Volltext Seite (XML)
169 steht. Wie entstehen die Frostplatten? Wenn im Frühjahr die Sonne höher steigt, so erwärmt sie die braunen Baumstämme, der Saft steigt in den Zellen, nachts aber bringt der Frost den Zelleninhalt zum Gefrieren. Das gefrorene Wasser dehnt sich aber aus und deshalb werden die Zellenwände gesprengt. An diesen Stellen sinkt dann die Rinde ein. Zeigen sich an der Südseite mehrere solcher Frostplatten, so wird die Gesundheit des Baumes außerordentlich ge schädigt. Wird aber im Januar und Februar der Stamm mit Kalkmilch angestrichen, die dünn aus srischgelöschtem, reinem Kalk mit Wasser hergestellt wird, so wird die schnelle Erwärmung des Stammes und damit die Saftzirkulation in den Zellen zurückgehalten, denn während die braune Rinde die Sonnenstrahlen begierig aufschluckt und sich also rasch erwärmt, werden durch den weißen Kalküberzug die Sonnenstrahlen zurückgeworsen, der Stamm bleibt kühl. Nur dann aber schützt dieser Kalküberzug, wenn er bei trockenem, frostfreiem Wetter angewendet wird, denn durch Regen wird er leicht abge waschen und bei Frost, wenn dieser eintritt, ehe der Kalkanstrich abgetrocknet ist, blättert der Kalk überzug leicht ab. Aber selbst den nach und nach abplatzenden Kalkteilchen schreibt man noch eine Wirkung zu: sie düngen nämlich. Kalk ist ja der wichtigste Stoff, der in jedem Boden zum Zersetzen der mineralischen Dungstoffe vorhanden sein muß: wo kein Kalk, da kein Leben, kein Gedeihen, kein Wachstum! Erreichen wir durch den Kalkanstrich das, was wir von ihm erhoffen? Die Antwort darauf lautet leider „Nein". In welchen Punkten versagt der Kalkanstrich? Der Kalkanstrich ist kein Schutz- und Abwehrmittel gegen die hinter der Borke ruhenden Insekten, weil diese so geschützt liegen, daß sie der Kalkanstrich nicht erreicht. Die meisten Raupen sind zudem durch ein Ge spinst geschützt, das wässerige Flüssigkeiten nicht durchläßt. Insbesondere ist der Kalkanstrich den Schildläusen völlig unschädlich. Der Kalk verschließt schön die Ritzen und Fugen ihres Aufenthaltes und bereitet so den Schäd lingen ein behaglich warmes, geschlossenes Winter quartier. Aber auch die Tiere, die von der Kalk milch getroffen werden, gehen keinesfalls ein, denn erstens ist die Kalkmilch nicht so ätzend, daß sie die Tiere tötet und zweitens blättert sie bald ab oder wird vom Regen abgewaschen. Obst- maden und Blütenstecher sitzen verborgen zwischen den Borkenschuppen. Sie werden von dem Mittel gar nicht getroffen. Sie können durch den Kalkanstrich also gar nicht behelligt werden. Nicht einmal den Eiern des Ringel- und Schwammfpinners schadet der Kalk, vr. Lüstner-Geisenheim machte folgenden Ver such: 4 Eierschwämme des Schwammspinners mit der Rinde, auf der die Eierschwämme lagen, wurden so lange in einen 60°/oigen Kalkbrei ein getaucht und hin- und herbewegt, bis sie voll ständig vom Kalk ein gehüllt waren. Sie kamen dann ins Freie. Vom 19. bis 30. April schlüpften alle Räupchen aus. Der Kalkanstrich hat nur verhindern können, daß sie nicht schon am 12. April, wie die nicht mit Kalkmilch behandelten Eier, die Räupchen entließen. Weil der Kalk milch die Eigenschaft fehlt, sich durch tote Rinden partien zu treiben, kann sie auch als Bekämp fungsmittel für Schädlinge und Insekten keines wegs angesprochen werden! Im Gegenteil! Weil die Kalkmilch alle Ritzen und Fugen sorg fältig verkittet, so bildet sie für das Infekt eine Schutzmauer gegen die Winterkälte. — Die ab platzenden Kalkteilchen als Dung anzusehen, ist ganz unrichtig, denn erstens fallen die Kalk plättchen in der Nähe des Stammes nieder, wo sich keine Saugwurzeln befinden und dann ist die Zufuhr an Kalk, die der Boden erfährt, so gering und unbedeutend, daß sie gar nicht ins Gewicht fällt. Daß der Hasenfraß oder bester die Hasenbenagung durch den Kalkanstrich ver hütet wird, ist ein frommes Märchen, das im Volke sehr Wurzel gefaßt hat. Aber alljährlich kann der Obstgärtner die Beobachtung machen, daß trotz des Kalkanstriches die Rinden benagt werden. Gegen Hasenfraß nützen nur etwas die stark riechenden Stoffe. Ich habe gute Er fahrungen gemacht mit dem Einreiben der Stämme mit Wurstfett, das von der Wurstsuppe abgehoben wird. Was nützt der Kalkanstrich? Nach Vill ist er das beste Mittel gegen den Maikäfer und zur Bekämpfung der Schnecken und Larven der fchwarzen Kirschblattwefpe. Auch die Moose und Flechten weiden von ihm vernichtet. Seine hauptsächlichste Bedeutung hat er jedoch als Frostschutzmittel, wenn er nicht im Herbste, wohl aber Januar und Februar ö f te rs angewendet wird. Die weiße Farbe schützt die Bäume im Frühjahr gegen eine zu starke Erwärmung durch die Sonne. Aber der Kalkanstrich ist umständlich. Der Kalkanstrich nützt nämlich nur dann etwas, wenn der Baumstamm vorher gründlich mit der Baumscharre bearbeitet worden ist. Jeder kann aber die Beobachtung machen, daß die Baum scharre meist ganz falsch gehandhabt wird, daß sogar die grünen Rindenteile mit abgekratzt werden; die meisten denken nicht daran, daß nur die wirklich abgestorbene Rinde entfernt werden darf. Der Baum erhält durch die An wendung der Baumscharre in ungeübten Händen viele Wunden. Dem Kalk ist es aber unmög lich, in die toten Rindenpartien einzudringen und diese zu lockern. Daher sehe sich jeder nach einem Zusatz zur Kalkmilch um. Höstöauvereins: Dresden-A., Krunaer Str. 18, M. 18358.