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Hohenstein CmMaler Tageblatt und Änreiger Komori von Llsbstk öSocksi-b ^e^Mawr Le/^ev, 59ZS 8. Fortsetzung. Lie war schon eine gute Strecke gegangen, als es hell hinter den Bäumen hervorschimmerte. Befreit atmete sie auf. Das Waldesdunkcl hatte doch, trotz ihrer Furchtlosig keit, auf ihr gelastet. Nur wenige Schritte noch und die Lichtung war erreicht. Kaum war sie jedoch aus dem Walde herausgetreten, als sich ihr ein Hindernis entgegenstellte, an welches sie wohl am wenigsten gedacht hätte. Der Weg teilte sich hier; der eine führte nach rechts, der andere nach links. Wie Herkules am Scheidewege stand sie nun ratlos, welchen Weg sie einschlagen sollte. Welcher führte nach Tworrau, und welcher brachte sie ab vom Ziel? Suchend blickte sie sich um. Kein Mensch war zu sehen, den sie hätte fragen können. Nur das Rauschen des Waldes und das Mürmeln eines Baches drang an ihr Ohr, sonst Stille ringsumher. Ilse war bisher nicht furchtsam gewesen; kühn und mutig hatte sie ihren Weg verfolgt. Jetzt lief ihr ein leich ter Schauer durch den Körper. Sollte sie im Walde über nachten? Schlechte, rohe Menschen gab es überall. Daß der Stationsvorsteher sie auch auf dieses Hindernis nicht aufmerksam gemacht hatte! Sie wiederholte sich seine Beschreibung des Weges, die sie so heiter gestimmt hatte: „Erst geradeaus, dann rechts, dann links, dann wieder geradeaus." Trotz allen Nachdenkens konnte sie auch jetzt nicht klug daraus werden. Sie seufzte schwer auf und erkannte zum ersten Male, das; ihre Kraft und ihr Vertrauen auf sich selbst, worauf sie bisher so stolz gewesen war, in diesem Falle nichts nützten. Sie fühlte, daß sie eines anderen Menschen Hilfe und Nat bedurfte. Doch horch! Klangen nicht Schritte, wie von eines Menschen Fuß an ihr Ohr? Sollte ihr so unverhofft Hilfe werden, oder nahte sich ihr eine neue Gefahr? Schnell sprang sie in das Dickicht am Wege und verbarg sich da hinter. Kaum zu atmen wagte sie. Und die Schritte kamen näher und näher, und jetzt trat ein Mann aus dem Dunkel des Waldes hervor. Er war wie die Bauern der Gegend gekleidet: kurze Kniehosen, derbe Schaftstiefel, kurze, rauhe Joppe und einen zerdrückten Filzhut nur dem Kopse. Er war groß und schlank, ging aber gebückt, mit tief herabgcbeugtem Kopf, wie ein Mensch, der wichtigen, un löslichen Problemen nachsinnt. Seine ganze Ha !ung hatte etwas Lässiges, aber der Gang war viel zu elastisch und federnd für einen Bauern, von dem man unwillkürlich e.. en derben Schritt verlangt. Jetzt kam er dicht an Ilses Versteck vorüber. Sie ver suchte, etwas von seinem Gesicht zu erspähen, aber einmal war die Dämmerung schon zu weit vorgeschritten und zweitens saß der Hut so tief im Gesicht und der Kopf war L Nachdruck verboten, so tief zur Erde geneigt, daß sie nur einen dunkelblonden Bart sehen konnte. Die Hände hatte er auf dem Rücken zusammengelegt. Ilse überlegte sekundenlang, ob sie diesen Mann nach dem Wege fragen sollte, oder ob sie bester täte, im Walde zu übernachten oder auf gut Glück einen der Wege zu wählen. Sie ließ ihn vorüber gehen und sah, wie er den rechten Weg einschlug. Da sprang sie, von plötzlichem Entschluß getrieben, aus dem Versteck hervor und eilte ihm die weni gen Schritte nach. „Verzeiben Sie welches ist der Weg nach Schloß Tworrau?^ Der Mann wandte sich mit jähem Ruck, fast erschrocken um und starrte die fremde junge Dame verständnislos an. Augenscheinlich hatte er nur den Schall ihrer Worte, aber nicht deren Sinn vernommen. Es wurde Ilse seltsam beklommen unter diesem Blick, obgleich sie ihn der Dämmerung wegen mehr fühlte als sah. Sie wiederholte ihre Frage noch einmal, und da schien der Mann endlich zu erwachen. „Nach dem Schloß? Der Weg, den ich hier gehe, führt dahin", antwortete er mit weicher, angenehmer Stimme. „Ich danke Ihnen", sagte sie und trat einige Schritt« zurück, in der Annahme, daß der Mann weitergehen würde. Sie wollte ihm dann nach einiger Zeit Nachfolgen. Der Mann aber rührte sich nicht und sein Blick haftete immer noch auf ihr. „Was wollen Sie auf Tworrau zu so später Stunde?" fragte er endlich. Diese Frage mußte sie sonderbar berühren, denn war ging es ihn an, was sie in Tworrau wollte? Ein Etwas in dem Ton seiner Stimme zwang sie jedoch, ihm Rede und Antwort zu stehen. „Ich bin die neue Eouvernannte." „Ah!" machte er überrascht und lüftete ein wenig seinen Hut. Man hat Ihnen keinen Wagen geschickt? Natürlich, was frage ich noch! Das ist nicht Sitte auf Tworrau. Doch — warum wählten sie nicht lieber einen früheren Zug?" „Das ging nicht an, denn ich habe eine weite Reise hinter mir, ich komme von Berlin." „Von Berlin! Und nach dieser langen Reise, die Sie abgespannt und ermüdet haben muß, wollen Sie noch allein in wildfremder Gegend Ihrem Ziel« zuwandern?" „Was blieb mir anderes übrig? Ich fürchte mich auch nicht, ich stehe überall unter Gottes Schutz. — Freilich — hier, am Scheidewege verließ mich mein Mut einen Augen, blick — aber der Himmel sandte mir Hilfe in Ihnen." „Und nun wollen Sie allein weiter gehen, ohne Schutz, ohne —"