weg, den der König ffuhr, Aman Mlah, Wird den glänzenden Zug strotzender Muskeln (beschau'», Den zu besingen im Chor (ihr Schoßkind ist sja die Lyrik!) Kräftig die Akademie deutschester Dichter sich smüht. Heil, mein begnadet Berlin! Nun ist deine sZukunft gesichert, Da zu der Liebe der Welt Gnade der Götter ssich fügt. llnd der Völkerhirt Sahm, die Helden all s überragend, Spricht zur Begrüßung gewiß köstliche Worte swie die: Ob der Jahrtausende Sturm, die Wut der sFeinde ii» Gaskrieg, Je deine Mauer» zerstört, tilgend den Kur- sjiirstendamm, Wie unter Curtin«- einst, dem deutsche» sForscher in Hellas, Trümmer der heiligen Stadt stiegen erinnernd s empor, Wie vom Tempel des Zeus im gesprungenen sStein der Metope» Tief unter Gräsern und Schutt Herakles' s Arbeit erstand, Wie des Praxiteles Gott und des Gläonios sNike, Weiß in der Marmorpracht, schmutzige», Boden (entstieg, Also werden vielleicht die siegreichen Völker sdes Ostens, Gelb und augengeschlitzt, buddeln im Boden (nach dir, Finden die Zeichen der Zeit, do glorreich (Curtius „der and're" Dich als Minister beglückt (oder in (Sens sich (vergnügt), Finden den traurigen Rest der Siegesallee (und des Reichstags Unter den Hügeln von Gras hinrer der jchlän- igelnden Spree. Schilder auch, rätselvoll draus Adlon vielleicht sand Kempinski Prangt in bröckelnder Schrift, mahnend an s gastlichen Schmaus. Und ein wissender Mann spricht zu den Söhnen sdes Ostens: Hier stand „Olympia Zwei", Perle Europas, »Berlin! Drei Jahre denk' ich, ist es her, daß ich de» heiligen Boden des alte» Olympia in der Land schaft Elis mit breiten Touristenstieseln betrat. O herrliche, unvergeßliche Fahrt! Freilich Olympia selbst? Eigentlich für den nicht zu Studieuzwecken hierher Reisenden ein Triim merhausen unter Gras und Steinen — ein Un wirklichkeit, die viel Phantasie erfordert. Denn im Tempel der „Altis", in den Heiligtümer» des Zeus und der Hera liege» ein paar Funda- mc»te frei, ei» paar dorische Säulen herum, und unzählige große Schildkröten i» der Umgebung recke» aus Gebüsch und kaum sehr gesundem Sumpfland die langen Hälse und wundern sich beträchtlich, was die als so klug verschrienen Menschen an diese», Klamottenhaufen zu be staune» si»den, den Überschwemmungen, Erd beben und Räuber von Hellas' heiliger Stadt »och übrig gelassen haben. Freilich geschützt in modernen schmucklosen Häuschen stehen ein paar unsterbliche Götter, der Hermes des Praxiteles, die Nike des Gläonios. Aber wenn man, den in Strömen fließenden Schweiß von der Stirne wischend, auf Steinen über das armselige Wässerchen des Alpeios hinüberbalanziert, die wartenden Wagen wieder zu erreichen, freut man sich auf die neue Meerfahrt zu neue» Küsten und ist beglückt, diesen im Grunde trau rige» Trümmern entfliehen zu können . . Nun wird im Jahre 1936 Olympia wieder er stehe». Ne», anderes und in Berlin! Und sollte ein alter Grieche, der das klassische Olympia ge kannt hat, in glückhafter Wiedergeburt dieses neue Olympia durchwandeln, so wird er einen Ausspruch tun, jenem Urteil des Ungarn ähn lich, der seinen toten Vater malen ließ und, er- grUfen vor dein Bilde stehend, zustimmend sprach: „Serr scheen, serr jcheen — ober liebs Voterl, host du dich verändert." Nebenbei be merkt hat der überlebensgroße Oberbürgermeister Dr. Sahm in seiner allerneusten Rede verspro chen, an der Erhaltung des alten schönen Ber liner Stadtbildes nach Kräften (und er hat Kräfte) mitzuwirken. Wie er das in fünf Jahren machen will, wenn aus dem Berlin von heute ausgerechnet „Olympia" werden soll — da kann man begierig sein! . . . Jedenfalls noch rechtzeitig für das Gesellschaftsbild, das die Tribünen und die Eesellschaftsräume des Stadions zeigen sollen, beschäftigt man sich jetzt in Paris mit einer interessanten Umgestaltung der Fraucnmode. Die Schneider dort, die nicht wünschen, daß die Militärs Frankreichs allein die Welt beherrsche», habe» beschlossen, als Frauenklcidung für die wirklich mondäne Frau bei Tage die Hose durchzusetze» — während das Abendkleid dasielbe bleibe» io» wie dos jetzige. Ma» kann sich auf die neue Mode freue». Be sonders breitbüftige Dame» werden emzückend aussehcn in Len Pantalons und zweifellos aus dem Sportplatz des neuen Olympia von 1936 mit den „Epbeben" des Olympia von 300 v. Ehr. — mindestens von stark Kurzsichtigen — verwechselt werden. Da ich mich selbst in den weiblichen Modcdingeii nicht so sicher und „ge bildet" fühle, so habe ich eine mondäiie Frau, die von solchen Dingen und den letzen Raffine ments der Mode mehr versiebt, um Rat gefragt, wie sich wohl die Frauenwelt nach allem, was ihr in vergangenen Jahrhunderten in der Mode angetan worden ist, zu solcher Frage und solcher Entscheidung stellen werde. Und die schöne Frau har zu mir gesagt - Das sind die seine» Zeiten, Die schauernd die Chronik nennt: Da hat man wohl die beiden Geschlechter schars getrennt. Da hat man der schwachen Weiber Im Rate kaum gedacht; Cs warf die Männerleiber Dem Feind ciitgegen die Schlacht. Da war ich geduckt und rechtlos In Tagen, roh und rauh Heut bin ich am Tage geschlerhtloz Und abends wieder Frau! Dan» käme» die veilchenblauen Tage, die Amor regiert — Da haben sich gleich den Pfauen Mit Prunk die Weiber geziert. Als Schöpfungsdelikatesje Ward unsre Liebe bestellt Und Madame la Maitrejse Beherrschte lächelnd die Welt. Dem Lebe» der Helden und Großen Gaben wir Glanz und Stil Heut trag' ich am Tage Hosen Und abends nicht eben viel. Und hat mit herrlichen Strophen Der Minne Sang gekrönt; Uns haben die Philosophen Bescholten und verhöhnt; Uns gab Geschmeid und Pfründe So mancher Fürst als Lohn; Und als Gefäß der Sünde Hat uiis der Mönch gesloh'n. Doch was sic geklagt und geschrieben In Wonne, Zorn und Leid Wir sind dieselben geblieben In Haie >>nd Abendkleid! Diogenes.