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pulsnitzeiMtxdendlaN Dienstag, 18. Januar 1916. Beilage zu Nr. 8 ' 68. Jahrgang. Deutscher Reichstag 29. Sitzung vorn 14. Januar, 11 Uhr 15 Min. Am BundcSratstisch: Staatssekretär Delbrück und mehrere Kommissare. Präsident Kämps teilt vor dem Ein-, tritt in die Verhandlungen das Ableben des früheren Vizepräsidenten und nationalliberalen Abgeordneten Bü sing mit und widmet dem Verstorbenen warme Worte der Erinnerung. Zur Ehrung des Toten erheben sich die An wesenden von den Plätzen. Auf der Tagesordnung stehen zunächst zwei kurze An fragen. Abg. Bassermann (Natl.) fragt: Ist der Herr Reichs kanzler in der Lage und bereit, über die widerrechtliche, völkerrechtswidrige Verhaftung des deutschen Konsuls in Saloniki durch den französischen Oberkommandierenden nähere Mitteilungen zu machen? Direktor im Auswärtigen Amt von Stumm erwiderte: Am 31. Dezember wurden das deutsche, das österreichisch ungarische, das bulgarische und das türkische Konsulat in Saloniki von Ententetruppen besetzt und die Konsuln ver haftet und auf ein französisches Kriegsschiff gebracht. Dem Anschein nach wurden sie alle nach Frankreich überge führt. Dieser unerhörte Völkerrechtsbruch ist ein neues Glied in der endlosen Kette von Vergewaltigungen, die sich England und Frankreich zuschulden kommen ließen, die Mächte, die sich stets als die Schützer der Neutralität der kleinen Staaten aufspielen. Die kaiserliche Regierung hat bei der griechischen Regierung sofort Protest eingelegt und sie für die Sicherheit der verhafteten Konsuln verantwort lich gemacht. (Bravoruse.) Die griechische Regierung ihrer seits hat bei der englischen und französischen Regierung in schärfster Weise gegen die Verhaftung der Konsuln prote stiert und die Auslieserung der verhafteten Personen ver langt. Dem Herrn Reichskanzler ist nicht bekannt, ob eine Antwort auf diesen Protest bereits erfolgte. (Zwischenruf des Abg. Liebknecht: Bestellte Anfrage! — Entrüstnngsruse gegen Liebknecht im ganzen Hause.) Abg. Müller-Meiningen (Vpt.) fragt: Ist dem Herrn Reichskanzler bekannt, daß die Postsendungen (Briefe, Postanweisungen, Geldsendungen, Postpakete), die für die in Frankreich internierten deutschen Kriegsgefangenen be stimmt sind, diesen erst nach mehr als einmonatiger Frist zugestellt werden? Was gedenkt die Reichsregierung zu tun, um eine Besserung dieser Verhältnisse seitens der französischen Behörden herbeizuführen? Oberst Friedrich vom Kriegsministerium antwortet: Der deutschen Heeresverwaltung sind die Klagen und Be schwerden über die starke Verzögerung der Postsendungen an die deutschen Kriegsgefangenen in Frankreich bekannt. Es ist erwiesen, daß diese Verzögerung, soweit sie den Ablauf ; der Sendungen in der Heimat und an den deutschen Gren zen anlangen, nicht uns zur Last fällt, sondern daß sie erst in Frankreich eintritt. Es trägt aber nicht die französische Post allein die Schuld, sondern wir haben sestgestellt, daß die Ursache dieser Verzögerung vielfach in der Willkür eines größeren Teils der französischen Kommandanten, namentlich in der Willkür des Unterpersonals in den Kriegsgefangenenlagern, zu suchen ist. Die deutsche Hee resverwaltung hat hiergegen wiederholt nachdrücklichst Be schwerde erhoben. Aus eine Bestimmung der deutschen Heeresverwaltung, die aus militärischen Gründen not wendig war und dahin lautete, daß alle aus den deutschen Kriegsgefangenenlagern von französischen Kriegsgefange nen nach Frankreich, von russischen nach Rußland abgehen, den Briefsendungen zehn Tage liegen bleiben sollen, bis sie inaßregel bestimmt, daß alle für die französischen Kriegsge fangenen einlau'fenden Briefe nunniehr ebenfalls einer mehr als zehntägigen Verspätung unterliegen sollen. Dies ist den französischen Kriegsgefangenen bekannt gemacht worden mit dem Hinzufügen, daß sie ihren Angehörigen in Frankreich davon Mitteilung machen mögen. Sollte diese Maßregel nicht wirken, sollte weiterhin eine starke Verzöge rung der für die deutschen Kriegsgefangenen in Frankreich einlaufenden Postsendungen festzustellen sein, so beabsich tigt die deutsche Heeresverwaltung mit Nachdruck weitere Maßregeln zu ergreifen. Abg. Liebknecht (Soz.i meldet sich zum Wort zur Ge schäftsordnung und beantragt, die von ihm eingebrachten, vom Seniorenkonvent in Uebereinstimmung mit dem Prä sidenten jedüch nicht zur Verhandlung zugelassenen An fragen auf die Tagesordnung zu setzen. Als der Präsident ihn unterbricht und das als geschäftsordnungswidrig be zeichnen und ihm das Wort abschneiden will, bezeichnet Liebknecht dies als geschäftsordnungswidrig und ruft: Sie wollen die Wahrheit ersticken, Sie wollen das Volk be trügen! Unter weiteren Protestrufen, die in den Zurufen aus dem Hause gegen Liebknecht nicht verstanden werden, verläßt er die Tribüne. Für seine Aeußerungen wird der Abgeordnete dann zur Ordnung gerufen. Darauf wird die Beratung der Ernährungsfragen fortgesetzt. Abg. Schiele (Kons.): Die Angriffe des sozialdemokra tischen Redners auf die Landwirtschaft sind ganz unberech tigt. Was Abg. Fischbeck über die übereilten Schweineab schlachtungen sagte, ist zum Teil richtig, eine gewisse Schuld tragen wir auch: aber es handelt sich doch meist um Be zirke, wo nur Eßkartosfeln in Frage kommen. Die Pro duktion der Landwirtschaft darf in diesem Kriege niemals erlahmen, die Beschlagnahme der Futtermittel hat aber ihre Produktionskraft sehr eingeschränkt. Auch die In dustrie hat, soviel sie konnte, zur Ernährung ihrer Arbeiter beigetragen. Dies ist umso wichtiger, als wir teilweise eine Mißernte gehabt haben. (Zwischenruf von links: Das sagen Sie von der Tribüne des deutschen Reichstages aus!) Gewiß, das Ausland darf das gern hören, denn eS sieht, daß wir trotzdem gut durchhalten, und wieviel besser wenn wir in diesem Jahre eine normale Ernte haben. Die Vorwürfe des Abg. Marx über die Versorgung des Westens mit Kartoffeln gehen zu weit. Man kann doch vom Land wirt des Ostens nicht verlangen, daß er die Kartoffeln aus der Erde nimmt und nach dem weit entfernten Westen sendet dazu fehlen aber vor allem die nötigen Arbeits kräfte. Was uns an Lebensmitteln fehlt, wird uns jetzt der Balkan liefern, z. B. Schweine. — Die künstlichen Düngemittel müssen wir teilweise durch Torsstreu ersetzen. Bei dem Stickstosfverbrauch muß man die Interessen der Heeresverwaltung und der Landwirtschaft miteinander in Einklang zu bringen suchen, ohne dieser unerträglich schwere Bedingungen aufzuerlegen. Es leidet heute aber nicht nur der Arbeiter Not, der zum Teil recht erhöhte Löhne bekommt, sondern vor allem der Mittelstand und die kleinen Beamten. Die Existenz der kleinen Mühlen muß erhalten werden. Man hat bisher die wichtigsten Bestim mungen über die Landwirtschaft getroffen, ohne die Land wirte zu fragen. Wir werden auch in den wirtschaftlichen Fragen durchhalten. Unterstaatssekretär Michaelis: Ich möchte Verwah rung einlegen gegen das Wort „Mißernte", das zu Miß verständnissen führen könnte. Teilweise mag eine schlechte Ernte gewesen sein, in ganz Deutschland können wir gar keine Mißernte haben. (Zustimmung.) Abg. Werner-Gießen (Wirtsch. Vgg.): Wir haben aus reichende Nahrungsmittel und sollten uns hüten, von einer Mißernte zn reden. Sollte in einigen Bezirken Man gel geherrscht haben, so konnte dies aus anderen Bezirken leicht ausgeglichen werden. Wir haben nicht nur unsere Bevölkerung, sondern auch unser starkes Heer und zwei Millionen Gefangene zu ernähren, und tun es. Teuerung haben wir, das läßt sich nicht leugnen, aber Teuerung herrscht in allen Ländern. Der Krieg stört eben die ganze Produktion und vermindert auch den Geldwert. Die Be mühungen der Städte, sich sür ihre Bevölkerung einzu decken, wirken preissteigernd, die Einhamsterungen Priva ter Personen sind unsozial. Abg. Fischbeck (Vpt.): Die Ausführungen des Vorred ners über die großen Städte dürfen nicht unwidersprochen bleiben. Die Großstädte haben sich zweifellos große Ver dienste um die Ernährung der Bevölkerung erworben. Die Darstellung des Schweineschlachtens durch den Abg. Schiele ist ebenfalls unrichtig; ich bleibe dabei, daß alle Parteien den Antrag aus Abschlachtung unterstützt haben. Abg. Böhme (Natl.): Nicht alle Parteien sind für das Der' Stärkere. Von Marie Stahl. 7) (Nachdruck verboten.) „Hallo, Mute, Faulpelz, wach auf! Sollte mans glau ben, am Hellen Tage noch in den Federn! Da steht man s, wo kein Mann im Hause ist, da hört alle Disziplin auf! Kuno Schlicke, der Herr von Fahrelank, stürmte fröh lich lärmend in das Zimmmer seiner Frau, wo sie noch um neun Uhr am Morgen nach dem Gewitter fest schlief. Sre schlug, wie aus schwerem Traum ermachend, müde die Au gen auf und starrte ihm ungläubig entgegen, als müsse sie sich erst auf das wache Leben besinnen und langsam in die Wirklichkeit zurückfinden. Die Fenster standen offen und ließen die herbstfrische Morgenluft ein, aber die herabgelas senen Jalusten sperrten die Sonne 'aus, sie dämpften das strahlende Licht des jungen^Tages bis zum golddurchflirten Halbdunkel ab. Der große, breitschultrige Mann, mit den wuchtigen Gliedern und der lauten Stimme, füllte das ganze, in Traum und Schlaf eingesponnene Gemach, in das nur süßes Vo- gelzwitschern und Blätterflüstern gedrungen, mit hallendem Leben. Er riß die Jalousien auf, sodaß eine breite Sonnen straße über das große Pfostenbett und in die blinzelnden Augen Frau Almuts fiel; sie verscheuchte alle Traumgeister und jeden Dämmerzauber und brachte den Hellen siegreichen Tag. Er fuhr fort, die Langschläferin zu necken und aus- zulächen, bis sie sich endlich aufrichtete, und halb auf einen Arm gestützt, fragte sie erstaunt: „Ja wo kommst du denn mit einemmal her? Ich erwartete dich ja frühestens heute abend!" „Freilich, wenn ich solch' eine Schlafmütze wäre wie du, säße ich jetzt noch wer weiß wo," sagte er, sich zu ihr auf die Bettkante setzend „ich bin die ganze Nacht durchge- sahren und zu Fuß von der Station hergegangen — es war ein herrlicher Spaziergang durch die Felder, an dem schönen Morgen — ich kannte es ja nicht aushalten im Hotel und in der Stadt und noch einen Tag länger weg von der Ernte. Na, die Reise hat sich gelohnt, rate mal — ich hatte eine große Ueberraschung!" Sie sah ihnIsragend an, immer noch benommen ver wirrt. Da nahm er ihren blonden Kops zwischen seine bei den großen Hände und das breite, rote Gesicht mit dem kurz rasterten Haupthaar und den großen, abstehenden Ohren dem ihren nähernd, sprach er in sie hinein: „Du rätst es nicht, Tante Kotilde hat uns ihr gan zes Vermögen vermacht!" Und dann küßte er sie dreimal hintereinander auf den Mund. Seine treuherzigen Augen funkelten sie in strah lender Freude an. „Kuno! ist das wahr? Ach, du machst wohl einen Scherz!" rief Almut, vollständig wach werdend. „Bei Gort, es ist wahr! Noch am Abend nach dem Begräbnis wurde das Testament eröffnet, aus Rücksicht aus die Verwandten, die wieder abreisen wollten. Na, eine Klei nigkeit hatte ich ja erwartet, aber du weißt, wir glaubten sicher, es würde in viele Teile gehen. Jedenfalls konnten wir es ja am besten brauchen, die andern sind ja alle reiche Leute, da mache ich mir keine Skrupel drum. Ja, ja, die Tante war eine verständige Frau, sie hielt auf Familie und ist immer eine Schlicke geblieben, das Geld sollte an keinen andern Namen kommen. Mute! Frau! Was sagste nun? Jetzt hat die Sorge ein Ende, jetzt können wirs mit allen aufnehmen. Bare sechsmal hunderttausend!" Er schlug sich dröhnend aufs Knie. „Jetzt baue ich den Kuhstall um und vielleicht eine Kalksandsteinfabrik mit dem Kützower zusam men — er hat's lange aus dem Kieker Und du, Mutechen, was willst denn du? Kannst haben, was du willst, brauchst bloß zu wünschen! Vielleicht elektrisches Licht im Haus und Wasserleitung und neue Möbel, wo sie nötig sind'? Kannst auch mol nach Berlin fahren und dir was hübsches Kausen, und Iochimke kriegt nun bald seinen Ponny, so ei nen ganz kleinen. Meine liebe, alte Mute! Du hast mir Glück gebracht, nichts als Glück I Der große, dreißiggäh- rige Mann jubelte und lachte, wie ein Kind, und immer wieder jubelte und umarmte er seine Frau. „Mein guter Kuno", sagte sie halb betäubt und strei chelte mit der weißen Hand seine rotbraunen Wangen. „Freust du dich denn recht, Mute?" „Ich kann es noch nicht recht fassen, ich freue mich aber so über dich Du bist zu nett in deiner großen Freude!" „Ich konnte es ja nicht aushalten, Mute, ich bin ja trab durch die Felder gelaufen, nur um eine halbe Stunde eher bei dir zu sein und dir die frohe Botschaft zu bringen. Siehst du, wir sind ja immer glücklich zusammen gewesen, weil wir uns lieb haben, aber die Sorgen haben mir doch manche schlaflose Nacht gemacht. Gott weiß, wie schwer es heutzutage für einen Landwirt ist, mit Ehren zu bestehen, wo kein nennenswertes Kapital als Hilfsfonds da ist. Du hast es nie geahnt, wie mir manchmal die Angst bis an den Hals gestiegen ist um dich und unser Kind, ob ich uns würde die alte Scholle erhalten können. Es hat mich vielleicht ver schlossen und unwirsch gemacht, und du mußtest darunter lei den, aber ich konnte nicht anders, wenn ich dir meine Sor gen verbergen sollte. Das Leben ist nun mal nicht fürs Plaisir da und die Ehe nicht bloß für die Liebe, sondern bei des für die Arbeit, und wenn man ein Kind hat, hat man eine schwere Verantwortung. Da hängt so eine ganze, kom mende Generation von einem ab. Komme ich auf eine schiefe Ebene, da kommt ihr alle mit ins Rutschen. Na, unser Herrgott lebt ja noch und hat meine redliche Arbeit und Mühe gesehen und nun ist uns geholfen! Nun können die Schrickes auf Fahrelank mit Ehren bestehen, und ihr Haus hat feste Mauern und Wälle gegen Not und Schmach. Und ihren Kindern soll cs mal gut gehen! Weißte, Mute, da ist so eine schöne Stelle in der Bibel, wo der Mann mit ei nem Apfelbaum verglichen wird und das Weib mit einem Weinstock. Die Kinder sind die Reben. Ja, ja, s» soll es bei uns sein. Ich denke mir das herrlich, wenn man mal alt ist, ganz alt und grau, steht man aus sein Leben zurück mit Dank und Freude, weil man es vorwärts gebracht hat und sich nicht zu schämen braucht. Und man hinterläßt den Kindern und Enkeln einen festen Boden unter den Füßen. Und dann ruhen wir beide, Mute, und haben Feierabend, und um uns ist eine große zahlreiche Familie!" Er hatte sein Weib in die Arme genommen und in abgerissenen Sätzen, zuweilen stockend zu ihr gesprochen. Seine Beredsamkeit war mangelhaft, und Almut hatte noch nie eine so lange Rede von ihm gehört, seine Wortkargheil ließ ihn oft unbeholfen erscheinen; nun hatte die übergroße Freude die Tiefen seiner Seelen erschlossen, und ihr war, cus blicke sie in eine Schatzkammer voll echten Goldes. Ties er schüttert barg sie den Kopf an seiner Brust und ein lautlo ses Schluchzen machte sie erbeben. Das war also der Mann, den sie fast gering geachtet, weil er kein Schönredner und kein Schöntuer gewesen ? Wie hoch stand er über ihr! Kaum gewahrte er ihre Tränen, als er wieder zu la chen und zu necken begann. Sentimentalität lag ihm nicht und er verspottete sie und sich selbst, daß sie hier mit schönen Redensarten die Zeit verbrachten und die Arbeit sich selbst überließen. „O", sagte Almut, ihre feuchten Augen trocknend, ,du weißt nicht, wie schrecklich das Gewitter hier war in ver Nacht. Es hat mich sehr gestört, darum habe ich heut die Zeit verschlafen." „Kann mir schon denken, du Hasenfuß. Hast dich wohl sehr gefürchtet?" (Fortsetzung folgt )