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Pläne an, Vie Sie in bezug auf sie und dreien neuen lungen Doktor Lott halten. Warum beschäftigen Sie sich nicht wenigstens damit jetzt ein wenig'' Es würde Cie zerstreuen, und der Verkehr mit frischer Jugend war Ihnen doch immer lieb!" „Ja, aber jetzt ist mir eben alles gleichgültig — vielleicht, weil auch da die Dinge immer anders kommen, als man wünscht!" „Wieso?" „Gott, die jungen Leute schmieden sich eben ihr Glück oder — Unglück lieber selber, anstatt es sich von anderen schmieden zu laßen! Denn Doktor Lott liebt ein anderes Mädchen und Paula hat auch plötzlich umgejattelt! Wenn mich nicht alle Anzeichen trügen wird sie uns nächstens durch ihre Verlobung mit Doktor Gerhard Schober über raschen der ihr noch viel besser zu gefallen scheint als Fred Lott. Na — sprechen wir nicht mehr darüber Ich habe das Elückschmiedenwollen jedenfalls aufgegeben Erzählen Sie mir lieber etwas von Ihren Patienten, das ist sicher interessanter als Liebesgeschichten!" „Das möchte ich stark bezweifeln!" „Sagen Sie mal, Doktor, ist es wahr, daß der alte Herr Ehrhardt schwer krank sein soll? Irgend jemand sprach, glaube ich, kürzlich davon — er soll am «eiben Tag wie mein Mann erkrankt sein und, wie man sagt — hoffnungs los. Sie sind ja Hausarzt dort, wenn ich nicht irre, und müssen es daher wohl wissen?" Frau Sephin« sagt es scheinbar gleichgültig, ohne den Arzt dabei anzusehen. Doktor Holder nickt. „Ein Teil davon ist schon wahr, wenn Herr Ehrhardt auch durchaus nicht ,hoffnungslos', sondern vielmehr bereits außer Gefahr ist." „Was fehlt ihm denn?" „Er tat einen Fall am Grabe seines Sohnes, der sehr kos' ausfallen hätte können, ihm aber, wenn man es recht betrachtet, eigentlich zum Glück ausschlug." „Wieso?" Doktor Holder schildert mit behaglicher Breite den gan zen Vorfall samt den Begleitumständen und den sich dar aus ergebenden Folgen. „Sehen Sie, und so ist die ganze Sache eigentlich für die alten Leutchen, die sich seit zwanzig Jahren in wahrhaft krankhafter Weise in ihren Schmerz verbissen, doch ein Elücksfall geworden," schließt er. „Ehrhardts hätten frei willig nie eine fremde Person ins Haus genommen, noch ihre Lebensweise irgendwie geändert. Außer dem alten Balthasar Kunze, der Köchin Brigitte und dem Stuben mädchen, die alle schon im Hause dienten, als der Sohn noch lebte, durfte niemand um sie sein Licht. Luft und Farben waren verpönt, die ganze Villa glich einem Grab, und die einzigen Ausgänge der alten Leute galten der Erabkapelle am Friedhof —" „Ich wußte nicht, daß Ehrhardts so schwer an dem Ver lust des Sohnes tragen," murmelt Frau Sephine beklom men. „Ich dachte doch, daß sie sich mit der Zeit in das Unabänderliche finden lernten." „Sie kennen Ehrhardts?" „Ich verkehrte als junges Mädchen viel dort, da meine verstorbenen Eltern Jugendfreunde von Ehrhardts waren. Als ich mit achtzehn Jahren aus dem Genfer Pensionat nach Hause zurückkehrte und Mama kurz danach starb, nahm sich Frau Ehrhardt meiner sehr mütterlich an, und ich ver lebte viel glückliche Zeit dort — denn damals war die Villa Ehrhardt noch ein Sammelpunkt heiterer Geselligkeit." „Und warum gaben Eie den Verkehr dort denn nachher ganz auf, liebe Freundin'' Ihre fröhliche Natur hätte vielleicht verhindert, daß sich diese beiden Menschen zu Sonderlingen auswuchsen!" Frau Sephine starrt ins Weite „Ich war dort — zweimal — gleich nachdem das — Unglück geschah, aber man nahm mich nicht an." „Hm — schade! Denn, wie gesagt, es wäre vielleicht für die Leutchen zur Rettung geworden, Jugend um sich zu haben Eine junge, starke, opferfreudige Seele die nicht mit ihnen jammert und klagt, sondern sie mit 'achter Ge walt ins Leben zuriicksührt wie es diese fremde, junge Person nun so wunderbar zu tun versteht." „Ist sie ganz im Haus?" „Nein, aber sie verbringt viele Stunden des Tages bei dem alten Herrn, der sie ja am liebsten gar nicht mehr von sich laßen möcht» und aus einem halb abgestorbenen Greis plötzlich wieder ein lebhafter, fröhlicher Mensch wird in iLrer Nähe." „Das ist allerdings sehr seMam! Am seltsamsten, daß Ehrhardts sich nach so langer, völliger Abgeschlossenheit nun plötzlich so rasch an eine wildsremde Person anschloßen!" „Ja, es scheint Fernstehenden seltsam bis zur Unbegreif lichkeit, erklärt sich aber, wenn man die Umstände näher in Betracht zieht. Herr Ehrhardt har sich in den Jahren der Einsamkeit viel mit Theosophie befaßt, die bekanntlich annimmt, daß die Seele des Menschen, ursprünglich von Kott ausgehend, nach einer Stufenleiter unendlicher In karnationen endlich rein und vollkommen wieder an ihren Ausgangspunkt zurückkehrt." „Sie meinen, daß die Seele eines Verstorbenen also wiedergeboren, in anderer Menschengestalt, zur Erde zu- rückkehrt?" „So nimmt die Theosophie an, und Herr Ehrhardt sowie seine Frau sind von diesem Glauben durchdrungen." „Aber was hat das mit der jungen Person zu tun, die —" „Sehr viel! Ich vergaß nämlich bisher, einen Umstand zu erwähnen, der recht merkwürdig ist und in diesem Falle ausschlaggebend wirkte: Diese junge Person hat nämlich zufällig in Farbe, Schnitt und Ausdruck dieselben Augen wie der verstorbene junge Ehrhardt. Die Aehnlichkeit ist geradezu überraschend und hat auch mich sogleich verblüfft, denn ich erinnere mich des armen Robert noch sehr deutlich, und ich glaube, jedem, der ihn kannte, mußten seine außer gewöhnlich sonnigen, ausdrucksvollen Augen in unvergeß licher Erinnerung bleiben. Ihnen nicht auch?" „Ja — natürlich — aber sprechen Sie weiter, Herr Doktor. Dieses Mädchen also ähnelt dem Verstorbenen?" „Das heißt, ihre Augen ähneln ihm so sehr, daß die Eltern sofort heftig erschüttert wurden. Als dann nach Herrn Ehrhardts Sturz sein Geist vorübergehend gestört war, glaubte er in dem Mädchen tatsächlich den Sohn zu erblicken, sprach sie als .Robert' an und geriet in die größte Erregung, wenn sie sich von seinem Bett entfernte Später, als mit zunehmender Kraft auch der Geist wieder in seine natürlichen Bahnen zurückkehrte, setzte sich die Ueberzeu- gung in ihm fest, daß die Seele seines Sohnes in diesem Mädchen wiedergeboren worden sei, und mag nun diese Einbildung anderen auch lächerlich erscheinen — ich sage: Es ist ja meist ein Wahn, der uns Menschen glücklich macht. Jedenfalls — und das ist hier die Hauptsache — erholt und kräftigt sich Herr Ehrhardt zusehends dabei und empfin det nach so langen, trostlosen Trauerjahren nun noch ein Nestchen Glückes, indem er in Gloria seines Sohnes Seele wiedererstanden glaubt." „Gloria? Sagten Sie wirklich — Gloria?" sagt Frau Sephine, die des alten Arztes Worten in atemloser Span nung gelauscht, heftig erregt. „Ja, so heißt nämlich das Mädchen. Sie ist die Tochter eines kürzlich verstorbenen Gärtners und lebt bei einer alten Frau, die einst ebenfalls eine Gärtnerei besaß und Kathi Schönwieser heißt Von dieser Frau erfuhr ich auch, daß Gloria in ihrer Umgebung schon seit jeher nur,Unser Sonnenschein' genannt wurde — ein Beweis, wie richtig der Volksinstinkt das Besondere an einem Menschen erfaßt! Denn dieses Mädchen hat nicht nur sonnige Augen, son dern wirkt tatsächlich wie Sonnenschein." Frau Sephine sagt nichts mehr Aber sie ist sehr bleich. „Was ist Ihnen, liebe Freundin? Sie find erregt? Warum? Ist meine Erzählung schuld daran?" „Nein, nein —" stammelt sie mit Anstrengung, „es war nur der Name — Gloria — Unser Sonnenschein —" „Kennen Sie das junge Mädchen^" „Nein. Aber diese Namen wurden mir bereits von anderen genannt. Einer meiner Bekannten liebt dieses Mädchen." Frau Sephine fährt sich über die Schläfen und versucht zu lächeln. „Kümmern Sie sich nicht weiter um mich, Doktor, und seien Sie mir nicht böse, wenn ich Sie jetzt bitte, mich allein zu laßen Was Sie mir da von den alten Ehrhardts und ihrem theosophischen Glauben erzählen, hat mich sehr be wegt — ich muß wirklich Ruhe haben, um — mich wieder zurechtzufinden —" Doktor Holder empfiehlt sich sofort mit dem Bemerken, morgen wiederzukommen. Kaum hat sich die Tür hinter ihm geschloßen, sinkt Frau Sephine mit einem tiefen Seufzer in die Kissen des Sofas zurück „Das war zu viel — zu viel!" murmelt sie und starrt dann schweigend und unbeweglich zur Decke (Fortsetzung folgt.'