Volltext Seite (XML)
Liebhaber- und Erwerbsobstbau. Es hat im deutschen Obstbau eine Zeit ge geben (und sie liegt noch gar nicht so weit hinter uns), in der man einen förmlichen Sortenkultus trieb und in Fachzeitungen und auf Obstaus stellungen den Liebhaberobstbau einseitig und übermäßig betonte. Diesem Umstande ist es zu zuschreiben, daß wir unter einem Wirrwarr von Obstsorten leiden und daß ost der Obstabsatz in manchen Gegenden nicht recht ins Geleise kommen will. Wenn man daher in der letzten Zeit den Erwerbsobstbau mehr in den Vorder grund gerückt hat und die Obstzüchter vor dem Anpflanzen vieler Sorten warnt, so ist dies nur dankbar anzuerkennen. Leider fällt man dabei manchmal aus dem einen Extrem in das andere; es sieht ost so aus, als wollte man den Lieb haberobstbau auf die Seite schieben oder gänzlich unterdrücken. Dies wäre aber ein großer Fehler, denn diese Betriebsart des Obstbaus hat wie der Erwerbsobstbau ihre Berechtigung, es handelt sich nur darum, beide scharf zu scheiden. Die nachfolgenden Ausführungen sollen dem Zwecke dienen, Liebhaber- und Erwerbsobstbau in ihrem gegenseitigen Verhältnis zu vergleichen und zu beleuchten. Sowohl der deutsche Pomologenverein wie auch vieleLandesvereine (der sächsische inbegriffen) haben unter den zahlreichen Sorten eine Aus wahl getroffen und Sortimente aufgestellt. Ver schiedene Bezirks-Obstbauvereine sind in lobens werter Weise noch weiter gegangen, indem sie in ihrem Kreise eine weitere Beschränkung der Sortenzahl vorgenommen haben. Nun erscheinen aber doch alljährlich neue Obstsorten. Tie meisten davon sind ja minderwertig, aber manch mal ist doch etwas Gutes darunter. Wie sollen wir uns den Neuerscheinungen gegenüber ver halten? Es wäre doch entschieden falsch, jede Neuheit ohne weiteres abzulehnen, falsch schon aus dem Grunde, weil doch erwiesenermaßen verschiedene alte gute Sorten angefangen haben zu degenerieren. Wir müssen als sicher aunehmen, daß über kurz oder lang noch diese und jene Sorte von demselben Schicksal betroffen wird, und da brauchen wir Ersatz. Bedenken wirdoch, daß unsere besten Sorten (Gravensteiner, Gute Luise usw.) auch einmal Neuheiten waren! Es bleibt also weiter nichts übrig, als eine sorgfältige Beobach tung und Prüfung der Neuheiten vorzunetzmen. Wer soll aber diese ausführen? Der Erwerbsobst bauer kann und darf keine Experimente machen, er hat nicht die Zeit und wohl auch nicht die Lust dazu. Er soll nur erprobte Sorten in be schränkter Anzahl anpflanzen. Ta ist es der Liebhaber, dem die Aufgabe zufällt, die neuen Sorten zu prüfen und damit dem Erwerbsobst bau vorzuarbeiten. Der Liebhaber scheut dabei weder Kosten noch Mühe, und wenn auch sein Urteil über eine neue Sorte nicht immer richtig ist, so stellt sich doch durch vielseitige und lang jährige Beobachtung und Vergleichung der Wert oder Unwert einer Neuheit heraus. Was von den Obstsorten gilt, bezieht sich auch auf das Ausprobieren neuer Gerätschaften und Werkzeuge sowie von Mitteln zur Schäd lingsbekämpfung. Auch hier kann der Liebhaber dem Erwerbsobstbauer von großem Nutzen fein. Durch den Liebhaberobstbau wird ferner die Kenntnis des Obstes und der Obstsorten ver breitet und dadurch der Obstkonsum gehoben. Verfasser kann hierüber aus eigener Erfahrung reden. Während z. B. in seinem Bezirke die Leute früher außer lokalen Sortennamen höchstens noch Kaiser Alexander und Rettich- und Weizen birnen kannten und ihren Odstbedarf ausschließ lich durch den umherziehenden Händler deckten, wissen sie heute nicht bloß viele Sorten nach ihrem Namen zu nennen, sondern sie kennen auch den Wert oder Unwert derselben. Und so manche Familie bezieht heute für ihren Bedarf nur noch besseres Obst in größeren Posten. Der Obstbauverein Siegmar aber besteht hauptsächlich nur aus kleinen Obstzüchtern. Mit der Kenntnis des Obstes steht auch die Obstverwertung in gewissem Zusammenhang. Wer sind die Leute, die unsere Obstverwertungs kurse am meisten besuchen? Sind es nicht in der Hauptsache die Frauen und Töchter der Be sitzer kleiner Gärten, die ihre selbsterbauten Er zeugnisse wie Fallobst, Beeren, Gemüse usw. sür den späteren Gebrauch nutzbar zu machen suchen? Bei der Gegenüberstellung beider Betriebs arten des Obstbaues verdient auch noch ein anderer Punkt der Erwägung. Es gibt Gegen den in unserem Vaterlande, wo gewinnbringender Erwerbsobstbau gar nicht mehr oder nnr noch in ganz beschränktem Maße betrieben werden kann. Das ist die nächste Umgebung großer Städte. Wie kann der Obstbau eine Rente-ab werfen, wenn das Quadratmeter Gartenland 10—20 M., ja sogar manchmal noch mehr kostet? Ist es nicht erfreulich, daß trotzdem die Besitzer teurer Grundstücke immer noch so viel Interesse an unserer Sache besitzen, daß sie wenigstens einige Formbäume in ihrem Garten anpflanzen! Und wenn in einem Orte beispiels weise 30 Besitzer kleiner Gärten sind, von denen jeder durchschnittlich 10 Obstbäume anpflanzt und Pflegt, ist nicht der Effekt so ziemlich der selbe, als wenn ein einziger Obstzüchter sich 300 Bäume zulegt? Und wer nur so viel Bäume pflanzt, daß er damit den Obstbedarf sür sich und seine Familie deckt, der handelt doch auch in völkswirtschastlichem Sinne, indem er kein Geld HWauvereins: Dresden-A.,Krunaer Str. 18, Hei. 18358. -MH