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66 Schau in Aussicht genommen ist, dem Vorstande mitzuteilen, um darnach weiteres bezüglich der Inanspruchnahme des Geschäftsführers und der Obstbauwanderlehrer vereinbaren zu können. Was die Märkte betrifft, fo wird unter Bezugnahme auf die Ausführungen in der Sitzung des Landesausschusses anheim gegeben, solche, wenn auch in kleinerem Umfange, namentlich in dicht bevölkerten Jndustriegegenden und hier nicht bloß in Städten zu veranstalten, um den breiteren Massen den Konsum tunlichst zu erleichtern und auch möglichst einen direkten Bezug vom Erbauer herbeizuführen. Großenhain, am 15. April 1911. Der Vorstand des Landes-Gbftbauverems für das Königreich Sachsen, vr. Uhlemann, Vorsitzender. Seidenbau in Sachsen. Von Prof. Or. R. Gasch. Vor kurzer Zeit hat ein Fräulein Anne v. d. Eken in München (Clemensstr. 26) eine Flugschrift über den Seidenbau in Deutschland veröffentlicht, die zur Gründung eines deutschen Seidenbauvereins anregt und über die Geschichte der Seidenraupenzucht in Deutschland bemerkens werte Angaben bringt. Nun geht ja schon aus der Tatsache, daß jetzt in Deutschland keine Fabrik die Kokons kauft und haspelt, hervor, daß der Seidenbau zurzeit im Reiche fast erloschen ist. Um so bewundenswerter ist es aber, wenn eine Frau jetzt den Mut besitzt, für ihn ein zutreten. über 60 Millionen Mark bezahlt Deutschland alljährlich für rohe Seide an das Ausland, 32 bis 35 M. für das Kilo ostasiatischer, 40 bis 45 M. für das Kilo italienischer Seide. Wäre es nicht möglich, einen Teil dieses Bedarfs im Jnlande zu decken, durch die Arbeit wirtschaftlich fchwacher Kreise der Bevölkerung? Französische Auswanderer brachten die „Seidenwürmer" Ende des 17. Jahrhunderts nach Brandenburg, wo später unter Friedrich dem Großen Millionen von Maulbeerbäumen gepflanzt wurden und wo allein im Jahre 1785 über 13000 Pfund Gespinste geerntet wurden. Eine Seuche vernichtete die Zuchten, Kriege und schlechte Behandlung die Anpflanzungen. Mitte des vorigen Jahrhunderts erneuten sich aber die Versuche Der Seiden fabrikant Heese und der Gartenbaudirektor Lenn 5 gründeten in Steglitz b. Berlin eine Maulbeer anlage von 35 000 Bäumen als Grundlage einer umfangreichenZuchtinBrandenburgundPommern. Heese verkaufte das Schock einjähriger Maulbeer sträucher für 75 Pf. bis 1 M., das Schock vier jähriger Schulbäume für 11 bis 13 M., starke Alleebäume für 1 M. das Stück. Damals fanden viele kleine Leute in der Zucht einen schönen Nebenverdienst, auch größere Unternehmungen gelangen gut. Der Kaufmann Schiff in Potsdam erntete z. B. von sechs Morgen mit Maulbeerbäumen bepflanzten Landes 800 Metzen Kokons im Werte von 760 Talern. Auf 1 Lot Eier rechnete man etwa 30 000 junge Raupen und 50 bis 60 Metzen Kokons. Wiederum kam eine Seuche, und heute ist wohl von dem.. Brandenburger Seidenbau nichts mehr übrig. Ähnlich ging es in Sachsen. Hier gab es in Pillnitz schon 1694 gut entwickelte Maulbeerbäume, 1755 wurden in Hosterwitz 10 Scheffel Land mit Maulbeeren bepflanzt und 1770 von Staats wegen die Seidenzucht überall empfohlen, ja sogar später im Seminar zu Dresden- Friedrichstadt als Lehrgegenstand eingeführt. Auf Kirchhöfen, an Wegen, in Gärten und öffentlichen Anlagen wurden in ganz Sachsen Maulbeeren angepflanzt, und noch jetzt finden sich nicht bloß in Hosterwitz, sondern auch anderwärts in Sachsen stattliche alte'Bäume von morus uldu, der weißen Maulbeere. Zwar wurde die Hofter- witzer Plantage um 1800 aufgegeben, doch entstand in Sachsen unter der Schutzherrschaft der Gemahlin des königlichen Botanikers Friedrich August um die Mitte des 19. Jahr hunderts ein Seidenbauverein, der zunächst noch Erfolg hatte. Und doch ist auch vom sächsischen Seidenbau nichts mehr übriggeblieben! — Hat es nach solchen Mißerfolgen überhaupt noch Zweck, auf den Seidenbau'zurückzukommen? Es ist schwer, diese Frage in aller Kürze hier zu beantworten; ich will deshalb nur in ganz großen Zügen meine Ansicht entwickeln. Nach den oben angeführten Zahlen hätte die Einführung des Seidenbaues eine gewaltige volkswirtschaftliche Bedeutung. Die Zucht der Raupen muß ferner als eine Nebenbeschäftigung betrieben werden, die nur von etwa Mitte Mai bis Anfang Juli dauert, eine Zeit, zu der auf dem Lande billige Kräfte und leere Räume dafür zu haben find. Großbetriebe mit besonderen Arbeitern können mit dem billig arbeitenden Italien überhaupt nicht in Wettbewerb treten. Für eine arme Familie oder alleinstehende alte Leute und Frauen wäre eine so schnell verdiente Einnahme von 20, 50 oder gar 100 M. selbst