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Bedenklicher Aberglaube. Bon M. Struve. Eine Neihe von Prozessen der letzten Wochen und Mo- Nare hat wieder ein sehr grelles Licht darauf geworfen, wie tief der Aberglaube auch in unserer aufgeklärten Zeit noch im Volke wurzelt. Man mag ihn als harmlos hinnehmen, soweit es sich um kindliche Vorstellungen handelt, bedenklich aber wird er dann, wenn er dazu benutzt wird, die Mit menschen auszubeuten oder sie gar zu verbrecherischen Handlungen zu treiben. Der Aberglaube hat letzten Endes seinen Ursprung in dem tiefinnersten Wesen des Menschen und wurde großge- zogen durch die Elaubensvorstellungen der Völker in den Jahrtausenden oie von einer Welt träumten, die nicht von dieser Welt ist, von Mächten, die außer dem Bereich unserer Äugen und Ohren, unserer Berechnung und Beeinflussung stehen und wirken. Er ist daher so alt wie der Glaube. Er ist zum Teil eine Verstümmelung oder Versteinerung über wundener oder vergessener Mythen, zuM Teil ein Ausfluß der Volkspoesie, von Zeit und Prosa ihres Schimmers ent kleidet und plump und planlos zu einem Fiirchtemann für große und kleine Kinder zurechtgemacht! Er ist ein wohl unausrottbarer Ueberrest aus der Jugend der Menschheit, wo das Märchen die Stelle der unerklärlichen Wahrheit einnahm und die Furcht und die Machtlosigkeit ihre dro henden und rettenden Gestalten schuf. Vom poetischen Aberglauben hat sich noch viel in unserer Zeit erhalten, lieber die Wasser schwebt er noch und um die Berge. Ter Schisser steht noch unter seinem Bann und der Bergbewohner; denn die Wellen rauschen und verschlin gen noch immer, die Nebel geistern, Schnee und Eis blin ken und täuschen! Tie unendliche Einsamkeit gibt der Einbildungskraft etwas von jener Flügelkraft wieder, die tm kühlen, wirren und doch so planmäßig geordneten, heu tigen Leben so schnell erlahmt. Im großen und ganzen aber sind es doch nur die Dichter, die uns ab und zu noch einmal einen kleinen, graulichen oder abergläubischen Schauer über den Leib jagen, angesichts eines spukhaften Schlosses, eines geheimnisvollen, unterirdischen Ganges oder einer seltsamen Erscheinung, die sie am Ende doch vorziehen, ganz menschlich und natürlich zu erklären. Ter poetische Aberglaube bedeutet also in unserer Zeit keine Gefahr mehr. Wenn die jungen Mädchen am Jo hannistage nachts ein Loch in den Nasen stechen, die um gekehrte Scholle darausstülpen und in Lem etwa gefangenen Würmchen oder Käferchen den Vorspuk eines ernsthaften Freiers für das nächste Jahr sehen; wenn sie stumm neuner lei Blumen pflücken, einen Kranz daraus binden und ihn ebenso wortlos unter ihrem Kopfkissen bergen, um den Wahrtraum in der geheimnisvollen Nacht der sommerlichen Jahreswende herbeizusühren — so ist das ein Spiel, an das im Ernst keine mehr glaubt! Taß Traumbuch und Punk lierbuch in Küchen und Gesindcstuben noch ein sehr mun tres Dasein führen, ist eine bekannte Tatsache. Toch wird man auch diesen beiden nur in Ausnahmefällen mehr in Lie Schuhe schieben können, als eine versalzene Suppe, einen angsbrannten Braten oder ein ungetränktes Kalb. Bedenklicher ist schon die Furcht vor dem Verfluchen und Anwünschen, von der das Volk noch stark beherrscht wird. Die Zigeuner leben, mindenstens zur Hälfte, davon. Wenn sie mit schwarzen, funkelnden Augen in den bronze- farbenen Gesichtern auf das Versagen einer Gabe mit einer schwungvollen Verwünschung von Leib und Leben, Haus und Hof, Menschen und Äieh antworten, so erschauern noch weite Kreise der Landbewohner, besonders Ler weibliche Teil bis ins Herz hinein und lassen aus sich möglichst er giebige Almosen herauspressen. Krankheit und Feuer, Pieh- seuchen und knappe Milch werden wohl noch lange Zeit mit bedeutungrvollem Kopsschüteln auf die Rechnung der fah renden Leute oder böser Geister gesetzt werden. Seltsame und verderbliche Blüten aber treibt der Aber glaube noch besonders da, wo cs sich uni Krankheitsabwen dungen und Heilungen handelt. Kein Mittel ist hier zu schmutzig, zu widersinnig, zu grausam, um nicht eine ge legentliche und begeisterte Anwendung zu finden. Der Schäfer und die „alte Frau" sind auf dem Lande nicht selten noch arge Feinde aller Hygiene und aller Medizin, namentlich in bezug auf Tiere. Den Menschen kommt aller dings seit einer Reihe von Jahren der Kassenarzt zu Hilfe und dient als Träger der Aufklärung und einer Erziehung zum Dessern^Tber gar nichUsekten sind auch Heuke noch die Fälle, wo Kranke oder Invalide ihre Zuflucht zu Schm fern oder alten weisen Frauen nehmen. Dagegen ist es durchaus nicht „ungebildet", die „Drei, zehn" bei Tisch wie das Feuer zu fürchten, lieber den Pfört ner oder die Waschfrau als Vierzehnten zu nehmen, als sich und seine Gäste den Todesgedanken auszusetzen, die diese Unglückszahl unbedingt hervorruft. Auch Dreizehn als Hausnummer, Dreizehn an einer Logentür, sind höchst unbeliebt. Auch gibt es sicherlich heute viele Leute, die sich von Träumen und Anzeichen die Laune trüben lasten; denn „kleine Kinder" und „kleines Geld" im Traum bedeuten den sogenannten Hofjungenärger desselben Tages. Fällt einem im Traum ein Zahn aus, so stirbt ein naher Ange höriger. Kuchen, Master und Fische sollen Krankheit vor aussagen. Wer Feuer sieht, dem lacht das Glück der Zu kunft, und ein langsam kriechendes Tierchen, das auch zu den Köpfen von anständiger Leute Kinder manchmal in Beziehung tritt, prophezeit das Glück: Geld, Geld, Geld! Als untrügliche Zukunftsverkünderin für den wahren Zustand eines Menschen gilt auch noch die Spinne. Begegnet sie ihm am Morgen, so verdirbt sie ihm die Stimmung; denn sie bringt „Kummer und Sorgen". Am Abend aber kann sie ihn in wahres Entzücken versetzen; denn sie läßt auf eine nächste Zukunft hoffen, die mit „erquickend und labend" bezeichnet werden muß. Katzen muß man sich hüten, über seinen Weg laufen zu lassen, ganz besonders schwarze Katzen. Auf die meist harmlosen prophetischen Gaben von Schuh-, Rock-, Jacken- und Westenknöpfen- braucht kaum hingewiesen zu werden. Schon mehr gefährlicher Aberglaube ist die leichtsinnige Zuversicht, mit der viele sich der „Bestimmung" unterwerfen. Wo man nicht dachte, nicht wollte, wo Men schenleben und Menschenglück durch Gleichgültigkeit, Be quemlichkeit, Unbelehrbarkeit und Unvorsichtigkeit in Ge fahr und zu Tods kamen — nicht selten werden die flie ßenden Tränen kaltherzig und oberflächlich mit dem Trosts getrocknet: „Es war Bestimmung — es hat nicht sollen sein!" So harmlos und scherzhaft, ja „verrückt" auch oft aber gläubische Sitten und Gebräuche anmuten, so haben sie doch auch eins ernste Seite. Vor allem sollte man die Jugend vor Aberglauben aller Art, namentlich vor Spukgeschichten und ähnlichem bewahren. Wenn öer Diener statt des Herrn Zürn Stelldichein geht, Zu jenen Leuten, die, da sie den Schaden haben, für den.Epolt nicht zu sorgen brauchen, gehört jetzt auch der bri tische Unterhaus-Abgeordnete Locker-Hampson. Dieser hatte einen Kammerdiener, der in jeder Hinsicht das Muster eines Dieners war; er war pünktlich, verschwiegen und verstand alles, was ein herrschaftlicher Diener verstehen muß. John Clarke — so hieß er — erwarb sich darum alsbald das volle Vertrauen seines Herrn und wurde auch für Aufträge ver wendet, die vielleicht etwas heikler Natur waren. So er fuhr er auch von den Heiratsabsichten seines Herrn gegen über einer Dame der Gesellschaft; er erfuhr weiter, daß sein Herr, weil es der Zufall so wollte, zwar wiederholt mit der Dame am Fernsprecher, aber sonst noch nie von An gesicht zu Angesicht zusammengekommen war. Darauf baute Ler schlaue Bursche seinen Plan. Da bot sich ihm einmal die Gelegenheit, ein lustiges Abenteuer zu erleben und so nebenbei sein Schäfchen ins trockene zu bringen. Ob er an eine künftige Erpressung oder dergleichen dachte, mag dahingestellt sein. Er witterte jedenfalls, daß es bei dieser Sache etwas zu verdienen gab. Darum kleidete er sich eines Tages so vornehm, wie es einem herrschaftlichen Kammer diener nur möglich war und läutete die Dame keck und unverfroren an. Er meldete sich als Mister Locker-Hampson, in genau Lem gleichen Tonfalle, wie er es zu dutzenden von Malen bei seinem Herrn gehört hatte, und fragte, ob er der Dame seine Aufwartung machen dürfe. Dies wurde freudig bejaht. Hierauf erwähnte er so nebenbei, daß sein eigener Kraftwagen gerade gsbrauchsunfähig sei, und bat, mit dem Kraftwagen der Dame abgeholt zu werden. Auch dies wurde bereitwillig zugestanden. Er fuhr also zu der Dame und gab mit aller Geschicklichkeit ein Gastspiel als Locker-Hamp son. Die Sache glückte um so besser, als die Dame, wie er wähnt, den Abgeordneten noch niemals persönlich gesehen hatte. Er erzählte allerhand Scherze, wußte auch mit Ge schick angebliche Erlebnisse in Rußland einzuflechten. EL