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Sie versuchte sich aufzurichten, aber sie fiel kraftlos zu rück. Da trat der Alte an ihr Bett und stützte sie mit leinen Armen, so daß sie halb aufrecht im Bette saß. Nun streckte sie ihre knöcherne Hand aus, die Ilse ohne Furcht erfaßte und zog sie näher zu sich: „Zch wußte ja, daß du wiederkommen würdest — zu deiner alten Marianka — ich hab ja gewartet auf dich — all die Zahre. — O mein Gott — nun kann ich ruhig sterben — nun ich dich gesehen habe — aber," ein ängstlicher flehender Blick trat in ihre glanzlosen, irren Augen — „wirst du jetzt hier bleiben — für immer —wirft du nicht mehr sortgehen, zu dem — dem — wirst du bei der alten Marianka bleiben, bis sie stirbt? — Sage es — sage es, Eisela, geliebtes, süßes Herzei." Erschüttert streichelte Ilse die runzelige Hand der Alten. „Ich bleibe," beruhigte sie. Sie vermochte es nicht, ihr den Irrtum über ihre Person aufzuklären; es hätte vielleicht auch nichts genützt. Der Schäfer ließ seine Frau in die Kiffen zurückgleiten, um einen Stuhl für Ilse zu holen, den er ganz nahe an das Bett schob. Ilse setzte sich und wieder griff die Hand Mariankas nach der ihren und ehe es sich Ilse versah, hatte sie sie an ihre welken Lippen gedrückt. In ihren Augen, die sie keinen Augenblick von ihr wandte, lag ein seliges Lächeln. „Wie jung und schön du bist, aber so viel stärker und kräftiger geworden! Weißt du noch, wie blaß du warst, als du den Abend vor deiner Flucht zu mir kamst und in meinem Schoß weintest? — Weißt du noch, wie du dann ruhig wurdest und mich liebkosend streichelst mit deinen zarten, weißen Händchen? — Und am nächsten Morgen warst du verschwunden und wir sahen dich nicht wieder — bis heute. — Was hast du gelitten, armes Kindel? — Das war der Fluch — der Fluch von Tworrau." Die Alte hielt erschöpft inne und schloß wie schaudernd die Augen. ! „Meine Alt« schwatzt Ihnen törichtes Zeug vor," sagte jetzt der Schäfer. „Kommen Sie nur wieder hinaus; der Zweck ist ja auch erfüllt." „Nem, lassen Sie nur, Josef," erwiderte Ilse. Dann beugte sie sich wieder zu der Kranken hin. „Was ist das für ein Fluch, Marianka?" Verständnislos fragend blickten die alten Augen zu ihr hin, dann zuckte es unruhig in ihrem Gesicht. „Gisela, Gisela, kennst Du den Fluch von Tworrau nicht mehr? Du hast doch das Bild in jener Nacht geschaut und der — Fluch hat sich doch an dir erfüllt." „Was bedeutet das?" wandte Ilse sich jetzt an den Schäfer, als di« Kranke die Augen wieder geschloffen hatte und nur undeutliche Worte vor sich hin murmelte. „Eine alte Sage ist es," antwortete Josef. „Kennen Sie das große Ahnenbild, das an der dunkelsten Wand des Ahnensaales im Schlöffe hängt?" „Nein, ich war bisher noch nicht im Ahnensaale." „Das ist auch gut so. Freilich, Sie können es ruhig ansehen. Nur für einen aus dem Geschlecht der Limaer bringt es Gefahr und Unglück." „Warum Unglück?" fragte Ilse. „Die Sache hängt so zusammen: Graf Archibald von Limar, den das Bild darstellt und der vor etwa dreihun dert Jahren gelebt hat, soll viele Frauen geliebt und un glücklich gemacht haben. Nun erzählt man sich, daß er zur Strafe allnächtlich umgehe, und wem er erscheine, Legen Herz erglühe in heißer Liebe für denjenigen, der gerade seine Gedanken beschäftigt, und keine Macht des Himmels und der Erde vermag diese Liebe zu ertöten. — Co kam denn auch unsere kleine Komtesse Gisela eines Tages zu meiner Frau gelaufen, kreideweiß im Gesicht und vor Er regung zitternd. Der Geist von Tworrau, Graf Archibald wäre ihr erschienen, so beichtete sie unter Schluchzen, und sie habe gerade an ihren Lehrer Hollmann gedacht. Und seit diesem Tage nahm das Unglück, das über unsere arme Herrschaft hereinbrach, seinen Anfang. „Der Fluch von Tworrau" nennen es die Leute und er hat sich wieder ein mal erfüllt. In jeder Generation einmal, sagt man, und in dieser ist er bis jetzt ausgeblieben. Gott verhüte ein neues Unglück oder er breche den Zauber, indem er zwei Menschen zum Glück führt." Der Schäfer machte das Zeichen des Kreuzes, wie zur Beschwörung des Zaubers. In jedem anderen Falle hätte Ilse über solchen Aber- glEen lachen muffen. Heut kam ihr nicht einmal der Gedanke daran. Sie warf einen schnellen Blick auf die alte Marianka, die mit offenen Augen in ihren Kissen lag und scheinbar nicht auf das Gespräch geachtet hatte. Jetzt reichte sie ihr zum Abschied Lie Hand. „Adieu, Marianka." „Willst du schon fort?" „Ja, es ist Zeit!" Da umschlossen die alten Hände die feinen, zarten dc^ jungen Mädchens mit merkwürdiger Kraft. Der Atcn. der Kranken ging stoßweise, ihr bleiches Gesicht rötete sich. „Geh nicht an das Ahnenbild, Gisela — Graf Archibald hat so brennende Augen — er verbrennt dir dein Herz und deine Sinne — geh nicht — geh nicht!" Ilse erschauerte leicht, während sie sich aus Mariankas Hände befreite. Der Schäfer sah es. „Fürchten Sie sich nicht, Fräulein Römer, die Marianka weiß nicht, was sie spricht. Heute hat sie einen schlimmen Tag, vielleicht daß ihre Erinnerungen durch Sie allzu wach geworden sind. Manchmal ist sie ganz vernünftig, und wenn unser gnädiger Herr sie besucht, erkennt sie ihn stets, wenn sie auch oft zu ihm spricht, als wenn er noch ein kleines Bübel wäre, das sie auf dem Arme trägt." Ilse richtete sich stolz auf. „Nein, Josef, ich fürchte mich nicht — ich werde mir auch das Ahnenbild ansehen, es inter essiert mich," sagte sie leise, damit die Kranke es nicht hören sollte. „Gibt es auch ein Bild der Gräfin Gisela?" „Ja, es gibt eins. In einer Ecke im Ahnensaal steht es, verkehrt an die Wand gelehnt, wie mir der Wilhelm er zählte. Die jetzige Gräfin hatte das kurz nach ihrer Ver heiratung so angeordnet, nachdem sie ihren Gatten einmal angetroffen, wie er sich vor diesem Bilde in Verzweiflung gewunden hatte." Der Schäfer begleitete sie bis vor die Tür in das Gärtchen, dann reichte er ihr die Hand. „Vielen Dank für Ihren Besuch und beehren Sie uns bald wieder." „Ja, gern!" rief sie schon außerhalb des Gartens. Daraus eilte sie mit schnellen Schritten den Weg entlang, ohne sich noch einmal umzusehen. 8. Kapitel. Es war ein sonniger Juninachmittag. Die Gräfin war mit ihren Kindern zu einer befreundeten Grafcnfamilie der Nachbarschaft gefahren. Ilse freute sich, daß sie den Nachmittag für sich hatte, und sie beschloß, ihn dazu zu be nutzen, endlich den Ahnensaal aufzusuchen und sich die in teressanten Bilder anzusehen. Sie stieg die Treppe hinab in den ersten Stock, wo der Ahnensaal liegen sollte. Sie hatte sich die Lage von Lotti genau beschreiben lassen, und ging nun langsam den halb dunklen, einsamen Gang hinunter bis an das äußerste Ende desselben. Vor der bezeichneten Tür machte sie Halt, und eine unerklärliche Bangigkeit befiel sie plötzlich. Es war ihr, als wenn jemand sie am Arme faßte, um sie zurückzuhallen, und als ob ihr eine Stimme ins Ohr riefe: „Kehre um — betritt den Saal nicht — er bringt dir Unheil!" Unmutig schüttelte sie das törichte Gefühl ab. War sie denn mit einem Male ein zimperliches, furchtsames Frauenzimmer geworden, das sie sich von dem Geschwätz einer alten, geistesschwachen Frau, von einem Ammen märchen beeinflussen ließ? — Beherzt drückte sie auf den großen, messingnen Drücker; er gab nach — die Tür drehte sich in ihren Angeln, und sie trat über die Schwelle. Eine Sekunde zögerte sie und sah sich um. An den braun getäfelten Wänden hingen die Ahnen der Limars in Lebens größe gemalt, alles kräftige, kriegerische Gestalten und da zwischen liebliche Frauenbilder mit sanftem Gesichtsaus druck oder auch hochmütig herrschsüchtigen Zügen. Nun, nachdem sie etwas vertrauter geworden war, trat sie furchtlos näher, ging von einem Bild zum andern, musterte jedes mit Aufmerksamkeit und studierte förmlich Züge und Charakter. So vertieft war sie in dieses Studium, daß sie bei einem knarrenden Geräusch erschrocken zusammenfuhr und im ersten Augenblick unwillkürlich an den Geist von Tworrau denken mußte. Mit vor Schreck erstarrten Zügen sah sie, wie die schwere Eichentür, die sie doch hinter sich geschloffen hatte, sich bewegte, und wie jemand über die Schwelle Irak Im nächsten Augenblick lachte sie jedoch freudig überrascht auf. Graf Konrad war eingetreten und hatte sie sogleich bemerkt, ' ' (Krrtsetzuug folgte