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N :S S - S Ich war mürbe, zermürbt. Pekuniäre Hilfsmittel zu umfassenderen Nachforschungen standen mir nicht zu Ge bote. Das meine war vertan, Tante Bell unterstützte mich nicht mehr. Um die Schulden z. decken, mutzte ich unser Heim, unseren Annenhof verkaufen. Dell bot mir eine Zuflucht im Stift An ibrer Seite, unter ihrem Schutz sollte ich dort leben Verborgen iollte 'ch leben, ich und das Kind Nur meinen Frauennamen iollte ich ver schweigen — meinen Frauennamen und den anderen, ach so viel süßeren." .Mutter!" schrie ich voll Schmerz auf. „Mutter, ach Mutter!" „Vergib mir, Kind, ach vergib!" tönte ihre Stimme leise wie ein Hauch an mein Ohr. Ihr vergeben? — Statt aller Antwort zog ich sie fester an mich, drückte und herzte sie und stammelte immerfort nur das eine lang begehrte Wort: „Mutter! Mutter!" Endlich wehrte sie mir sanft. „Kind, du erdrückst mich ja!" „Ach was!" lachte ich. „Muh ich nicht die vielen, vielen Jahre nachholen? — Aber warum —" „Warum ich dir das nicht früher erzählte? meinst du. Ich wollte es damals, als Tante Bell dich adoptieren wollte, als du ihren Namen annehmen und dafür deinen, seinen Namen ablegen solltest. Kannst du dich entsinnen?" Ich nickt«. Ach, ich wußte jenen Tag nur zu genau. „Du selbst entschiedest damals ohne zu wissen, um was es sich handelte. Du behieltest den Namen Walden, und mutztest dafür hinaus in die Welt, dein Brot verdienen. So wollte es Tante Bell. Ich hätte mit dir ziehen müssen, wenn ich dir die Wahrheit enthüllte. Ich und die Wahr heit — welch schwerer Ballast für dein junges Leben! Lieber wollte ich allein bleiben, allein weiter auf ihn hoffen und harren, wie alle die langen Jahre, in Venen die leise Stimme nie sterben wollte, die da flüsterte: Er ist nicht tot, er wird wieder kommen." Ann richtete sich auf. Hohes Freudenrot lag auf ihren Wangen, ihre Augen leuchteten, als sie fortfuhr: „Und mein Herz hatte recht! Er ist nicht gestorben, er ist zurückgekommen, zurück zu mir in Liebe und Treue, wie er gegangen." Voll Spannung hing mein Blick an ihren Zügen. Wie schon war sie, meine Mutter, und wie jung sah sie aus m ihrem Gluck! „Und du, mein Kind, mein armes, teures — du bist es, die ihn mir zugeführt hat! Unwissentlich auf schwerem Wege hast du ihn gefunden, und er durch dich den Weg zu mir." Einen Augenblick starrte ich sie an — ich begriff nicht. Dann kam es wie plötzliche Erleuchtung über mich, als würde eine Binde von meinen Augen genommen: „Mr. Wood — Annenhof —" „Fred Wood in Amerika — Fred Walden für uns!" „Aber wie — wo — warum?" stammelte ich fas sungslos. Meine Mutter faßte meine Hände fest in die ihren: „Bleibe ruhig, Lotte, das Schwerste kommt noch!" bat sie. Das Schwerste, wo nun alles so wunderbar sich gefügt hatte! Ich verstand nicht. „Tante Bell hat meine ersten Briefe nicht abgehen lassen — er hat keinen erhalten. Auch die seinen gab sie mir nicht." Ich fuhr auf, wie von der Tarantel gestochen. „Die Schändliche, wie durfte sie es wagen —" Ein ernster Blick meiner Mutter gebot mir Schweigen. „Nicht so rasch! Sie hat viel gelitten — später — unter diesem ihrem Tun. Sie hat es uns selbst unter bitteren Tränen gestanden. Aber als sie ihre raiche, un überlegte Tat bereute, da war es zu spät dazu. Keiner der Briefe, die dann noch abgingen, erreichten Fred, Sie kamen als unbestellbar zurück nach vielen Monaten. Wir hatten ja auch seine Adresse nicht mehr, da er sich schon damals von der Expedition getrennt hatte. — In Gram und Schmerz hat er keinen eigenen Weg eingeschlagen. Nicht nur, daß er keine Nachricht von uns bekam, — in einem großen amerikanischen Blatte war eine Todesanzeige gewesen. — Ich habe sie auch nun gesehen, alt. abge griffen. er trägt sie immer bei sich — Da mein Name, mem voller Name. Ein Eisenbahnunglück war beschrie ben: ich stand in der Liste der Toten Ich war mit dir und Bell damals in demselben Zuge gefahren — Gottes Hand hatte uns am Leben erhalten, dafür das Glück meines Mannes im fernen Westen vernichtet — sein und auch mein Glück. Ein Mißverständnis der Berichterstatter, ein Ungefähr, ein Zufall — wie man es nennen will. Gottes Wille, sage ich!" „War es nicht vielleicht auch Bell?" fragte ich miß trauisch. „Nein, hieran hat Bell keinen Teil. Was ihre Schuld war, das hat sie uns gestanden, voll und ganz. Und wir haben ihr vergeben, Fred und ich. Auch du —?" „Nein, ich nicht!" Ich schloß die Augen. Ich konnte ihr nicht so rasch vergeben — ich nicht. „Was wäre Tante Bells böse Tat gewesen, hätte Gott sie nicht in seinem unerforschlichen Ratschlusse gutge heißen? Hätte er sie nicht zu Ende geführt und unseren Weg vollends verdunkelt und verwirrt? War Bell und Bells Leidenschaft nicht nur ein Werkzeug seiner Hand? Durch das er uns strafen und zu sich ziehen wollte?" klang die Stimme meiner Mutter sanft zu mir. „Und hat er nicht jetzt die Fäden so herrlich entwirrt in seiner Gnade? Gibt er uns jetzt nicht in Hülle und Fülle? Willst du kleinlich sein in all dem Reichtum, willst du nicht vergeben aus deiner Freude und Liebe heraus?" „Ach, Mutter! Mutter!" Ich umschlang sie heftig. „Mutter, bist du gut! Und groß! Miß mich noch nicht mit deinem Maß — noch nicht!" Sie fuhr begütigend über mein Haar. „Wie jung du noch bist — jung und ungestüm." — Und nach einer Weile: „Doch nun komm — Vater wartet!" Mein Vater! Meine Mutter! Ach, diese beiden, langentbehrten Namen, ich konnte sie nicht oft genug aussprechen. Als wir drei den langen traulichen Abend beisammen saßen und der endlich Heim- gckehrte von seinem bunten, wechselnden Leben erzählte, schien es mir. als gäbe es nichts Köstlicheres auf der Welt: Vater — Mutter! — Mutter, Vater! — XVI. Ein Leben zwischen Vater und Mutter! Langersehn tes, schmerzlich vermißtes Glück. Wie still und innig war meiner Mutter Liebe, wie zärtlich hingen meines Vaters Blicke an uns beiden! Er konnte sich nicht genug tun. Mit vollen Händen streute er seinen Reichtum über uns, jeden, auch den leisesten Wunsch wollte er erfüllen. Und wenn wir seinen Gaben wehrten, bat er: „Ach, laßt mich doch, ach, laßt es euch gefallen! Ich muß ja so viele Jahre nachholen — so viele Jahre!" Da konnten wir nicht anders, wir ließen ihn gewähren. Sein Glück war zu groß, es mutzte sich irgendwo betätigen. Wie strahlten meiner Mutter Augen tn tiefem Blau, wie blühte sie auf in neuer Jugend und Schönheit! Ein Duft und Glanz lag über ihr: oft sah ich sie verstohlen an. Wie wunderbar jung sie aussah! Das volle, blonde Haar, die blitzenden Augen, die zarten, rosigen Wangen. Ich begriff nicht, ich sollt« ihr ähnlich jein? Alt und häßlich kam ich mir vor neben ihr. „Dein Ebenbild, Ann! Wäre sie nicht gewesen!" seufzte mein Vater oft. Und seine feinen Züge verdunkelten sich in nachträglicher Angst; ein leises Grauen kam in seine Augen. (Schluß folgt.) Sinnsprüche. Ein jeder glaubt, was ihm begegnet, Das sei ein ganz besondrer Spaß! Doch werden, wenn es tüchtig regnet. Die einen wie die andern naß! * Wenn einer spricht: Das Leben hat mich hart gemacht, So zweifle nicht. Er hat ein hartes Herz gleich mitgebracht.