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wog ihr heißes Deriangen nach einer Aussprache jegliche Bedenken. Um nicht wankend zu werden, machte sie sich schnell auf den Weg. Trotzdem es Nachmittag war, traf sie den Professor nicht zu Hause. Er war mit seiner Kleinen in den Tier garten gegangen. Frau Reinhardt, empfing sie, sichtlich sehr erfreut über ihren Besuch, der ihr über ihre Lange weile hinweghelfen sollte. Hilde fühlte sich enttäuscht, um so mehr, als Frau Reinhardt keinerlei Notiz von ihrem Kummer nahm, ihn wohl auch nicht verstand und mit wenigen Worten darüber hinweg zu ihrem Lieblings thema überging. Nicht lange vermochte Hilde es zu ertragen. Sie empfahl sich bald. Daheim wurde es ihr noch einsamer und weher, als zuvor. Da griff sie kurz entschlossen zu ihrer Arbeit, und hier fand sie allmählich, was sie wo anders vergeblich gesucht hatte. Zu derselben Zeit saß auch Wolf Reinhardt in seinem Studierzimmer und versuchte seine Gedanken zu sammeln und zu arbeiten. Es wollte ihm nicht glücken, trotz aller Anstrengungen. Seine Gedanken schweiften ab, blieben immer bei dem einen stehen und kamen nicht los davon. Seine Frau hatte ihm bei seiner Rückkehr vom Spazier gange von Hildes Besuch erzählt, und er bedauerte nun, sie nicht gesprochen zu haben. Er glaubte wohl zu wissen, was sie zu ihm getrieben hatte, und er hätte ihr so gern etwas Gutes Tröstendes sagen mögen. Nun kam sie gewiß so bald nicht wieder; ihre Besuche waren, nachdem seine Frau wieder gesund war, sehr selten und kurz gewesen und hatten lediglich den Zweck, sich nach deren Befinden zu er kundigen. gehabt. Zu einem Gedankenaustausch, ja auch nur zu einem eingehenderen Gespräch, war es zwischen ihnen nie mehr gekommen. Auch hatte sie ihm nie wieder eine Arbeit von sich vorgelegt. Hatte sie das Vertrauen zu ihm verloren — verlangte sie nach dem Austausch nicht mehr, oder was hielt sie sonst fern? Er quälte sich mit diesen Gedanken, erwog alle Möglichkeiten und wollte an den einst von ihm anerkannten Grund ihres Fernbleibens nicht mehr glauben. Seiner Frau Krankheit und Sinnes änderung hatte das doch aus der Welt geschafft. Oder kam sie nicht los davon, ließ sie sich dadurch noch immer beengen? Sie dachte sonst in allem so groß -r- warum nicht hierin? Vor ihm auf dem Schreibtisch lag das Manuskript, das er, von küHner Idee getragen und begeistert, ange fangen hatte. Seit Hilde sich fern hielt, hatte es nur ge ring« Fortschritte gemacht. Die vorwärtsdrängende Kraft, die begeisternde Muse fehlte ihm. In Gedanken war sie zwar stets an seiner Seite, aber es war anders, als wie er sie noch leibhaftig vor sich gehabt hatte. Ihre Persönlichkeit, ihr Geist mußte wieder auf ihn wirken, er mußte ihre Nähe fühlen, um wieder die alte Schaffenslust zu be kommen. Sie mußte wieder kommen wie einst, sein Haus als das ihre betrachten, bei ihm Ersatz für den Bruder suchen. Er war es Hans Werner schuldig, sie darum zu bitten. Und während er sich in Gedanken die Worte zurechtlegte, mit denen er auch seine Frau von dieser Notwendigkeit überzeugen wollte, glaubte er schließlich selbst, nur eine Pflicht damit zu erfüllen. Je fester der Entschluß in rhm reifte, desto ruhiger wurde er. Zuletzt lächelte er sogar. Sein Vorhaben kam ihm natürlich und selbstverständlich vor, und doch hatte er Stunden gebraucht, um es vor sich selbst zu rechtfertigen. * Hilde saß bei ihrem Morgenkaffee. Da brachte ihr das Dienstmädchen einen Brief. Nur einen flüchtigen Blick warf sie darauf, und ihre Hand preßte sich auf das hoch schlagende Herz. Was Vieser Brief enthielt, entschied nicht nur über ihr ferneres Bleiben in Berlin, sondern über ihr Leben, ihrs Ziele. Minutenlang zögerte sie. ihn zu öffnen. Endlich machte sie dem Schwanken ein Ende: sie wollte nicht feige die Entscheidung hinausschieben. Mit zittern den Händen schnitt sie den Umschlag auf und entfaltete das Blatt. Vor ihren Augen flimmerte es — sie las und konnte den Sinn zuerst nicht fasten, griff nur einzelne Worte heraus, starrte darauf nieder wie gebannt und be griff endlich. Da s'rie sie leise auf. Tränen traten in ihre Augen. Sie verdunkelten ihr den Blick, aber trotzdem las sie wieder und wieder: „Sehr geehrtes, gnädiges Fräulein.! Es freut uns. Ihnen mitteilen zu können, daß wir gern bereit sind, Ihre tief durchdachte Novelle „Wolken" zum Abdruck für unsere Zeitschrift zu erwerben und fragen hiermit ergebenst an, ob Sie uns dieselbe zu einem Hono rar von 50ü Mark überlassen wollen. Ihrer geschätzten Antwort entgegensetzend, zeichnet mit vorzüglicher Hochachtung Verlag der I-Zeitung." Jetzt lachte und weinte sie abwechselnd. Wie sie jedes Leid tiefer empfand, so auch die Freude, die ihr die Brust zu sprengen drohte. Fünfhundert Mark für die kleine Arbeit! Das war über Erwarten viel. Davon konnte sie ja drei Monate leben. Sie brauchte ihres Varers Opfer nicht länger anzunehmen, nicht auf halbem Wege umzukehren — sie hatte etwas erreicht, etwas Köstliches: einen Lebens zweck. Die Empfindungen überfluteten sie, sie wußte nicht, welche die stärkste war. Nur ein heißer Wunsch beseelte sie zunächst: Mit irgend einem Menschen sprechen, sich ihm mitteilen zu dürfen. Sie hatte zwar längst dis Erfahrung gemacht, daß es viele Menschen gibt, die imstande sind, mitzuleiden, aber daß dazu, sich über das Glück anderer zu- freuen, nur wenige fähig sind, und dennoch wußte sie. daß hier treue Herzen für sie schlugen. Eva Schenk gehörte wohl zu jenen Ausnahmenaturcn, aber die wohnte zu weit, war auch am Vormittag auf der Universität und kehrte erst abends wieder heim. So lange hielt sie es nicht aus Hans Werner schaukelte auf dem Meere dem fernen Lande zu. Es blieb ihr wieder nur einer unter allen übrig: Wolf Reinhardt Zu ihm denn — ihm die Freude ihres Herzens Mitteilen! Er hatte das erste Anrecht dar auf. denn ihm hatte sie diesen Erfolg am meisten zu danken. Sie dachte nicht daran, ihn möglicherweise wieder nicht zu Hause zu treffen, und auch nicht, wie Frau Reinhardt ihr schnelles Wiederkommen auffassen könnte. Eie war nur beseelt von dem Verlangen, ihn zu sprechen. Von heißer Freude geschwellt, kleidete sie sich zum Ausgetzen an und war gerade im Begriff, den Hut aufzujetzcn. als es an die Tür pochte und das Mädchen abermals eiiitrat. „Es ist jemand draußen, der Sie sprechen möchte — ein feiner Herr," sagte sie leise und gab ihr eine Visiten karte. Hilde warf einen Blick darauf, und ein Ueberraschungs- laut entfloh ihren Lippen, während ihr das Blut vor Freude ins Gesicht stieg. „O, ich lasse bitten — ich lasse bitten!" sagte sie und blieb mitten im Zimmer stehen, die Augen auf die Tür geheftet. Als die Tür geöffnet wurde, ging sie dem An kömmling mit ausgestreckten Händen entgegen: „Herr Professor Reinhardt! Soeben wollte ich mich zu Ihnen auf den Weg machen." „Zu mir?" Ein freudiges Aufleuchten ging über «ein« Züge, und er drückte ihre Hand, „das war recht, daß Sie Ihren Besuch wiederholen wollten. Ich habe bedauert. Sie gestern nicht getroffen zu haben, und weiß wohl, was Sie zu mir trieb. Ich trage dasselbe Verlangen — deshalb suchte ich Sie auf Hans Werner —" »Ja, Herr Professor, gestern trieb mich der Abschieds- schmerz zu Ihnen — heute aber ist es eine Freude — doch bitte, setzen Sie sich zu mir. Mein Zimmerchen ist zwar nur schlicht und einfach, aber ich fühle mich wohl darin, zumal heute —" „Was haben Sie? Was ist Ihnen widerfahren? Sie sehen so strahlend aus!" sagte er und nahm ihr gegenüber am Sofatisch Platz. „Eine große Freude," antwortete sie, „und Sie sollten der Erste sein der es erfährt, weil Sie gewissermaßen einen Teil daran haben. Ich — ich habe nämlich soeben die Nachrich' erhalten, daß der L-Verlag meine Novelle die ich ihm zur Prüfung einschickte, erwerben will, und zwar zu einem bedeutenden Honorar." „Hilde!" entfuhr es ihm in der Ueberraschung fast un bewußt. So nannte er sie in seinen Gedanken, in seinem Herzen. „Ich habe wohl gewußt, daß es einmal dahrn kommen wurde - aber nun so bald schon! Herzlich beglück- wünsche ich Sie dazu " Er streckte ihr Uber den Tisch weg die Hand hin, und sie erwiderte den kräftigen Druck. (Fortsetzung folgt.)