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Nr. 91. Pulsnitzer Wochenblatt. — Sonnabend, den 29. Juli 1916. Seite 6. Reserve-Infanterie - Reainrent Nr. 212. Klengel, Max, Gefr. 1. Komp. Lichtenberg, schwer verw. u. a. 27. 6. 16 i. e. Feldloz. pest. -Herold, Georg, 7. Komp., Pulsnitz, I. v., Kops. Schöne, Hugo, 10. Komp. Groß öhrsdorf. schw. verw. l Kwe. 12. Kamp Schmidt >v, Alfred. Gfr. Haus walde, l. v. Förster !V, Albert. Hauswalde, schm v. Großmann Kurt, Pulsnitz, gefallen. 12. Häger-Bataillon Nr. 12. Steglich, Max, 4. Komp. I. v., Rücken. Reserve-Infanterie-Regiment Nr 26Y. Kayser, Otio, 1. Komp. Pulsnitz, vermißt. Lrsatz-InfanLerie-Regiment Nr. 32 Thomas, Max, 9. Komp. Hauswalde, ins. Uns. schw. verletzt. Reserve-^eldartillerie-Regiment Nr. -0. Bullinz, Otto, Utffz. 8. Batterie, Hüslich, l v. Kopf. Grenadier-Regiment Nr f. Mütze, Alfred, 9. Komp. Großröhrsdorf, l. v. Vermischtes. * (DerMut zum Schicksal) Unter den Fami liennachrichten einer angesehenen Zeitung Westdeutschlands erschien vor einigen Monaten folgende Anzeige: .Den Hel dentod fürs Vaterland erlitt am 16. Januar durch einen Minenschuß mein innigst geliebter, treuer Bräutigam und guter Vater meines Kindes, der Gefreite Hermann Schulze, Kaiser-Alexander-Garde Infanterie-Regiment Nr. . . ., In haber des Eisernen Kreuzes, im Alter von 22 Jahren. — In tiefer Trauer: Anna Lehmann, als Braut nebst Kind. Familie Lehmann. Essen, 2. Februar 1916. — KriegUrau- ung konnte nicht mehr ersolgen, da ihn der Tod zu früh er eilte." Aus der Banalität des Anzeigenteils einer Zeitung tritt ein Schicksal auf uns zu, von der Wucht und Einfach heit, die die Antike für das Gesetz ihres Schicksalstragödien forderte. Dem Heldentum draußen aus den brausenden Schlachtfeldern stellt sich ein anderes drinnen in den stillen Stuben der Heimat würdig entgegen Auf dem Scheitel ei nes jungen Weibes erglüht die goldene Märtyrerkrone; un bescholtenes, aber kraftvolles Bürgertum findet den Mut zu tapferer Vorurteilslosigkeit. Ehrfurcht steht neben solchen Geschehen. Aber ein banger Blick schwellt in die Zukunft und fragt: »Mutz auch in solchen Falle der Buchstabe des Gesetzes walten, der rechtliche Nachteile schafft, wiewohl bas moralische Recht doch nicht — oder wenigstens nicht anders als rein formal — verletzt ward? Und ist der Mut zum Schicksal da, wo höhere Gewalt eingriff, nickt der Funktion des Standesbeamten gleich zu werten?" Schwere Fragen schafft der Krieg, die aus plumpen Füßen über die Erde tap pen. Irgendwo im All schwingt eine Antwort und wartet, daß sie vernommen werde. « Lest sorgfältigst die Zeitung! Unkenntnis amtlicher Verfügungen schützt nicht vor Strafe! — " "(Heirat-plänedeSserbischenThron- folger»? Mtt Ujjal" schreibt: Die Londoner Reise dr» serbischen Thronfolgers Alexander entsprang dem Wunsche de» Königs Peter, daß sich der Kronprinz verheirate. Kronprinz Alexander wurde in London vom englischen KönigSpaor sehr freundlich ausgenom men, doch fiel e» allgemein auf, daß Prinzessin Mary sich an keinerlei Festlichkeit beteiligte, zu der der Kron prinz zugezogen wurde, und daß sie sogar, vielleicht au» diesem Gründe, London verließ. * (Kirchhofs-Kartoffeln) Nach Blätter meldungen sind jetzt auf dem Kirchhof von Nrarden in England Kartoffeln anstatt Blumen gepflanzt worden. * (Drei Monats Gefängnis für Milch- panischere i.) NührungSmittelverfälschungen wer den in dieser ernsten Zeit billigerweiss mit den zuläs sig schärfsten Strafen belegt. Ein Molkereibesttzrr in Berlin-Schöneberg, der seiner Milch nachweislich 20 bis 30 Prozent Wasser zugrsetzt hatte, wurde zu 3 Mo naten Gefängnis und außerdem zu 3000 Mk. Geld strafe v rurteilt. Der Staatsanwalt erklärte, der An geklagte habe gemeingefährlich gehandelt und nahezu einen Verrat am Vaterland« begangen, da er seins verwässerte Milch auch der Fürsorgestell« für Säug linge liefert«. Aas Gold dem Vaterland! Ei« Führer durch die Fragen der Gegenwart Ein merkwürdiges Zeichen unsrer Zeit — und gewiß keins von den schlechten — ist die tiefgehende religiöse Bewe gung der Geister. Viag sie v-elen „Rechtgläubigen" von rechts und von links ein Greuel sein, weil solche Bewegung vieles, wenn nicht gar alles in Frage stellt, woran ihrer Üeberzeu- gung nach nicht gerüttelt werden sollte, — die Tatsache dieses Rüttelns besteht einmal, und Leben ist Bewegung. Wem sollte da nicht ein fachkundiger Führer willkommen sein, der uns in dem Wirrsaal der aufeinanderplatzenden Meinungen und der „Fälle" (Jatho, Kraatz, Vollmeer, Traub, Heydorn, Heyn usw. „ohne Hatz und Eifer" zurechtweist? Einen solchen ausgezeich neten Führer finden wir in dem neuesten Jahres-Supplement zu Meyers Großem Konversations-Lexikon (des Gesamtwertes 24. Band"), worin wir auch dis religiösen Kämpfe der Gegen wart ausgiebieg berücksichtigt finden. Das beweist schon der neun Spalten lange Artikel „Kirchenwesen (evangelisches) in Deutschland", der durch seine kühle Sachlichkeit jeden Gebilde ten ungemein wohltuend berühren und durch seine Sachkunde fesseln mutz. Ergänzend zur Seite oder gegenüber steht ihm der Artikel „Römisch-katholische Kirche", der natürlich auch den bayrischen Jesuitenerlatz ausführlich bespricht. Das Widerspiel der in diesen Artikeln geschilderten kirchlichen Bewegung, der „Monismus", findet Berücksichtigung in einem kurzen Bericht über den Hamburger ersten internationalen Monistenkongreß. Ie länger wir in dem schön ausgestatteten Bande blättern, um so mehr erkennen wir, welche unerschöpfliche Fundgrube der Belehrung hier dem Gebildeten wiederum geboten wird. Es wäre ein Leichtes, dies durch Hunderts von Beispielen zu er härten, doch beschränken wir uns darauf, einige wenige Fragen herauszugreifen. Der Artikel „Börse" berichtet über die neue sten einschlägigen Gesetze, Verordnungen, Usanceänderungen usw., der Artikel „Ausverkauf" beschäftigt sich mit den auf die sem Gebiet eingerissenen Mißbräuchen und den gesetzlichen Ge- genmatzregeln. Unter „Konkurse" wird eine interessante Sta tistik über diese Symptome unseres Wirtschaftslebens aufgemacht. Der moderne „Kapitalismus", sein Ursprung und seine Ent- Wicklung, seine Ausdehnung und Wirkung bis auf die Presse, auf das Theater, auf die Vergnügungen, aus die Mode usw. wird in anregender und abgerundeter Form behandelt. Mit der Arbeiterfrage befassen sich zahlreiche Artikel wie z. V..,Ar beiterversicherung", „Arbeitsmarkt", „Arbeitsnachweis", „Mini mallohn", Reichsarbeitsblatt", „Schieds- und Einigungsämter", „Versicherung im Deutschen Reich", „Syndikalismus", „Sozial politische Gesetzgebung" u. a. Andere soziale Fragen werden besprochen in den Artikeln: „Mittelstandsbswegung", „Kriegs wirtschaft" (Krieg und Bolkswohlfahrt), „Monopol", „Moral statistik", Aikohlismus und Schule", „Schulsveisen", „Kinder- Heilstätten,. Kinderlesehallen", „Kindervolksküchen", „Soziale -Frauenschule", „Institut für soziale Arbeit in München", „Land wirtschaftlicher Unterricht im Heere", „Auswanderung", „Sterb lichkeit im Beruf", „Bevölkerungsbewegung", (Geburtenrück gang !), „Kinderpriveleg", „Junggesellensteuer", „Frauenstimm recht", „Volkswirtschaftslehre tnDeutschland", „Einfamilienhaus" u. a. Auch Schul- und Erziehungsfragen werden in zahlrei chen Artikeln behandelt. Daß die Zeitereignisse up to UMe ver folgt hat, beweisen unter anderem die unter ..Türkisches Reich" behandelte Geschichte des Balkankrieges uud die Biographie ') Drittes Iahres-Supplement Mf/l? (Band XXIV) ;n Meyers Größern Aonversations-Lexikon, sechste, gänz- zlich nenbearbeitete und vermehrte Auflage. 1020 Seiten Text mit über 1150 Abbildungen, Karten und Plänen im Text und auf 110 Bildertafeln (darunter 7 Farbendrucktafeln und 14 selbständige Kartenb-ilagen) sowie 8 Textbeilagen. In Halb leder gebunden 10 Mark oder in Prachtband 12 Mark. (Ver lag des Bibliographischen Instituts in Leipzig und Wien. des am 5. November 1912 erwählten amerikanischen Präsiden ten Woodrow Wilson, die Artikel „Kamerun" und „Marokko". Schlietzlich möchten wir noch auf den reichen bildlichen Schnuck in Tafeln und Tertillustrationen Hinweisen, mit dem auch die ser Schlußband des „Großen Meyer" ausgestattet ist. Mit Rücksicht auf den Raumer wähnen wir davon hier nur die mei sterhaften Portröttafeln der (messt noch lebenden) Koryphäender Anatomen, Astronomen, Mediziner, Meteorologen, Physiologen und Volkswirte. Marktpreise zu Kamenz am 27. Juli 1«16 Preis f höchster lr 50 kx niedrig. Preis Mk. Korn Weizen Gerste Hafer Kartoffeln Für toffeln gelt« Al- Roggen n die g 1ö'- Eier Weizen ssetzlichen Heu 50 Kilo Stroh IWO Pfd. SW- Landbutter 1 Ice Handelsbutter 1 Ire stück 20 Bf. Hafer, Stroh, Butter uni Höchstpreise. 7.50 3.50 r Kar- Marktpreise kür Scvweins und Terkel in Kamenz am 27. Juli 1916. Läuferschweine pro Paar: Ferkel pro Paar: Durchschnittspreis — Mk. Durchschnittspreis 90 Mk. » » - „ „ — „ „ 55 „ Austrieb 252 Ferkel, — Läufer. — Für ausgesuchte Ware Preise über Notiz. Voraussichtliche Witterung. 30. Juli: Fortgesetzt Gewitterneigung, warm, teils heiter, teils wolkig. 31. Juli: Zeitweise heiter, warm, stellenweise Gewitter. Iugendvsranstaltungen. Pulsnitz und Pulsnitz m. s. Sonntag, den 30. Juli: Zu dem aus dem hiesigen Schulplatze stattfindenden Be- zirkstnrnen sind alle Jugendlichen als Zuschauer will kommen — Jugendheim: 7-10 Uhr Herr Beruh. Thomschke. Im Jugendheim findet Ausgabe von Dadekarten zu ermäßigtem Preise (5 Psg) statt. Mboru. Sonntag, den 30. Juli 1916, nachm. 4 Uhr: Ballspiel und Mehrturnen aus dem Spielplatz. Leiter: Herren Ostermai und Hellriegel. Kirchm-Machrichtm. Lichtenberg. Sonntag, den 30. Juli, 6. nach Trinit.: '/,9 Uhr Gottesdienst mit Predigt. Großnaundorf. Sonntag, den 30. Juli, 6. n. Trinitatis: 9 Uhr Predigigoitesdieast (1. Mos. 4, 3—13). 3 „ Begräbnis. 8 „ Jünglingsabend. Mberlichtena«. Sonntag, den 30. Juli, 6. n. Trinitatis: 9 Uhr Predigtgotiesdienst. 11 „ Kindergottcsdienst. Reichenbach. Sonntag, den 30. Juli, 6. n. Trinitatis: >/,9 Uhr Predigtgotiesdienst. Dienstag, den 1. August, abends 8 Uhr Gedenkfeier des Kriegsbeginns. Rriegsbet stunden: : Pulsnitz. Mittwoch, den 2. August, abends 8 Uh- Kriegsbet stunde (Gedächtnisfeier.) Pastor Uc. Stange. Großnaundorf. Donnerstag, den 3. August, abends */,9 Uhr Kriegsbetstunde. j Gbergersdorf. Mittwoch, den 2. August, abends 8 Uhr Kriegsbetstunde. In eiserner Zeit. Kriegsroman von Charlotte Wilbert. 25 Alle ihre Energie zusammennehmend, drückte sie auf die Türklinke und trat rasch, aber geräuschlos iu's Zimmer. In dem weiten, hohen Raum war es fast dunkel, die Vorhänge waren herabgelnssen, tiefe, tiefe Stille herrschte, nur die gleich mäßigen Atemzüge des auf dem Diwan ausgestreckt liegen den Henry Störtest waren hörbar. Vorsichtig schlich Liane näher und beugte sich über den fest Schlafenden. Der Rock war aufgeknöpft und hing.lvse zu beiden Seiten herab. Ganz langsam griff ihre Hand in die innere Rocktasche, sie tastete mit größter Vorsicht weiter, jetzt — fühlte sie in ihrer Hand die Papierrolle — das war der Festungsplan. Fest umspannen ihre Finger die Rolle, langsam zieht sie die Hand zurück, die glühenden Angen unverwandt in das Gesicht des Schlafenden gerichtet. Jeder Nerv in ihr zuckt vor furchtbarer Erregung. Jetzt — es ist gelungen, ihre Hand hält den Plan, nun ist er ihr — ihr, es zuckt iu ihren Händen, bis sie ihn wieder dem gebracht, dem er gehört als Eigentum der Gesandtschaft. Henry Startest schläft weiter, ein tiefer an Ohnmacht grenzender Zustand hält seine trunkenen Sinne umfangen. Langsam, wie sie gekommen schleicht sie Hinans. schließt die Tür von außen zü und läßt den Schlüssel stecken. Aufatmeud bleibt sie stehen. „Das war geglückt." Wie der Wind eilt sie die Treppe hinauf in ihr Boudoir, feste Ent schlossenheit ans den Zügen, nimmt sie einen Briefbogen und mit flüchtiger Hand schreibt sie Zeile auf Zeile darauf nie der. Es war ein Schreiben an den Grafen Brixdorf, worin sie rückhaltlos alles bekennt. Alles! Als sie geendet, durch lieft sie den Brief noch einmal, kuvertiert ihn und drückt ihren Stempel darauf. Dann richtet sie einige Worte ans einen Zettel geschrieben an Henry Startell, legt ihn vorn auf die Platte ihres Schreibtisches und dann verläßt sie, nach dem sie flüchtig Toilette gemacht, Brief und Plan zn sich ge steckt, leise, geräuschlos das Hans. In den Hauptstraßen herrschte reges Leben. Die ganze Be völkerung ist auf den Beinen, denn man erwartet jede Mi nute die Mobilmachung. Ohne nach rechts nnd links zu sehen, eilt Liane Startell durch die Straßen, fast atemlos kommt sie vor Schloß Brixdorf an. Sie steht vor dem Hoheit Portal, ihre zitternde Hand hält den kunstvoll geschnitzten Griff der Hausglocke. O, sie ist furchtbar erregt, in ihren: Kopfe summt und surrt es, und das Herz schlug ihr bis zur Kehle hinauf. Langsam, majestätisch öffnet der alte, ehrwürdige Diener, der Iohannes, die Portaltür. Mit aller Anstrengung kämpft Liane ihre Aufregung nie der und bemüht sich, klar und ruhig zu sprechen. „Ist der Gras zn Hause?" Der Johannes verneigt sich stumm. „Ja, gnädiges Fräu lein, der gnädige Herr befindet sich in den Gemächern seiner Tante, der Gräfin Brixdorf." „Soll ich gnädiges Fräulein melden?" „Nein, nein, lassen Sie das nnr, Johannes, ich habe zn dieser Stunde meinen Besuch zngesagt. Also der Graf ist bei der Gräfin Wanda?" „Ja, er nimmt täglich, nm diese Zeit, in ihrem Salon den Tee, gnädiges Fräulein." „Ich danke, es ist gut." Mit einem hastigen Neigen des Kopfes eilt sie vorbei, die Treppe hinauf, direkt an das Stu dierzimmer des Grafen. Angestrengt lauscht sie vor der Türe, nichts regt sich, der alte Johannes hatte also recht gesagt. Rasch tritt sie ein und lehnt die Türe leise an. Auf dem Schreibtisch des Grafen liegen Papiere, Zeichnungen, Bücher, kurz, alles drunter nnd drüber. „Er hat den Verlust des Pla ues schou bemerkt," durchzuckt es ihr Hirn. Auch das Fenster mit der ausgebrochenen Scheibe steht offen. Er hatte also alles bemerkt und war sicher iu einer furchtbaren Aufregung. Sie legte den Plan und den Brief auf seinen Schreibtisch, so daß, wenn er ins Zimmer trat, der Plan ihn, sofort ins Auge fallen mnßte. Ein tiefer Seufzer hob ihre Brust. Sie ivar wie erlöst, als wälze sie mit dieser Schuld einen Stein, einen schweren drückenden Stein von ihrem Herzen. Noch ein mal sieht sie sich im Zimmer um, in dem Raume, wo Franz von Brixdorf die schönsten Stunden seines Lebens mit ihr verbringen wollte. O, wie schön, wie herrlich hatte er ihr alles aufgebaut, ihr ganz seliges Glück ihr vor Angeu geführt und sie hatte lachenden Mundes, die Falschheit im Herzen, zu gehört, hatte den Mann, der sie so selbstlos liebte, betrogen. O, sie hätte niederkuien mögen vor ihm und um Vergebung bitten. Aber — Da fiel ihr Blick auf ein Kabinettbild, die Photographie des Grafen. Sie nahm es und sah es lange mit tränenfeuch tem Blick an. Dann preßte sie es an die zuckenden Lippen und bebend flüsterte sie: „O Du! Du! Verzeihe mir Unglücklichen!" Sie stellte das Bild rasch wieder auf seinen Platz und ge räuschlos eilte sie hinaus, die Treppe hinunter. Am Portal steht Johannes, sie groß, erstaunt, fragend an- ieheud. „Ich habe etwas Dringendes vergessen, das ich sofort nach- hnlen muß, bitte!" Kopfschüttelnd öffnete der Alte, ihm kam das sonderbare Wesen Liane Startells eigentümlich vor. Ihr bleiches, erreg tes Aussehen war ihm sogleich ausgefallen und hatte ihn be- fiemdet. War das das schöne, blendende Weib von gestern? Als die schwere Portaltüre sich hinter ihr schloß, atmete Liane Startelltief auf: „Nun war es geschehen —Gottsei Dank! Nun noch den Tod und dann Ruhe, ewige, süße Ruhe!" Sie schloß die Augen und lehnte den Kopf hinten über, als spüre sie schon jetzt diese süße, selige Ruhe. Wie im Traume wandelte sie die Straßen entlang, nie geahntes Glücksge fühl iu der Brust. Mochten die Menschen nun bald über sie herfallen, über sie spotten und höhnen, sie hatte wenigstens diese eine Schuld gebüßt. Sie eilte immer .weiter, ohne zu wissen wohin, nur weiter — weiter — der Ruhe — zu. In dem sonst so belebten Parke der Vorstadt war es heute totenstill, kein lustiges Kinderlachen, keine Promenadenmusik, kein Leben, nichts; heute war alles, Jung und Alt, in den Hauptstraßen, wo sich die Menge fast staute, denn man er wartete zu jeder Stunde die Mobilmachung. Von hohen, düsteren Taimen umragt, lag schweigend und tief der Parkweiher. Die kleinen Wellen spielten neckisch mit dein hohen Schilfgrase. Ab und zu flog eine Libelle dicht über der Wasserfläche hin, den schlanken Leib im Fluge bie gend. In den Tannenzweigen sangen leise, klagend die Vög lein ihre süßen Weisen. An einen Baum gelehnt stand Liane Startell da, unver wandt in das tiefe Wasser starrend. Sie atmete rasch uud heftig, keuchend hob und senkte sich ihre Brust. Sie war bleich, totenbleich 235,20