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Aus der Versammlung des Dresdner Bezirks-Obstbauvereins am 3. November 1902 in Dresden in den „3 Raben". Der Vortrag des Herrn Garteninspektor Müller-Diemitz b. Halle, welcher über die Aus bildung und Thätigkeit der Obstbau-Wanderlehrer und namentlich über deren Wirken zur besseren Verwertung des Obstes auf Obstmärkten und - Obstausstellungen sich verbreitete und eine Fülle anregender Gedanken und praktischer Fingerzeige enthielt, berührte auch die Frage der Sorten- Auswahl und gipfelte in dem Ratschlage, mit Rücksicht auf die leichtere Verwertung des Obstes als Marktware möglichst wenig Sorten, ja unter Umständen bloß 2 Äpfelsorten in einer bestimmten Örtlichkeit, aber diese in Masse anzubauen. Nur auf diese Weise könne eine Rente erzielt werden. Diese Anschauungen mußten unter den Zuhörern manche Bedenken erregen, und der Schreiber dieses, welcher erst kürzlich Gelegenheit nahm, diese Frage in der Dresdner Landwirtschaftlichen Fachpresse*) auf Grund langjähriger, praktischer Erfahrungen zu behandeln und in entgegen stehendem Sinne zu beantworten, versäumte nicht, in der anschließenden Aussprache seine schwer wiegenden Bedenken gegen dieses zu weit gehende Spezialisieren in Sortenanbau — solange nament lich noch genügende Erfahrungen über die that- sächlich besten und vor allem dauerhaftesten Und gegen du Obstschädlinge widerstandsfähigsten Sorten fehlen — aufzuzähleu. Angesichts der weit vorgeschrittenen Zeit und da im Laufe der Debatte sich der Schwerpunkt naturgemäß mehr auf die Ausbildung und Thätig keit der Wanderlehrer und auf etwaige Reformen in der Organisation der Beziehungen der einzelnen Obstbauvereine zum Landes-Obstbauverein er streckte, war es dem Schreiber dieses nicht mög lich, alle seine Bedenken gehörig zur Anschauung zu bringen; er ergreift deshalb diesen Weg, hoffend, damit das außerordentlich wichtige Thema weiter in Fluß zu bringen. Wenn die unverkennbaren Erfolge, die der Verband der Obstbauvereine der Provinz Sachsen auf den Obstausstellungen 1899 in Dresden, später in Haniburg und dieses Jahr in Magde burg zu verzeichnen hatte, hauptsächlich dem Um stande zugeschrieben werden dürfen, daß ver hältnismäßig wenig Obstsorten, namentlich gilt dies von Äpfeln, in vorzüglicher Beschaffenheit, gut verpackt und in großen Posten zur Schau gestellt waren, so leitete Herr Inspektor Müller daraus nicht mit Unrecht seine Befürwortung des Anbaues möglichst weniger Sorten, aber in aus gedehntem Umfange ab; ja er geht so weit, den Landwirten den Anbau nur einer oder doch ganz *) „Dresd. Landw. Presse" Nr. 44: „Was lehren uns die Jahre 1901 und 1902 in betriebswirtschaftlicher Be ziehung ?" weniger Sorten Äpfel morgenweise zu empfehlen, um damit eine leichtere und rentablere Verwertung der Ernte und größte Rentabilität des Obstbaues selbst zu ermöglichen. Vom rein wirtschaftlich-kaufmännischen Stand punkt, der den Schwerpunkt in der Befriedigung der Ansprüche des Marktes sucht, mag das zu treffen, aber der Standpunkt des Produzenten, des Obstbauers, hat denn doch noch andere Auf gaben zu erfüllen. Ich verweise nochmals auf den oben angezogenen Artikel in der „Dresd. Landw. Presse", wo ich diese auf Grund der so ungleich wechselnden physikalischen Einflüsse des Bodens, der Lage, des Klimas und namentlich in Rücksicht auf die vielfachen Feinde des Obst baues dargelegt habe. Solange wir solche extreme Witterungs- einflüsse, wie gerade in den letzten beiden Jahren in Rechnung ziehen müssen, und uns gegen diese nur durch Auswahl solcher Sorten schützen können, die möglichst verschiedenartige Ansprüche an Wärme, Feuchtigkeit, mit Rücksicht auf eine mögliche Frostnacht in der Blütezeit, also in Bezug auf Widerstandsfähigkeit gegen Kälte, aber ebenso gegen Trockenheit und Hitze und vor allem gegen die immermehr überhand nehmenden Obstfchädlinge (Blutlaus, ^nsiclnstium, Krebs u. a. m.) stellen, solange muß ich es für Lotteriespiel erklären, unsere Erfolge im Kampfe mit all diesen nachteiligen Einflüssen gewissermaßen auf eine Karte zu setzen. Wer garantiert uns ferner, daß die wenigen, wirklich als gängigste Marktware heute erkannten Sorten es in 10 Jahren — so lange braucht ein Baum bis zur volltragenden Entwickelung — auch noch sind? Liegt nicht gerade bei wenigen Sorten die Gefahr einer Überproduktion in einzelnen reichen Erntejahren vor? Könnte es nicht sein, daß bei so beschränkter Sorteuzahl sich einzelne Obstschädlinge als noch viel empfindlichere Feinde geltend machten als bisher? Und vor allem, wer wagt es mit gutem Gewissen die eine ertragsreichste, widerstandsfähigste Sorte, die so wohl allen Anforderungen des Bodens, des Klimas, der Witterung und derjenigen des Konsums entspricht, nur für eine bestimmte Örtlichkeit an zugeben? Wenn Herr Inspektor Müller auführte, daß er am liebsten nur Cox-Orangen-Renette iu seinen Diemitzer Anlagen bauen würde, dürfte er für diese Sorte bei nus wenig Nachahmer finden. Aber selbst Sorten von anerkanntem Werte und Ruf, wie Goldparmäne, Blenheimer Renette, Charlamovsky (als erste, frühe Marktware), Canada-Renette, um nur einige unserer Lieblinge