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MM M j Änisrhaliungsbeilage rum Z Hshenstein-Emstthaler Tageblatt und Anzeiger 8 Wolken und Sonnenschein Noma« do« Emilie Sich«. (Nachdruck verboten.) noch sehr empfindlich waren. Vor der Klinik wartete sein Chauffeur, den Dr. Blau herbeordert hatte. Es war das erstemal seit dem Unglücksfall, daß Gerhard eine Spazier fahrt machte, und er gab dem Chauffeur an, ihn um die ganze Stadt herumzufahren, denn er hatte kein Verlangen, so schnell nach Hause zu kommen. Während er sich in die weichen Polster des Autos zurücklehnte, dachte er an die letzten sechs Wochen. Sie waren schrecklich gewesen! Volle vier Wochen hatte er ständig im Bett bleiben müssen, immer die häßliche Binde vor den Augen, und wenn er sich empört und gescholten hatte, mußte er immer die gleichen Worte des Arztes hören: daß die Nerven beider Augen Zusammenhängen, daß er sich sehr halten muß, um nicht vollständig blind zu werden. Vielleicht war es nur eine Einschüchterung, aber sie hatte geholfen. Er fügte sich den strengen Vorschriften des Arztes, der keinen Besuch länger als eine halbe Stunde bei ihm ließ und ihm jedesmal ankündigte, ja nicht zu lachen. Die Eltern und Nora waren nur in der ersten Woche gekommen, dann gingen sie nach Schliersee. Sie zürnten sehr mit ihm. Die Mutter hatte ihm trotz seiner Krank heit Vorwürfe gemacht. Er hatte ein paarmal die Händ chen seiner kleinen Anita gehalten, ohne sie zu sehen; sie hatte geplappert und er hatte zum erstenmal, seitdem sie da war, das Verlangen gehabt, sie in den Armen zu halten und mit ihr zu tanzen, sich an ihrem Besitz zu freuen; aber nun konnte er es nicht. Er hatte so schreckliche Tage und Nächte durchgemacht, war sich manchmal ganz elend und verlassen vorgekommen. Wohl besuchten ihn die Freunde, Binder, Madame Rogers, die Schauspielerinnen Stella und Margot, und in der ersten Zeit auch Mitglieder der Gesellschaft, solange sie nicht in die Sommerfrische gegangen waren, und sein Zimmer war immer mit Blumen gefüllt; aber er mußtb so viele bedauernde, mitfühlende Worte hören, daß er am liebsten niemanden mehr gesehen hätte. Aber endlich war doch der Tag gekommen, wo ihm der Arzt wenigstens das unverletzte Auge frei ließ, wo er zum erstenmal seit einer ihm als Ewigkeit erscheinenden Zeit seine Umgebung länger wie einen Augenblick betrachten i konnte. An diesem Tage hatte er einen Teil der für ihn ! angekommenen Briefe gelesen. Aber wie viele waren noch I ungeöffnet! Sie befanden sich in der kleinen Mappe neben I ihm, die die Pflegerin so sorgfältig für ihn gepackt hatte. ; Gerhard Ellinger reckte sich, daß er mit beiden Händen - an die Fenster des Autos schlug. Dann schaute er auf die I Straße hinaus. Es waren nicht viele Leute zu sehen, I denn es regnete heftig. Auch die Automobile waren des ; schlechten Wetters wegen nicht sehr zahlreich. Aber Ger- - hard Ellinger gab seinem Chauffeur noch immer nicht den I Auftrag, heimzufahren. Es war ihm anscheinend ein > Vergnügen, durch die Straßen am Ende der Stadt zu fahren, die zum großen Teil nicht besonders gut waren, so daß das Auto manchmal durch tiefe Pfützen fahren (17. sMi'etzuns.) Tie anderen standen noch immer ratlos und erschrocken ' um Gerhard herum, der die Hände nicht vom Gesicht ; nahni und ab und zu dumpf stöhnte. Von den Damen i lachte keine mehr; sie waren bleich, blickten schaudernd auf das Blut, das Gerhard durch die Finger tropfte und ! sich in häßlichen Flecken auf seinem weißen Oberhemd ! zeigte. Die Minuten schlichen so langsam, aber endlich brachte , Binder einen Arzt. Er untersuchte nur flüchtig das ver- - letzte Auge, das bereits dick geschwollen war. Das Bluten ! hatte aufgehört, aber doch hatte Gerhard, nach seinem I Stöhnen zu schließen, noch schreckliche Schmerzen. Der Arzt verband das Auge, dann sagte er kurz: „Sie ; müssen sofort mit in meine Klinik kommen." Gerhard gab keine Antwort. Er ließ sich von dem I Arzt und Binder zu dem wartenden Auto hinausbegleiten I und beim Einsteigen von den Herren unterstützen. Er ; fühlte, wie Binder neben ihm Platz nahm, dann ging es ' langsam und vorsichtig weiter. Wenige Stunden später, gleich bet Tagesanbruch, I wurde Gerhard Ellinger operiert. Binder wartete, schlaf- ! los und nervös, bis alles vorbei war, dann hatte er eine ! kurze Unterredung mit dem Arzt. Dieser sagte, daß er I hoffe, das Auge retten zu können, wenn die Heilung I normal verlaufe und keine Entzündung sich einstelle, die » auch für das gesunde Auge gefährlich sei; allerdings, das , betonte der Arzt, wird Gerhard in dem verletzten Auge I die Sehkraft ganz oder zum größten Teil verlieren. Nachdem Binder diesen Bescheid hatte, verließ er die i Klinik. Es war sehr früh und die Stadt war noch ziemlich i ruhig. Er schlenderte langsam eine Weile dahin, sein , Kopf war schwer und übernächtig. An der nächsten - Straßenecke telephonierte er einem Lohnautomobil. Gegen- ! über wurde eben ein Restaurant geöffnet. Er trat ein I und trank ein Glas Rum. Unterdessen kam das Auto, f Er gab dem noch halb schläfrigen Chauffeur die Adresse > von Villa Julie an, dann lehnte er sich in die Kissen zurück, ! überlegte mit halb geschlossenen Augen, was er den noch l ahnungslosen Eltern Gerhards sagen wollte. Gerhard lag unterdessen ganz still in seinem Bett in ; der Augenklinik von Dr. Blau. Auch er hatte noch nicht » geschlafen. Die Schmerzen waren geringer geworden, aber I er konnte nichts sehen, da beide Augen verbunden waren. I So ruhig war es um ihn her; nicht das leiseste Geräusch ! war zu hören. Er wollte über die Ereignisse der letzten ' Stunden nachdenken, aber er gab es bald wieder auf, denn ! sein Kopf schmerzte uno vrannte in heftigem Fieber. Einundzwanzig st es Kapitel. Es dauerte sechs Wochen, bis Gerhard die Klinik ver- i lasten durfte. Die Heilung des schwerverletzten Auges ! hatte sich normal vollzogen, allerdings konnte er mit diesem nicht mehr sehen. An einem regnerischen Tage Ende Juli verließ er die ik. Er trug eine dunkle Schutzbrille, da seine Augen Traum.