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Lose. Der einst er seine junge Sonnige Liebe gebracht, Die hat ihn gehen heißen, Nicht weiter >ein gedacht. Drauf hat er heimgeführet Lin Mädchen, still und hold; Die hat von allen Menschen Nur einzig ihn gewollt. Und ob sein Herz in Liebe Niemals für sie gebebt; Sie hat um ihn gelitten Und nur für ihn gelebt. Theodor Storm. Das Haus am Hügel. Skizze von Elfriede Neuhaus. (Nachdruck verboten.) Ein lustiger Wettertanz hatte begonnen, Sturm peitschte den Regen, die Straßen waren im Nu leer, denn die Menschen hatten sich schleunigst in Haustore und unter Valkone geflüchtet. Drei Menschen, zur Reise gerüstet, schauten ungeduldig in das Treiben, drängten sich fester an die schützende Häuserwand und durften doch nicht länger verweilen, wenn sie den Zug nicht versäumen wollten. Kurz sagte der Mann: „Laßt uns gehen!" Die beiden Frauen schlugen den weiten Lodenmantel fester um den Leib und folgten dem Voranschreitenden. An der nächsten Autohaltestelle stiegen sie in den Wagen, wischten sich die Näße aus dem Gesicht und lachten. Traut, die Mutter, meinte gelassen: »Jetzt gibt es kein Zurück mehr!" Helle, die Tochter, schlank, blond, elastisch, hatte große, klare, strahlende Augen, die in Lebensfreude aufleuchteten: „Das Haus am Hügel wartet unser!" Ingbert Heckmann blieb schweigend; sein Blick war düster, die hohe Stirn von Falten zerrissen und der strenge Mund herb geschlossen. Der Widerstreit seiner Ideen mit der Umwelt batte einen heftigen Kampf in seine Seele ge schleudert; schwer empfand er die Last des Daseins, er drückend fast. Seine Frau dachte: Im Haus am Hügel wird er wieder gesunden und froh werden. Helle, vom Leid des Lebens noch unberührt, faßte nach der Hand des Vaters, hielt sie warm umschlossen bis am Bahnhof — das gab dem herben Mund den Anflug eines Lächelns. — Etwas später trug der ratternde Zug sie hinaus, im mer mehr von der Großstadt entfernt, dem Ziel ihrer Sehn sucht entgegen. Ihr Blick wurde freier, sorgloser, ihr Atem tiefer. An einer kleinen Station stiegen sie aus; einsam lag der entlegene Ort, durch den sie schritten. Sie überquerten einen schmalen Brückensteg, ließen die letzten Hüttlein zu rück und gingen weiter durch Wiese und Acker, bis weiß stämmige Birken ihnen den Weg versperrten. Sie standen am Hügel. Das Unwetter hatte sich gelegt, die Sonne klomm hin ter den Wolken hoch, schüttelte ihr flüssiges Gold übers Land; weißer leuchteten Lie hohen Birken, und warm schimmerte dahinter das rote Haus — das Haus am Hügel, das nun den Dreien eine Heimat werden sollte. Ter Regenbogen spannte seine bunte Brücke, tausend tropfende Perlen tranken das bewegliche Licht, und im Spiel vielfarbiger Strahlen wurden die winzigen Kügel chen zu einem Geschmeide von soviel Schönheit, wie Men schenhand es nicht erschaffen kann. Als sie sich satt geschaut hatten, stiegen sie beflügelt den Hügel hinan und erreichten bald das rote Haus mit dem herrlichen Ausguck ins weite Tal. Einige Stufen führten in die oorgebaute Halle mit Glasüberdachung, behaglich waren di'e Zimmer, hygienisch auch Küche und Badegemach. Im oberen Stockwerk lagen die Hellen luftigen Schlaf zimmer und der Arbeitsraum des Künstlers; hier durfte ihn niemand stören. — Nachdem sich die drei durch ein Bad erfrischt und die dunkle R-isekleidung durch Helle Hausgewänder «ingetaujcht hatten, setzten sie sich um den runoen, gedeckten Tisch und ließen es sich nach der Wanderung in der kalten Nässe wohlschmecken. Etwas darauf ging ein jeder seiner Beschäftigung nach. Jngebert saß vor seinem Schreibtisch, ab und zu hob er,die Augen und ließ sie auf der weiten, friedlichen Land schaft ruhen. Stiller wurde es in seiner Seele, klarer; das machte auch sein ernstes Gesicht um einen Schein milder — Die Dämmerung kam, er hörte einen leisen Frauenschritt an seiner Tür vorbeihuschen. Er öffnete und fragte: „Traut, bis du es?" Sie kam zurück. Er führte sie ans Fenster. Gemeinsam, seelisch nahe, blickten sie miteinander über die weilen Wiesen, die in gelber und rötlicher Blüten- pracht prangten. — Helle sang; ihre frohe, schöne Stimme hallte durchs Haus — das Glück weilte im Haus am Hügel. Aber nach Wochen mußte die Tochter zurück in die große Stadt, noch ein Examen — dann hatte sie es ge schafft; sie studierte Medizin, um kranken Kindern zu helfen, sie zu heilen. Bei einer älteren Witwe mietete sie ein großes Helles Zimmer. Frau Kirsch sagte eines Morgens zu ihr: „Fräu lein Heckmann, ein neuer Mieter ist gestern zu mir ge zogen; darf ich Sie am Mittag mit ihm bekannt machen?" Und mittags stand sie einem schlanken, gebräunten, dunkelhaarigen Manne gegenüber; er war Assistenzarzt. Als sie sich die Hände reichten, sich in die Augen sahen, war es ihnen zumute, als seien sie längst miteinander bekannt gewesen. Und im Sprechen fühlten sie die gegen seitigen Berührungspunkte; sie liebten die Natur und hielten die Kultur des Körpers für wichtig, weil der ge stählte Körper die Kraft besaß, auch den Geist nach einem herrlichen Willen zu gestalten. Doktor Frank Hermes war jung und — verlobt. Einmal, flüchtig, sah Helle die Braut im Auto vor dem Haustor; sie war stolz und schön. Helle und Frank Hermes kamen nun öfters zusammen, manchmal trafen sie sich im Wohnzimmer der Frau Kirsch zu einem gemeinsamen, gemütlichen Plauderstündchen. Einst sagte die Witwe zu Helle: „Das wäre der rechte Mann für Sie gewesen, Fräulein Heckmann, schade, wie schade nur, daß er bereits verlobt ist!" „Schade!" Leise hatte Helle es wiederholt, als sie in ihr Zimmer ging, doch da erschrak sie. Nein, nie und nimmer sollte ihr Sinnen und Denken sich an den ketten, der einer anderen gehörte. Sie war ja noch jung, sie wünschte sich der Liede Allgewalt in ihrer ganzen Größe, nicht klein, nicht zer stückelt; denn gerade das Nureinssein, die tiefste Sehnsucht des Einen nach dem Andern und das höchste Zusammenge hörigkeitsgefühl bedeutete die Stärke, die zu einem frohen, himmelstürmenden Schaffen anregte. Nur, wo die Liebe wie Las Sonnenlicht ist, da bringt sie Glück und Segen. — In der Einsamkeit ihres Zimmers fühlte sie mehr denn je die Enge der vier Wände, die Häusermauern, die schwüle Stadtluft. Jetzt verstand sie mit einem Mal den Vater, den das viele Denken in der großen Stadt irre gemacht hatte an sich und anderen, daß des Lebens Schwere aus ihm zu lasten begann. Und sie deckte die Augen mit der Hand, sie wollte den jungen Mann meiden; sie mußte wie der ruhig werden . Aber gerade hörte sie seine wohllaute Stimme; er fragte nach ihr. Indes, als Frau Kirsch kam und an ihre Tür pochte, öffnete sie nur einen schmalen Spalt und sagte hart und scharf: „Leider — das Examen kommt näher, ich bedauere sehr —" Dann bestand sie ihr Examen und kehrte in das Haus am Hügel zurück, das nun der Aufnahme schwacher und kränklicher Kinder dienen sollte. Flüchtig hatte sie von Frank Hermes Abschied genommen, fremd waren sie aus einandergegangen. Ihm war weh ums Herz geworden, als sie schmal, gereift, mit schimmerndem Blick ihm die Hand gereicht hatte; aber das Mitleid in seinen Augen ertrug sie nicht, hochaufgereckt hatte sie kalt an ihm vorbeigeschaut. Die Eltern erschraken; sie hatten Hella an der Bahn abgeholt und sahen, wie blaß sie geworden war. Die Mutter küßte sie und strich bewegt über ihre Wangen. „So schmal und bleich bist du — ach! Die Stadtluft " Leise sagte Helle: „Das Studium war so anstrengend —" doch vor dem forschenden Blick des Paters schlug sie die Augen nieder.