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Ms letzir Wette. Skizze von Paul Klaß. (Nachdruck verboten.) Ceorg Sellmann trat mit kraftvollem Schritt in das Restaurant ein, aus dem Musik hervordrana und Tabak rauch vermischt mit dem Vierdunst einen Weg ins Freie suchte. Seine Gestalt war etwas untersetzt, aber kräftig. Aus dem ein wenig kantigen, sympathischen Gesicht schauten ein paar Helle Augen, und als er eben den Hut abnahm, konnte man seine kleinen, blonden Locken sehen. Knapp über die Zwanzig mochte er sein, jedoch prägte sich in sei nem Auftreten ein kühner Zug aus, der ihn oftmals älter erscheinen liest. „Hallo, Georg," rief cs ihm von einem vollbesetzten Tisch, an dem junge Leute Platz genommen hatten, entge gen. „Hast du deine Strafe bezahlt?" Der Angerufene lächelte fröhlich. „Dis auf den letzten Pfennig." „Sobald steigst du wohl nicht mehr auf den Kirchturm, alter Freund. Es war das ein Batzen Geld." „Na ja, der Spaß war eben teurer, als er berechnet war. Immerhin, es ist eine abgetane Sache." Mit diesen Wor ten setzte er sich ebenfalls an den Tisch. Da bemerkte er einen Fremden, den er vorher nicht beobachtet hatte, an dem gleichen Tische und mit höflicher Verbeugung nannte er leinen Namen. Auch der Fremde erhob sich leicht und murmelte einige Worte. Es war ein großer Mensch. Sein Kopf war schmal und sein Gesicht von schlechten Kerben durchzogen, als hätten Leidenschaften oder schweres Leid sie durch schnitten. „Was ist's mit dem Kirchturm?", fragte Ler Fremde, der wohl ein Reisender sein mochte, einen neben ihm sitzen den jungen Mann. Bereitwilligst erzählte dieser mit verschiedenen aner kennenden und halb stolzen Blicken zu Georg die Kirchturm- geschichte. Georg hatte nach einem vergnügten Kneipabend mitten in Ler Nacht den Kirchturm von St. Marien be stiegen. Diese unerhörte Leistung und Frechheit hatte na türlich trotz der späten Stunde Zuschauer und endlich die Polizei angelockt, die den Uebeltäter bei seinem Herabkom- mcn in Empfang nahm, um ihm eine gehörige Geldstrafe aufzubrummcn. Georg Sellmann war im Grunde genommen ein sehr gutmütiger Bursche, Ler sich sonst kaum etwas ru Schulden kommen ließ. Aber in ihm steckte eine Tollkühnheit, die sich manchmal Luft zu machen suchte. Ein ungebändigter Drang war in ibm. mit dem Leben zu spielen. Alle guten War nungen fruchteten nichts. Wenn ihn die Laune überkam, seine Altersgenossen und Freunde nannten es Rappel, dann mußte er etwas machen, wo seine Geschicklichkeit allein ihn vor dem Untergang bewahrte. Während die Kirchturmgeschichte erzählt wurde, sah Georg versonnen vor sich hin. „Jetzt ist es aus mit dem Spiel," dachte er wehmütig. „Ich habe es Lene versprochen, nie wieder so etwas zu tun." Er liebte sie mit jedem Atemzuge seiner Jugend und nur darum hatte er sich her beigelassen, das Versprechen auf ihr dringendes Bitten zu geben. Sie hatte ja auch so vernünftig gesprochen, daß er gar nicht anders konnte. Den Fremden schien der Fall zu interessieren. Er fragte immer mehr; staunte immer mehr über die Heldentaten, die Georgs Freunde noch zu erzählen wußten. Aber der Fremde zweifelte. Mit spöttischem Lächeln warf er den jungen Leuten Prahlmeier vor und streifte dann mit einem Blick Georg, der dunkel errötete Es erregte ihn, daß man den Erzählungen nicht glauben wollte. Er war aber zu stolz, um nur ein Wort zu jagen. In seiner unterdrückten Wut trank er ein Glas Bier nach dem andern; das erhitzte ihn noch mehr. Endlich aber konnte er doch nicht mehr an sich halten. Seine jugend lichen Augen blitzten. Mit der Faust schlug er auf den Tisch. „Wenn Sie es nicht glauben wollen, io lassen Sie cs halt bleiben," herrschte er den Fremden an. „Nun, nun junger Mann. Es ist doch kein Grund da, sich aufzuregen! Junge Leute übertreiben gern!" „Jetzt wird mir's aber zu bunt," schrie Georg entrüstet, während seine Freunde sichtlich auf seine Seite traten. „Dann zeigen Sie es mir doch einmal," sprach nun der Fremde mit ironischem Lächeln. »Draußen vor der Stadt habe ich eine Felswand gesehen, gerade senkrecht über dem Fluß. Dort ist ein spitzer Vorsprung. Ich glaube nicht, daß man ihn betreten kann. Allein, ein Mann, der Kirch türme erklettert " Verblüfft kam es nun aus dem Munde der jungen Leute: „Die Note Nase?" ' „Ganz recht, ich glaube, so nennt man den Felsen." > „Den hat niemand mehr bestiegen, seit dort das Kreuz st^ht zum Andenken an einen Gestürzten" „Jawohl, richtig, richtig. Dort, wo Las Kreuz steht. Na, junger Mann, wollen Sie es wagen? Hier, meine Börse lege ich hin. Wollen Sie es versuchen?" „Der Sandstein bröckelt ab," entgegneten die Freund« Georgs. „Täglich erwartet man, daß die Rote Nase hinab, stürzt." „Wir wollen wetten," sagte nun Georg, der bis dahin geschwiegen hatte. „Behalten Sie Ihr Geld. Ich ver, lange nur dafür, daß Sie hier im Lokal die Beleidigungen als solche zurücknehmen." „Du bist nicht bei Sinnen, Georg," warnten die Freund« ihm zu. „Es ist dein Tod." Georgs Züge waren starr geworden. Mit entschloßenen Augen blickte er umher. Etwas Wildes lag in dem Aus druck, der keinen Widerspruch zu dulden schien. „Wir wollen gehen, Herr, sofort!" „Sofort? Jetzt in der Nacht?", fragten die Freunde. „Oder bleibt Ihr hier?", fragte er dagegen, indem er sich schon zur Tür wandte. Stumm ging Georg durch die Nacht den anderen voran. Man bestimmte ihn, die unsinnige Wette aufzugeben. Aber er antwortete nicht. Verbißen preßte er Lie Lippen aufeinander und ballte die Fäuste. Etwa dreiviertsl Stunden hatten sie zu gehen. Man forderte den Fremden auf, die Wette rückgängig zu machen. Der aber lächelte nur spöttisch und versuchte noch zu hänseln. Endlich hatten sie die Höhe erreicht. Steil fiel der Fels ins Tal hinab. Im Mondlicht rollte Ler Strom seine Wo- gen Hinfort. Am anderen Ufer lag die Stadt. Die Dächer und Türme schimmerten im fahlen Licht. Aus dem dunk- len Schatten tauchten die Hellen Straßenzüge scharf hervor. Die „Note Nase" war «in Felsvorsprung, der anfangs eins ziemliche Breite hatte. Aber er verjüngte sich immer mehr, bis er endlich spitz und scharf zulief, so Laß man sich kaum rücklings darauf halten konnte. Dicht daneben stand das Kreuz. Aus Sandstein gehauen, groß und wuchtig stand es da als ein Warner, der in der Nacht gespenstig seinen Schatten warf. Der Fremde stand da und faltete seine Hände überein- ander und schaute gelaßen zu. „Sie haben ihn auf dem Gewißen," rief man ihm ent gegen. Aber er lächelte Zynisch. Die Freunde versuchten nochmals, fast mit Gewalt, Ceorg von seinem Vorhaben abzubringcn. Vergebens. Er warf seinen Hut und seinen Rock von sich, betrat den Vorsprung. Es war unheimlich still. Nur aus Ler Tiefe hörte man den Fluß rakschen. Ceorg ging weiter vor. Jetzt konnten nur noch seine beiden Füße dicht neben ein ander stehen. Langsam ließ er sich nieder. Rutschte mit den Füßen am Gestein entlang, dann saß er darauf. Aber die Spitze war noch entfernt. Vorsichtig tastete er sich vor wärts. Zu beiden Seiten gähnte die Tiefe. Jetzt, da er nahe am Ziel war, fühlte er plötzlich eine große Schuld, die er bis dahin nicht empfunden hatte. Er hatte sein Versprechen gegeben. Noch fühlte er den Kuß, mit dem er es besiegelt hatte. „Lene." Er sprach das Wort aus und sah dabei weit in den Himmel hinein. Eine tiefe Reue packt« -ihn. Im Stillen leistete er Abbitte. Ganz entrückt wurden seine Gedanken. Nie mehr würde er sich Hinreißen laßen. — Da gellte ein scharfes, schrilles Lachen durch die schwer- gende Nacht. Der Fremde hatte es ausgestoßen. Niemand hatte je erfahren, warum. Aber Georg fuhr es wie ein Peitschenhieb durch den Körper. Mit einem Ruck wandte er sich um, verlor das Gleichgewicht und stürzte. Nur einen einzigen Schrei ttörte man. Dann gab es in der Tiefe ein Krachen und Splittern. Geröll rieselte nach. Und dann war alles stumm. Die Nacht schwieg. Ehe die Freunde ihn fanden, war er rot, am Felsen zerschmettert. Der Fremde aber war verschwunden.