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Heimatstätte, da sich einte, Was mir Lieb' und Freundschaft gab. Heimatkunde und volkSdikdung Immer mehr bricht sich die Erkenntnis Bahn, daß eine tiefgründige und wirklich wertvolle Volksbildung von der Heimat ausgehen mutz. Eigentlich hätte von vornherein nichts näher gelegen, als diesen in der schulmätzigen BilLungs- arbeit längst anerkannten Grundsatz einfach auf Lie freie Volksbildungsarbeit zu übertragen. Aber das ist jetzt, nach dem uns die Erfahrung die Ertenntnis gebracht, leicht gesagt. Die Erfahrung,'datz eine Volksbildung, die keinen Unterschied macht zwischen den Bewohnern von Dorf und Stadt, von Ebene und Gebirge, von Nord und Süd, kurzum, die keinen heimatlichen Charakter trägt, immer nur äußerlicher Firniß bleibt. Wie man in der Schule vom Zunächstliegenden zum Entfernten geht, so mutz man auch bei der freien Bildungs arbeit immer in der Heimat anfangen und wieder und wieder zu ihr zurückkehren, wenn man Lie einfachen Leute Les Vol kes, denen Lie sonst und seither üblichen Wege der Bildung verschlossen bleiben, auf ein höheres geistiges und Eeschmacks- niveau heben will. Und ein anderes kommt hinzu. Unsere Zeit entwurzelt gar zu leicht den Menschen. „Heimat, liebe Heimat!" Das können die Menschen von heute so oft nicht mehr von Herzen aussprechen, sie belächeln es, wenn sie es von anderen hören. Das ist sehr schlimm. Wieviel geht dem Men schen an Gefühlswerten verloren, wie haltlos steht er im Leben da, wenn er keine Heimat hat oder sie nicht kennt und liebt. Und — das ist ein dritter Punkt — wie gleichgültig wird ein solcher Mensch gegen seine Heimat, gegen ihre Ver unstaltung, gegen ihre Verödung. Was ist ihm überhaupt Natur? Was weitz er von ihren Schönheiten? Wie viele vegetieren nur in den Steinhausen der großen Städte und wissen es nicht und meinen zu leben. Und die andern drau ßen auf dem Lande, wie oft beneiden sie die Städter darum. Nach vielen Seiten, jo sehen wir, mutz es von segensreicher Wirkung sein, wenn wir unser Volk wieder besser lehren, seine Heimat zu kennen und zu lieben. Denn wer seine Hei mat liebt, mutz sie auch verstehen wollen, sagt Jakob Grimm. Und umgekehrt ists auch wahr: wer sie verstehen lernt, liebt sie von selbst. Solch ein erneuertes Heimatgefühl würde uns bringen: den rechten Boden für eine rechte Volksbildung, mit ten in unserer unruhigen Zeit einen festen Halt im Leben des einzelnen, Verständnis und damit Schutz unserer heimatlichen Kunst und Natur. Beide bedürfen dieses Schutzes heutzutage dringend. die roten Glocken Ler Dachnelkenwurz, Li« zierlichen Knaben kräuter? Alles, alles ist Naturplünderern zum Opfer gefal len. Wie lange wird es dauern, dann gehört auch die seltenste Pflanze unserer engeren Heimat — der Serpentinstein-Farn (Asplenium adulterinum) — der Vergangenheit an. Das zierliche Farnkraut hat nur zwei Standorte in Sachsen, bei Zöblitz und am Kiefernberg bei Hohenstein-Ernstthal. Herr Müller hat sich immer liebevoll dieser großen Seltenheit an genommen. In den letzten Jahren konnte er nur noch 12 Stück an zwei verschiedenen Stellen beobachten. Früher gab es den Farn noch ziemlich häufig im Pechgraoen. Schüler höherer Schulen, die gern eine Seltenheit in ihrem Herbarium be sitzen mochten, haben ihm aber so nachgestellt,, daß er bald ganz verschwunden sein wird. So verarmt die Natur immer mehr und mehr durch die Unvernunft der Menschheit. Es ist ja sehr erfreulich, daß sich auch neue Ankömmlinge von Zeit zu Zeit einstellen. Es han delt sich aber doch hier meist um unansehnliche Unkräuter. Sie können die schöne Flora, die uns genommen wird, durchaus nicht ersetzen. Klagen Helsen hier nicht viel. Jeder Natur freund müßte sich unbedingt zur Pflicht machen, seinen Mit menschen immer und immer wieder zum Bewußtsein zu brin gen, Latz es sich bei jeder schönen Pflanze, die unsere Heimat ziert, um ein Heiligtum handelt, das unangetastet bleiben mutz. Wird Liese Erkenntnis erst Allgemeingut, Lann werden wir das, was von den lieblichen Kindern unserer Flora noch vorhanden ist, erhalten können. Aber nur Lann. Gesetze der Regierung über Naturschutz, mögen sie noch so gut gemeint jein, sind völlig zwecklos. Sie werden doch nicht befolgt. braunrote Flecke, Lie sich auf ihren kleeartigen Blättern zei gen. Die Bauern unserer Heimat düngen vielfach ihre Kar toffelfelder mit Abfällen aus Wollkämmereien. Dadurch wird der Boden mit Stickstoff angereichert und infolgedessen treff lich für den Kartoffelanbau geeignet. In dem Wollstaube sitzen nun die Samen unserer Luzerne. So ist sie bei uns ein heimisch geworden. Sie hätte längst die weiteste Verbreitung gesunden. Leider ist sie außerordentlich wärmebedürftig und kommt deshalb nur in heißen Sommern zur Reife. Ihre Hei mat liegt ja in den Mittelmeerländern und in Nordafrika. Herr Müller hat aber trotzdem diese interessante Pflanze jedes beobachten können. Wir können sie also getrost als einen Jahr in den verschiedensten Orten um Hohenstein-Ernstthal neuen Bürger unserer heimischen Flora ansehen. Im Juni 1926 wanderte Herr Müller durch Oelsnitz i. E. An einem Zaune sah er eine Anzahl Franzosenkräuter stehen. „Seid Ihr nun auch endlich zu uns gekommen?" rief er freu dig überrascht aus. Das Franzosenkraut (Galinsoga parvi- flora) ist nämlich im Elbtale, vor allem in der Umgegend von Dresden eines der häufigsten Unkräuter seit einigen Jahren geworden, auch in verschiedenen Orten des Erzgebirges kommt es schon vor, in Ler Hohenstein-Ernstthaler Umgegend war es bisher aber noch nicht aufgefunden worden. Es ähnelt einer Kamille, hat aber große, ungeteilte Blätter. Da es außer ordentlich zäh und lebenskräftig ist und Labei sich sehr stark aussamt, wird s wohl bald bei uns zu einer der gewöhnlichsten Erscheinung der Pflanzenwelt werden. Seine Heimat ist Peru. Es könnte noch eine Anzahl anderer Pflanzen aufge- führt werden, die sich in unserer Heimat angesiedelt haben, seit Herr Müller Lie Flora aufmerksam beobachtet. Es sei hier nur noch an das sparrige Leimkraut (Silene Lichotomaj, an die schöne Stränze (Astrantia majorf und die Pfeilkresse (Lepidium draba) erinnert. Es herrscht eben auch in der Flora eines engbegrenzten Gebietes wie überall in Ler Welt ein ewiges Kommen, leider auch ein ewiges Gehen. Viele Pflanzen der Heimat, meist die schönsten und seltensten Blu men, finden infolge des Hochbetriebes in der Bodenbearbei tung, durch Anlage von Steinbrüchen und allerlei andere Ursachen ihren Untergang, in den meisten Fällen aber wohl durch das rücksichtslose Gebaren Ler Menschen. Herr Müller könnte hierüber manches Klagelied anstimmen. Jedes Jahr feierte Herr Müller Las Erwachen des Früh lings auf der breiten Talaue in Hermsdorf. Ueberall nickten ihm hier die wunderschönen Blüten des Himmelschlüssel ent gegen. Aus den nahen Gebüschen leuchteten die roten und blauen Blütensterne des Lungenkrautes. Primula veris, Blume des Frühlings, sei mir gegrüßet! jauchzt« er wohl dann aus übervollem, dankbaren Herzen. Weihestunden waren es stets, die er auf den Hermsdorfer Wie sen erlebte, 's ist anders worden in dieser neuen Zeit. Die traute Primula veris ist fast ganz verschwunden, das Lungen kraut mit Stumpf und Stiel ausgerottet. Kahl, ohne Früh lingsschmuck sind Wiesen und Gebüsche „Naturfreunde" haben durch Herausreißen und Ausgraben dieser schönen Frühlings boten jährlich nach ihrer Art den Lenz gefeiert. Durch sie ist die Natur verödet. Den größten Schmerz erlebte aber Herr Müller im Jahre 1925 im Stegenwalde bei Lugau. Hier kannte er einen Standort der herrlichen Elockenheide (Erika tetralix). Diese Pflanze ist im Norden Sachsens, namentlich bei Großenhain, keine Seltenheit, im gesamten, sächsischen Erzgebirge gibt es aber nur eine einzige Stelle, wo sie vorkommt, das ist eben ver Stegenwald. Vier größere Büsche standen hier, die treff lich gediehen, und die jedes Jahr eine Fülle ihrer roten Blütenglocken ansetzten. Jedes Jahr im Spätsommer pilgerte Herr Müller in den Stegenwald und erfreute sich an der Pracht seiner Heide. 1925 war sie verschwunden, vier Löcher im Erd boden verrieten nur den Ort, an dem sie einst geprangt hatte Jtgend ein „Naturfreund" hatte sie ausgegraben und mit fort genommen. Herrn Müller traten vor Wut über diesen Frevel die Tränen in die Augen. Ein Naturdenkmal ersten Ranges, eine der prächtigsten Zierden unsrer Heimat war für immer vernichtet worden. Auf ähnliche Weise findet eine der schön sten Blumen nach der anderen durch rücksichtslose Menschen ihren Untergang. Mo sind die vielen Maiblümchen hin, die noch vor wenigen Jahren unsere Feldhölzer zierten? Wo sind