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„Da stimmt etwas nicht," entgegnete Marshall gereizt. „Ich werde die Sache einmal untersuchen. Rufen Sie den anderen unten zu, daß sie sich nicht darum kümmern sollen, wenn die Alarmglocke anschlägt. Ich muß einmal das Fenster aufmachen, um genauer nachsehen zu können." Er drehte das Licht ab und öffnete das Fenster. In demselben Augenblick schrillte unten die Glocke. Auf diesen Moment hatte Schwarzhemd gewartet. Während sich Marshall weit hinauslehnte und vergeblich versuchte, in der Dunkelheit etwas zu entdecken, öffnete Schwarzhemd unter dem höllischen Spektakel der Alarm glocke unbemerkt ein anderes Fenster, zu dem er an einer Regenröhre emporgeklettert war. Im nächsten Augenblick war er im Hause. Der schwerste Teil seiner Aufgabe war gelöst. Kaum hatte er das Fenster geschlossen und den Riegel wieder vorgeschoben, als auch unten die Alarmglocke wieder schwieg. Offensichtlich hatte Marshall sein Fenster ebenfalls geschlossen. Schwarzhemd befand sich nun in einer gefährlichen Lage. Er war mit einem Detektiv und drei Wächtern allein im Hause und konnte der brutalen Gewalt nur die Schärfe seines Verstandes entgegensetzen. Wenn sie ihn entdeckten, gab es keine Möglichkeit mehr, zu entkommen. Sie würden jetzt sicher mehr als je auf der Hut sein, nachdem sie schon zweimal alarmiert worden waren. Und selbst wenn es ihm gelang, die Perlen sicher in den Schrank zurückzulegen — wie sollte er wieder aus dem Hause kommen? Er zuckte die Schultern. Tas mußte sich eben später finden. Zunächst war es notwendig, die Kette an Ort und Stelle zu bringen. Er befand sich in der dritten Etage, über ihm lag nur noch das unbewachte Dachgeschoß, unter ihm sah Jamieson. Marshall selbst hielt sich in dem Raum auf, in dem die Hochzeitsgeschenke verwahrt wurden. Schwarzhemd hatte bei seinem ersten Aufenthalt im Hause dies alles genau beobachtet, aber die Anordnungen konnten ja inzwischen geändert worden sein, und vielleicht befand sich augenblicklich einer der Posten in seiner aller nächsten Nähe. Dieser Raum mußte allerdings leer sein, sonst hätte sich Wohl jemand gemeldet, als er durch das Fenster kletterte. Er hatte zwar versucht, so lautlos als möglich einzusteigen, aber einem Wachtmann in der Nähe wäre das Geräusch nicht entgangen. Hier war er zunächst sicher, wenn Marshall nicht auf den Einfall kam, die oberen Stockwerke zu durchsuchen. Er schlich sich zur Tür und lauschte. Plötzlich schlug sein Herz hörbar, denn er hörte Schritte auf der Treppe. Der Detektiv war beunruhigt und wollte sich durch eine Runde im Hause persönlich davon überzeugen, ob auch alles in Ordnung war. Schwarzhemd mußte sich nun schnell ver bergen — aber wo? Er leuchtete mit seiner Taschenlampe im Raume umher. Zwei Sekunden genügten, um ihm die Lage klarzu machen, aber er seufzte, denn der Raum war leer. Es blieb Schwarzhemd nichts anderes übrig, als einen alten Trick anzuwenden. Er drückte sich Himer die Tür, als Marshall eintrat. Hätte der Detektiv die Tür noch zwei Zentimeter weiter aufgemacht, so hätte er den Mann berührt, den er suchte. Aber Schwarzhcmd hatte Glück. Die weitgeöffnete Tür verdeckte ihn, als das Licht aufstrahlte. Der Detektiv sah niemand, drehte den Schalter wieder ab und schloß die Tür. Schwarzhemd hörte, daß auch alle anderen Räume des Stockwerks untersucht wurden. Kurze Zeit später stieg Marshall zum Dachgeschoß hinauf. Diese günstige Gelegenheit machte sich Schwarzhemd sofort zunutze und schlüpfte geräuschlos aus dem Zimmer. Als der Detektiv die Tür der Dachkammer ziemlich laut wieder schloß, hatte Schwarzhemd schon das Treppen podest des zweiten Stockwerks erreicht. In einem der Zimmer war Licht. Jamieson saß dort, den er eben erst durch das geheimnisvolle Klopfen alarmiert hatte. Die Sache war einfach genug gewesen: er halte nur einen Stein an einen Bindfaden gebunden und dieses Pendel leicht gegen die Fensterscheiben schlagen lassen. Er nahm den Rauch einer Zigarette wahr, aber Jamieson selbst konnte er nicht sehen. Er richtete seine ganze Gedankenkraft darauf, daß der Wächter in diesem Augenblick sich nicht umsehen sollte. Um das nächste Stock werk zu erreichen, mußte er an der offenen Tür vorbei, aus der der Lichtstrahl fiel. Wie ein Blitz huschte er vor über und wartete dann einen Augenblick mit angehaltcnem Atem. Aber er hörte kein Geräusch, keinen Alarm. Jamie son war ja auch viel zu sehr damit beschäftigt, seine Zeitung zu lesen. Lautlos glitt Schwarzhemd den nächsten Treppen absatz hinunter und stand kurz darauf in dem Raum, wo die Hochzeitsgeschenke aufgestellt waren. Im nächsten Moment öffnete er den Safe, legte die Perlen hinein und schloß ihn wieder. Gleich daraus klopfte es heftig an die Haustür. Schwarzhemd fluchte, als er hörte, daß Marshall mit schweren Schritten die Treppe herunterpoltcrte und daß einer der Wächter zur Haustür eilte und sie öffnete. Wieder mußte er sich verbergen, aber hier war die Sache einfacher. Seine Wahl fiel auf eine der Fenster nischen, die von schweren Tamastvorhängen verdeckt wurden. Trotz seiner gefährlichen Lage mußte er lachen, als er von unten die wütende Stimme Sir Allen Tunns hörte. Inzwischen war Marshall auch an der Haustür an gekommen und sah erstaunt auf den Besucher. „Zum Teuscl, Marshall, Sie haben mich mit Ihrem Anrus wirklich genügend erschreckt! Was soll denn das bedeuten?" fragte Sir Allen aufgebracht. Ter Tetckliv sah den anderen argwöhnisch an und kniff die Äugen zusammen. Einmal halte er sich in dieser Nacht schon hinters Licht führen lassen und dieser Schwarzhemd war sicher kühn und frech genug, sich nach weiterer Beute umzusehen. „Treten Sie bitte näher," erwiderte er so liebens würdig als möglich, warf aber gleichzeitig dem Wacht mann einen vielsagenden Blick zu, so daß sich dieser un beobachtet hinter Sir Allen schlich. „Welches Telephongespräch meinen Sie denn?" fragte Marsball freundlich. Sir Allen lochte vor Wut. „Mann Gottes, haben Sic mich vielleicht vor etwas mehr alS einer Stunde nicht angerusen? Ein Jahr lang habe ich gebraucht, um diese kostbaren Perlen zu sammeln, und Sie sagen mir, daß dieser verdammte Schwarzhemd sie wahrscheinlich gestohlen hat!" Marshall zweifelte nun nicht länger daran, daß er Sir Allen vor sich hatte, aber trotzdem wollte er keine Vor sichtsmaßregel außer acht lassen. „Verzeihen Sie, Sir Allen, aber ich muß mich diesmal davon überzeugen, daß Sie es wirklich sind." Ter Hausherr sah den Teteltiv verblüfft an. „Aber kennen Sie mich denn nicht, wenn Sie mich sehen?" „Nun, ich habe das erstemal auch geglaubt, Sic seien es," entgegnete Marshall zweifelnd. Sir Allen lachte resigniert. „Jetzt verstehe ich all mählich, wie es möglich war, daß sich Schwarzhemd mit dem Perlenhalsband davonmachen konnte! Aber ich will mich überzeugen, ob er nicht noch mehr mitgenommen hat." Er wollte die Treppe hinaufgehen, aber der Detektiv trat ihm in den Weg. „Entschuldigen Sie, Sir Allen — aber —" „Was wollen Sic denn noch?" explodierte der andere. „Bevor ich Sie in das Haus lasse, möchte ich mich doch erst vergewissern, daß Sie in der Tat Sir Allen sind. Ich kann nicht noch einmal Gefahr lausen." Tas war znviet für Sir Allen. Er lachte hbsterisch auf. „Sie haben ja im Grunde recht, Marshall, ober das geht denn doch zu weit." Er riß seine Brieftasche heraus. „Sehen Sie hier - und hier — und hier —" Marshall war nun überzeugt und trat zur Seite, während Sir Allen zum Empfangssalon hinaufeilte. Er trat an den Safe und öffnete ihn rasch. Als er aber hineinschaute, runzelte er plövlich die Stirn. Tann nahm er ein Juwelenelui heraus und machte es auf. Sir Allen richtete sich aus und sah den Terektiv, der dicht binter ihm stand, durchdringend an. „Was soll denn daS beißen?" sragte er. Marshall konnte nicht mehr sprechen: er starrte nur ratlos auf die glänzenden Perlen. Er hätte jeden Eid dar aus leisten können, daß der Einbrecher vorder das Etui in die Tasche gesteckt Katte. „Tann — dann hat Schwarzhemd das falsche Etui genommen," brachte Marshall schließlich hervor. (Fortsetzung folgt.)