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Nr. 100. Pulsnitzer Wochenblatt. — Sonnabend, den 19. August 1916. Seite 6. so weit, daß ste sich sogar ihre» Hauptmanns nachher kaum noch erindern, nur der Leutnant oder der Un teroffizier, der ste anführte und anfeuerte, ist ihnen als schemenhafte Gestalt im Gedächtnis geblieben. Furcht oder Angst sind ihnen daher während der Schlacht unbekannt, das Kampffieber hat ste derart er- griffen, daß für andere Gefühle und Erwägungen kein Raum mehr ist. Von diesem Gesichtspunkte aus las sen sich auch die Nahkämpse verstehen, dis oft stunden lang hin- und herwogen, ohne daß das Gefühl der Todesangst oder der TodeSnähe die Truppen in ihrer KampfeSwut zu beeinflussen vermag. Da» Beispiel ihrer Vorgesetzten ist dabei von höchster Wichtigkeit, jeder Zeichen der Schwäche, das ein Vorgesetzter gibt, kann die ihm unterstellte Truppe wir aus einem Traume auffahren lasten, und ihr den Sieg entreißen, weshalb für jeden Truppenführer in der Schlacht die „eiserne Selbstzucht" da» höchste Gesetz ist. * (Die „gute Partie" einer deutschen Prinzessin.) Die Frau der Exkönig» Manuel ist wohl jetzt die unglücklichste Frau in England. Sie lebt fast wie eine Gefangene ganz einsam auf ihrem Schloß. Sanz England haßt ste wegen ihrer deut schen Geburt und der britische Adel läßt keine Gele genheit vorübrrgehen, um st« zu demütigen, während man Manuel und selbst seiner Mutter Diner» gibt Detektiv» und Scotland Aard beobachten die Prinzes sin ständig. Die katholische Kirche hat im Mittelal- ter keine strengere Excommunikation durchgeführt, al» die englische Gesellschaft jetzt gegen die Gemahüu der portugiesischen Thronpräsendenten. Sie, die gedacht hatte, ihren Mann einrm soliden Lebenswandel zuzu führen, mußte nur zu bald einsehen, daß er seine Freuden und seinen Zeitvertreib lieber bei Varirterdir- nen suchte, al» bei ihr, Lie er für engherzig erklärte. Sie zieht den Aufenthalt am eigenen Herd vor, Ma- nuel hingegen die Boudoir» der Schausp elerinnen und die Spieltische de» Klub». Ganz England weiß, daß ihr Vater und ihre Brüder im deutschen Heere mitkämpfen. Al» der Krieg aurbrach, nahm man alle ihre Diener gefangen und sogar die Zofen.wur- den ihr fortgenommen. Damals wurde eine Wache um da» ganze Schloß gestellt, damit auch nicht die geringste Nachricht hrrausgelangen konnte. Kein Mensch nennt sie mehr Königin. * (In Jene lebt sich'» bene.) Auch im Kriege. In dieser Zeit der KrisgsnohrungSnöte er lebt man in der thürtngschen Musenstadt an der Saal», sein Wunder. Jena hat seinen Ruf von alterZher al» Stätte behaglichen Genießen» bis zur Stunde zu wahren verstanden. Ich war auf alle», nur nicht aus diese Preise und die Fülle von angenehmen Dingen gefaßt, die Leib und Seel« zusammenhalten. Jetzt, wo ich wieder in dem teuren Berlin den Kampf um» Brot, Fleisch und die Butter aufzunehmen habe, ziehe ich mit Wehmut die Mittag»- und die Abendkarte ei ne» der ersten Gasthöfe von dem gesegneten Jena hervor und überzeuge mich nochmal», ob sich der Kell ner nicht geirrt hat. Zu seinem Schaden. Aber da steht e» schwarz auf weiß: „Blumenkohlsuppe 25 Pf., lebendsrische Forelle mit Zitrone 1 M. (in Worten: eine Mark), 100 Gramm Pökelzunge mit jungen Scho ten 1.50 M., junge Mastgans mit Gurkensalat 2.25 M.» 125 Gramm Mast - Kalbtnierenbraten mit Blumenkohl 1.20 M." Soll ich weiter erzählen von den preiswerten Herrlichkeiten der Abendtafel? Kalbs braten mit Butter 1 M, ff. Mastgans mit Butter 2,25 M. La» sogen. Mmü: Blumenkohlsuppe, Fo- rslle, Mastgans, Blumenkohl, Rhabarderspeise, alle» zusammen füt bare .1.75 M. Oder: Blumenkohl suppe, ged. Rotzunge mit Krabbentunke, Blumenkohl mit Kartoffeln, Mastgans oder MastkalbSrücken mit Kirschen, Rhabarberspeise für 2.50 M. Oder soll ich von dem Inhalt einer „fleischlosen" Mittagskart« er zählen? Lebendfrische Schleie 1.20 M., ger. Lach» mit jungen Kaiserschoten 150 M., Butterpilze mit neuen Kartoffeln 50 Pf. Ich kann mich aber nur auf Andeutungen beschränken und hervorhsben, daß GÄLmMeikLMl EMlLMGM iüoickmdnciLiücly Zig-LrKiien. !>x MOMkENLrs I-lLdsZILdS? prsis^ k 3X- -4 5 s Q IO M -4 2 6'6 IO 12 ps.Z.ZtücK. MD D-usttret! die Speisekarten von einer verblüffenden Reichhaltig keit sind. An Butter, Eiern und Milch hat es keinen Mangel. Ein Milchhändler erklärte mir, er hätte seine Not, „das Zeug" lorzuwerden. Bayrisch.Bier von bekannter Güte und billig wie im Ursprungs land. Auch sonst in den VsrkaufSläden staunt man : hat denn dje KriegSnot am Ende unser Jena über sehen? Oder kommt e? nur daher, daß weniger Gäste kamen, als man erwartet hat? Soviel ich aber in meiner „Aula Vimarienstk Jenenfis" — nur die Lo- kal- und Latein kündigen werden die klassische Schlem merstätte wiederverkennen — festzustellen vermochte, herrschte, wa» der Berliner nennt: Betrieb. Also er- klärt mir, Graf Oerindur, dieses Rätsel der Natur... - . » sr Lest forgfältigst die Zeitung! Unkenntnis amtlicher Verfügungen — schützt nicht vor Strafe! — — Marktpreise zu Kamenz am i7 August 1916. Für Roggen, Weizen, Hafer, Stroh, Butter und Kar toffeln gelten die gesetzlichen Höchstpreise. Preis für 50 kx höchster) niedrig. Preis Mk. Korn Weizen — Heu 50 Kilo 7.50 3.50 Gerste Hafer 20 — 15.- Stroh 1200 Pfd.Zchü.^ —.— Kartoffeln —-— —- — Landbutter 1 KZ; —.— Handelsbutter 1 KZ —.— Eier Stück 20 Pf. Marktpreise kür Scbwsins unv Serksl in Kamenz am 17. August 1916. Läufcrsch weine pro Paar: Ferkel pro Paar: Durchschnittspreis — Mk. Durchschnittspreis 80 Mk. - « - 65 „ „ — „ „ 50 „ Auftrieb 181 Ferkel, — Läufer. — Für ausgesuchte Ware Preise über Notiz. Voraussichtliche Witterung. 20. August: Zunehmend bewölkt, ziemlich warm, Ge witterregen 21. August: Ziemlich warm, vorherrschend wolkig, Regen, vielfach Gewitter. Später kühler. Iugendveranstaltungen. Pulsnitz und Pulsnitz ms. Sonntag, den 20. August, abends 8 Uhr: ILnglingsverein: Gemeinsamer Besuch der Missions-Ausstellung Zusammentreffen pünktlich 8 Uhr vor der Schule. Mhorn. Sonntag, den 20-August, nachm. punkt V22 Uhr: Spielplatz: Wehrturnen unter militärischer Leitung. Leiter: .Herr Hellriegel. Kirchen-Aachrichten. Großnaundorf. Sonntag, den 20. August, 9. n. Trinitatis: 9 Uhr Predigigottesdicäst (Tert: 1. Mos. 39, 1-5). 2 „ Unterredung mit den letzten drei Jahrgängen der konfirmierten Jugend. 3 „ Jungfrauenverein 8 „ Jünglingsverein. Lichtenberg. Sonntag, den 20. August, 9. n. Trinitatis: '/,g Uhr Gottesdienst mit Predigt. 3 „ Begräbnis. Mberlichtenan. S 0 n n t a g, den 20. August, 9 nach Trinit.: 9 Uhr Prcdigtgottesdienst. Pastor Oe. Stange-Pulsnitz. Reichenbach. S 0 n n t a g , den 20. August 9. n. Trinitatis: ^,9 Uhr Predigtgoitesdienst Anschließend Ktndergottesdienst. Ariegsbet stunden: Pulsnitz. Mittwoch, den 23. August, abends 8 Uh . Kriegsbet stunde. Pastor l.ic. Stange. Großnaundorf. Donnerstag, den 24. August, abends st,9 Uhr Kriegsbetstunde. Gbergersdorf. Mittwoch, den 23. August, abends 8 Uhr Krisgrbetstunde. Oberlichtenau. Mittwoch, den 23. August, abends st,9 Uhr Kriegsbetstunde. Kriegsroman non Charlotte Wilbert. - 81 schaftsgebäuden inS Schloß und wieder zurück. 235,20 ist, wo wir so beisammen sitzen. Wenn der König das Vater land ruft, dann zieh ich als Erster hinaus in den Kampf für die Freiheit. Bis spätestens morgen mittag haben wir mo bil. Das ist todsicher. Aber ich freue mich, freue mich wie toll, daß ich mitziehen darf in den Siegeszug Deutschlands." „So wollen wir heute zusammen mit dem Freundesfest das Abschiedsfest feiern, auf frohes, glückliches Wiedersehen!" So sprach Franz von Brixdorf und nochmals stießen die Gläser aneinander: „Auf Sieg — auf Frieden— auf Wie dersehen!" Noch lange saßen sie beisammen, die Freunde, die in der Hochschule des Lebens ihre Freundschaft gestählt und geläutert hatten. 11. Kapitel. In den Hauptstraßen Berlins, besonders Unter den Lin den, herrschte ein maßloser Trubel. Die Menge staute sich fast, so dichtgedrängt und eingezwängt standen Männlein und Weiblein, Alte und Junge auf den breiten Trottoirs, und selbst mitten auf den kolossalen Fahrstraßen war auch nicht ein Fußbreit mehr Platz. Alles johlte, sang, schrie, stampfte und schnaubte, und wehe dem, den Mutter Natur in ihrer Allgüte mit ihrer schönen Gabe Korpulenz ausgestattet, ganz heil, ohne Wunde oder rot und grün verstoßene Glieder kam der Aermste nicht heim, denn einer schob den anderen mit energischen Püffen und Rippen stößen vorwärts und seitwärts und noch rückwärts; doch wei ter wie ein lebendiges Knäuel schob und wälzte sich die Menge bis vor das königliche Schloß. Es war der 30. Juli. Dieser unvergeßliche Tag, der jedem Deutschen mit Flammenglut in die Seele gebrannt ist, jener Tag, an dem Alldeutschland sich erhob, einstimmig, partei los, siegestrunken, und seine starke, kernige Faust, die das deutsche Schwert der Einheit hielt, reckte, um seine Feinde, die mit frecher Habgier, mit Neid und Mißgunst gegen uns aufgeftanden, in den Grund zu schlagen, Deutschlands Ehre und Freiheit, die Wohlfahrt des Volkes für alle Zeiten zu sichern. Jede Minute erwartete man mit brennender, steigen der Ungeduld die Mobilmachung. Ordonnanzen in Autos und auf Fahrrädern rasten hin und her, von den Gesaudt- „Siehst Du," sprach Phili, als Brixdorf geendet, „es ist ein Glück, daß es so gekommen ist. Dich hat es vor weite ren: Unglück, vor dem Zerwürsnis mit Deiner Tante bewahrt, bat die Ehre Eures Namens geschützt und hat Dich mir als Freund, als teurer, lieber Freund wiedergeschenkt." „Ja, Phili, voll und ganz als Freund, wie es früher, seit unserer Kindheit Tagen war. Dieses unglückselige Duell, Gott, was hätte daraus werden können? Du mußt nur ver zeihen, Phili, aber ich war zu verblendet, ich mar — mar — ja Du hast recht, Phili, ich war ein — Esel!" „Aber Mensch, Du mußt mir verzeihen, ich habe Dich ja verwundet. Ich konnte nichts dafür. Ich hatte mir sofort oor- genonnnen, schon an dem Tage, als Deine Sekundanten zu mir kamen, einfach ins Blaue zu schießen. Und nun traf ich Dich doch! Du glaubst kaum, ich war wie gemartert den gan zen Tag, ich — ich machte mir Vorwürfe! Na, lasten wir die Geschichte ruhen, freuen wir uns, daß wir unsere Freund schaft wieder haben, Fränzel, und nun wollen wir sie aber auch ein bissel begießen, von neuem feiern, die Wiedergeburt tanien, was?" Er klingelte dem Diener und sofort stand die treue Haut schon auf der Schwelle, nach des Herrn Befehl fragend. Uebermütig, lachend rief Graf Gordis: „Na, mal los, Hein rich! Heute wollen wir Taufe feiern, hole mal so 'ne ganz exua feine Flasche herauf, Du weißt ja, welche ich meine!" Schmunzelnd nickte Heinrich mit dem Kopf und trabte mit Licht und Schlüsselbund ausgerüstet hinab in den Keller, in dem der Wein lagerte. Heinrich nannte voller Ueberzeugung den Ort „seine Schatzkammer," was auch tatsächlich ganz richtig ist, denn die Kollegen des Grasen Gordis stimmten alle inst dem guten Heinrich überein, daß des jungen Gordis Weinkeller ganz vorzügliche Tröpslcin des edlen Trauben- saftes enthielt, die ihnen ebenso mundeten wie auch unserem Heinrich! Als nun Phili mit leuchtenden Augen den perlenden, schäumenden Sekt in die Gläser goß, da griff er lachend zu einem dritten, goß es voll und reichte es dem verblüfften Hein rich: „Da, alter Beschützer des häuslichen Herdes, trinke auch Du auf unserer neuen Freundschaft Wohl! Na, greif zu! Also Prosit! Prosit! Hoch die edle Göttin der Freund schaft, die uns Menschen vereinigt hier aus Erden, die uns selig macht! Ein dreifaches Hoch sei ihr geweiht!" Leise, melodisch klangen die Gläser der beiden Freunde zu sammen. „Hörst Du den Klang der Harmonie, der unsere Freundschaft bindet," zitierte er lachend und Brixdorf fügte, dem Freunde in's Auge sehend, hinzu, „der Freundschaft, die nach wirrem Kampf von neuem froh sich findet!" „Ah, Fränzel, Du bist ja auch Poet! Na, ich bin erstaunt über Dein schlagfertiges Genie." Der alte Heinrich schlürfte bedächtig, in einer Ecke stehend, seinen Sekt die durstende Kehle hinunter. Es tat ihm au ßerordentlich gut das prikelnde, feurige Getränk, denn er schnalzte förmlich mit der Zunge und seine linke Hand fuhr immer in kurzen, rhythmischen Bewegungen über die Ma gengegend, wie so die Kinder tun, wenn ihnen die Mama etwas Leckeres ins Plappermäulchen steckt und sie im Hoch genuß des Geschmackes rufen: „Ah, wie gut! Aah!" „Na, Heinrich, alter Freund, Dir schmeckt wohl das Wasser da nicht?" „Wasser — Wa — wasser? Schmeckt mer vortrefflich, Herr Graf! Schö — Schönsten Dank auch für — für die Gü — Güte!" Er hatte sein Glas geleert und verließ nun unter nicht gerade exakt ausgeführteu Bücklingen das Zimmer. „Na, dem Bruder scheint der Sekt schon in den Schädel zu steigen," meinte Graf Brixdorf lächelnd. . „O, laß ihn nur, es is 'ne treue, ehrliche Haut, mein Hein rich. Freilich, der Champagner, was eigentlich seine Haupt passion ist, der rumort ihm gründlich im Brummschädel. Na, so schweres Zeug is der ja uit gewohnt. AVer laß ihn nur. So 'n kleiner Schwips schadet nichts, er kann sich gleich nach her in die Penne legen und seinen Rausch nach Herzenslust auspennen. Prosit!" „Wieder wurden die geleerten Gläser gefüllt mit dem ed len „Wasser." „Sag, Franz, es kann sein, daß es diesmal das letzte Mal