Volltext Seite (XML)
Leben in toten Körpern. Von M. A. von Lütgendorff. (Nachdruck verboten.) Einem Forscher ist eine ganz verblüffende Beobach tung gelungen. Er hatte das Blut eines Toten untersucht und dabei gefunden, daß die Blutkörperchen, die man als Phagozythen bezeichnet, in dem seit 68 Stunden toten Körper noch so lebenskräftig waren, daß sie noch genau so wie im lebenden Körper ihre Funktion erfüllen konnten: Fremdkörper, die ins Blut eingedrungen waren, zu „fressen". An der längst von Leichengift durchsetzten Leiche herrschte also gleichwohl immer noch Leben und es konn ten sich Kräfte regen, die dem Tod noch zu trotzen ver mochten. Diese Beobachtung ist ganz besonders bedeut sam, da sie deutlich beweist, wie lange es dauert, bis in einem toten Organismus das Leben wirklich erlischt, und damit vielleicht einen Teil der Lebensäußerungen begrün det, die an toten Körpern schon in zahlreichen Fällen fest gestellt worden sind. Innerhalb des toten Körpers können sich auch die Muskeln noch verhältnismäßig kräftig zusammenziehen. Dies gilt vor allem vom Herzmuskel. Wenigstens vermag das Her; eines Guillotinierten noch eine geraume Zeit regelmäßig zu schlagen; dieselbe Beobachtung hat man auch an Tieren gemacht. Man denke nur an den bekann ten Schulversuch mit dem Froschherzen, das noch lange nach dem Tode des Tieres gleichmäßig wciterscklägt. Auch an frischgefangenen Haifischen bat der Forscher Mitchell Hedges festgcstellt, daß das Herz der Tiere, nachdem es vollständig aus dem Körper entfernt worden war, noch 20 Minuten lang normal schlug. Ganz besonders seltsam anzusehen sind die Eigenbe- wegungcn einzelner Körperteile toter Tiere. Wenn man eine Seewalze oder Holothurie kräftig berührt, so spritzt sie ihre Eingeweide aus dem Körper heraus, woran sie natürlich zugrunde geht. Die Eingeweide aber führen noch außerhalb des Körpers kurze Zeit hindurch die rhyth mischen Verdauungsbewegungen aus. Mitunter lassen sich Eigenbewcgungen auch an den Köpfen getöteter Tiere beobachten. Unter den Reptilien findet man diese Bewe gungen bei Giftschlangen, deren Köpfe, wenn man sie durch einen schnellen Hieb vom Körper abgetrennt hat, ost noch kräftig um sich beißen, wobei die Giftzähne ge wöhnlich noch gut funktionieren. Eine Erscheinung ähn licher Art beobachtete der Südpolforscher Drygalski an den auf St. Helena lebenden Riesenschildkröten: als die Köpfe schon lange vom Rumpf abgetrennt waren, ließen sie immer noch Lebensbewegungen wahrnehmen. In der Jnsektcnwclt konnte man Eigenbewegungcn von abge trennten Köpfen zunächst an der bekannten, zu den Fang heuschrecken zählenden Gottesanbeterin beobachten, die, nachdem ihr ein Vogel den Kopf abgebiffen batte, mit den Vordergliedmaßen immer noch Fangbcwcgungcn machte, als ob sie Fliegen erhaschen wolle, und wiederholt ver suchte, ihre Mundöffnung zu finden. Die abgeschnittenen Köpfe von Wespen nehmen sehr oft noch einige Zeit hin durch Flüssigkeiten zu sich, obwohl die Nahrung natürlich sogleich wieder ausflicßt, weil der Magen zugleich mit dem Rumpf abgelöst wurde. Eine überraschende Lebenskraft des entköpften Kör pers zeigen gewisse Schmetterlinge, bei denen das Köpfen überhaupt nicht gleichbedeutend ist mit dem Sterben des übrigen Körpers. Vor Jahren schon machte der englische Entomologe Wilson die merkwürdige Beobachtung, daß die vom Kopf getrennten Körper von Trauermantelfaltern nicht nur einige Tage wcitcrlebten, sondern sogar noch Eier legten, also noch nach Tagen absoluter „Kopflosig keit" Reflexhandlungen ausführten. Noch bedeutsamere Beweise von der Lebensfähigkeit enthaupteter Schmetter linge brachten aber die jüngsten Versuche, die der Fran zose Brouvier an Faltern auf der Insel Madagaskar aus geführt hat. Diese Versuche hatten das verblüffende Er gebnis, daß die geköpften Falter länger lebten als ihre ungeköpften Artgenosicn. Und auch hier sah man wie bei der Wilsonschen Beobachtung, daß sich die kopflosen Schmetterlinge ganz normal fortzupflanzen imstande waren. Bei manchen Gliederfüßern geht die Fähigkeit, auch nach dem Tode noch Reflexhandlungen sortzusetzen, bisweilen soweit, daß Krabben z. B., die im Falle der Gefahr gefährdete Gliedmaßen ost freiwillig abzuwerfen pflegen, daS auch dann noch tun, wenn ihnen der Kopf abgeschnitten wurde. Die Erscheinung, daß getötete Tiere kurz nach dem Tode noch Reflexbewegungen vornehmen können, läßt sich mitunter auch an Hühnern wahrnehmen, die, bereits geköpft, noch entwischen und davonlaufen, und gar manche Köchin hat schon das Gruseln gelernt, wenn der Aal noch in der Bratpfanne die Muskeln zucken ließ. Allein auch größere Tiere, ja, sogar das größte unserer Landtiere, der Elefant, bewegt im Tode noch seine Glieder. So erzählt Richard Kandt von einem Elefanten, den er in Ostafrika mit einem Gehirnschuß auf der Stelle getötet hatte, daß die Muskeln des Tieres noch zuckten und „reflektorisch vernünftige Abwehrüewegungen" machten, als der For scher schon längst siegesfreudig auf dem Rücken des erleg ten Tieres saß. Als Muskelzusammenziehungen im toten Körper muß man auch den als „Totenstarre" bekannten Zustand annehmen, der an jeder Leiche ein paar Stunden nach dem Stillstand des Herzens einzutreten Pflegt. Ihr Zustandekommen hat ein Forscher damit erklärt, daß die Muskelzusammenziehungen, die die Totenstarre auslösen, auf Quellungen, verursacht durch saure Stoffwechselpro dukte, zurückzuführen sind. Für die Muskeln bedeutet die Zusammenziehung während der Totenstarre normaler weise die letzte willkürlich angenommene Ruhelage und man kann daher, obwohl keine Faktoren zum Wiederaus- streckcn der Muskeln mehr vorhanden sind, die Totenstarre als „letzte Anstrengung der sterbenden Muskeln" bezeich nen. Die letzte Spur vom Leben kann also erst nach der Lösung der Totenstarre aus dem Körper schwinden. In letzter Zeit hat man noch eine neue eigenartige Tatsache festgestellt, nämlich das Leuchten der Augen an toten Haustieren und einigen wildlebenden Säugetieren, das oft noch länger als einen Tag nach dem Tode der Tiere zu sehen ist. Erst dann, wenn sich allmählich die Gewebe zersetzen und sich gleichzeitig damit die Netzhaut des Auges trübt, nimmt das Aufleuchten ab, bis es end lich erlischt. Oer Defraudant Von Joh. von Kunowski. (Nachdruck verboten.) Eng drängte sich der Pudel an den Defraudanten. Tein früheres herrliches Weiß war in tiefstes Schwarz umgesärbt worden; denn mußte Kurt Lohmann sich nun nach seiner Unterschlagung auch von allem trennen, mußte gehetzt und verfolgt in steter Gefahr die gewonnenen Gelder unfroh vertun, von diesem einen, dem Karo, trennte er fick, nicht, mochte da folgen, was wollte! Rücksichtlos drängte sich um den Sinnenden die Menge. Bis hierher, zur Hafenstadt, war alles geglückt, nun nur noch den Dampfer besteigen, den großen Teich zwischen sich und die Verfolger bringen, vielleicht konnte man dann ein neues, ordentliches Leben beginnen und das Geschehene wieder gutmachen; denn Kurt Lohmann be reute schon lange jene unglückselige Tat, die durch eine schwache Stunde nun ein ganzes Leben vernichtet haben follte. „Ruhig, ruhig, mein Guter," tätschelte er des Hundes Kopf, „gedulde dich noch ein wenig, bald wollen wir beide wieder die alten sein. — Ein warmer Blick glitt aus seinen scheuen Augen nieder zu dem Tiere, von dem er gewiß war, daß es seine Güte durch aufopferndste Treue lohnen würde. Unbefangen schlenderte er weiter hinab zu dem Kai, wo die „Pennsylvania" an den Ketten zerrte, die sie beide schon in der nächsten Stunde elbabwärts zur See und dann zur neuen Heimat führen sollte. Billetts hatte der Flüchtige schon vorsorglich gelöst, das wenige Gepäck war ausgegeben; er hatte also nur noch an Bord des Schiffes zu gelangen, um dann den Verfolgern ein Stück voraus zu sein. Doch als er inmitten der sich stoßenden und drängenden Menschen stand, die gleich ihm hinüber wollten zu dem Ozeanriesen, schlug plötzlich eine ihm wohlvertraute Stimme an sein Ohr, strebte der Hund wie wild von ihm zu einem alten Herrn, der abseits stand und eingehend die Vorübergehenden musterte, strebte zum Vater des Defrau danten! (Schluß folgt.)