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Beilage;um Hohenstein Emstthaler Tageblatt und Anzeiger 16. Fortsetzung. Aber Hans Werner spähte vergebens nach Edith. Der Garten war leer, der Wald wie ausgestorben. Nachdem er noch eine Weile darin umhergesucht hatte, entschloß er sich endlich zur Rückkehr nach Berlin. Morgen wollte er noch einmal herauskommen. Vielleicht war ihm das Glück dann günstiger, und er traf sie wieder, wie heute, allein im Walde. Trotz aller Niedergeschlagenheit über Spangenheims für ihn ganz überraschend gekommene Ablehnung, beseelte ihn Loch wieder die Hoffnung. Seine Gedanken beschäftigten sich unablässig mit Grübeln, Zweifeln und Erwägungen, so daß er nichts anderes zu denken imstande war. — Hans Werner hatte eine schlaflose Nacht hinter sich. Als er sich am anderen Morgen in die Fabrik begeben wollte, wurde er vom Briefträger, der ihm einen Brief einhän digte, aufgehalten. Er warf einen Blick auf die Adresse, und es gab seinem Herzen einen jähen Ruck. Mit zittern den Fingern öffnete er den Umschlag, entfaltete den Bogen und las. Seine Augen öffneten sich weit, und sein Gesicht bekam eine immer fahlere Farbe. Zuletzt starrte er auf die Unterschrift, als könne er die Buchstaben nicht entzif fern, und verharrte so eine Weile regungslos, die Züge wie aus Stein gemeißelt. Plötzlich fiel der Brief zu Boden, und Hans Werner sank aufstöhnend in den Stuhl und vergrub das Gesicht in beide Hände. Nach einer Weile hob er den Brief vom Boden auf und las ihn noch einmal. Er war von Ediths flüchtiger Kinderhand geschrieben. Sie bat ihn darin, er möge ihr verzeihen, sie habe unbedacht gehandelt und sich vom Augenblick fortreißen lasten. Sie könne seine Gefühle nicht erwidern und bedauere das Mißverständnis. Er möge ihrer ohne Zorn und Verachtung gedenken. Sie würde ihn vorerst nicht Wiedersehen, denn sie reise mit ihrer Mut ter schon heute für längere Zeit nach dem Süden. Mit einem zornigen Auflachen schleuderte Hans Werner den Brief von neuem von sich, und seine Hände ballten sich zu Fäusten. Die bitterste Enttäuschung seines Lebens wollte burch- aerungen sein, und er kostete alle Stadien bis zur Neige aus. Von wilden Anklagen, bitterharten Ausdrücken und strenger Verurteilung bis zur Beschönigung. Entschuldi gung und liebevollem Verzeihen, und dann wieder das verzweifelnde Aufbegehren, das Trotzen gegen das Schicksal. XIII. Ueberraschend und überstürzend war es über Hilde gekommen io daß sie es noch kaum fasten konnte: Hans Werner wollte sie verlasten und nach Amerika gehen, io weit, weit fort von ihr. — Spangenheim hätte ihn zum Direktor seiner Fabrik in Neuyork ernannt, was eine hohe Auszeichnung und das unbegrenzte Vertrauen, das sein (Nachdruck verboten.) Ehef in ihn setzte, bedeute, denn der Posten wäre veram» wortungsvoll, aber zugleich unabhängig, und sicherte ihm ein hohes Gehalt und Muße genug, um an seiner Erfin dung zu arbeiten und sie in die Praxis umzusetzen. So hatte der Bruder ihr erzählt, aber Hilde fühlte mit dem feinen Instinkt der Frau und liebenden Schwester heraus, daß dieses alles nicht bei seiner Entscheidung, den Posten anzunehmen, maßgebend gewesen war. Vielmehr schien ihn einzig und allein der Wunsch zu beseelen: Fort von hier, so schnell wie möglich! Sie suchte die Ursache an der richtigen Stelle: Edith Spangenheim. Was zwischen diesen beiden, deren zarte Liebesgeschichte sie fast miterlebt hatte, vorgefallen war, konnte sie nicht ergründen. Nur daß Edith plötzlich abgereist war, wre Hans Werner ihr flüchtig mitteilte, befremdete sie, «enko seine Hast und Unruhe, fortzukommen. Welches Hindernis konnte man ihm, ihrem schönen, liebenswürdigen Bruder, dem Freiherrn von Schönau, bereitet haben? Sie stand vor einem Rätsel. Hans Werner litt das sah sie, und sie litt mit ihm, ohne zu fragen. Dergleichen muß ein Mann mit sich selbst ausmachen, dabei kann ihm auch die treueste Schwesterliebe nichts helfen. So schwieg sie, tief bekümmert und von Abschiedsschmerz erfüllt. Hans Werner lachte sie aus, als sie von der weiten Entfernung sprach. Er fahre ja nur über den großen Teich, und in längstens zwei Jahren würde er zurückkom men, und wenn sich seine Hoffnungen bis dahin erfüllten, wenn seine Idee, in die Wirklichkeit umgesetzt. sich als das erwies, was er sich darunter vorstellte, dann wollte e r in seinem Vaterlande den ersten kühnen Flug in die Lüste unternehmen. Es war das erste Mal seit jenem Tage, als er ihr auf dem Wege zu Reinhardts von seinem Vorhaben gesprochen, daß er besten wieder erwähnte. Dabei erhellten sich seine Züge, und seine Augen bekamen wieder den ungetrübten Glanz begeisterungsfähigen Jugendmutes, wie ehedem. Hilde atmete auf. Welche Enttäuschung er auch durchge- macht haben mochte, in seiner Arbeit, seinem Streben würde er den Trost und die Befriedigung wiederfinden, das wußte sie jetzt. Dieses Bewußtsein und dieser Glaube an des Bruders Kraft und Charakterstärke beruhigte ihr Gemüt, es ließ sie sogar in der Abschiedsstunde standhaft bleiben. Aber als er fort war und sie allein in ihrem Zimmer saß, weinte sie dem geliebten Bruder die bittersten Tränen nach. Eie fühlte sich plötzlich so einsam und ver lasten. . . . Hans Werner hatte ihr allerdings beim Abschied gesagt: „Wende dich in allem an Wolf Reinhardt, der wird dich nicht im Stich losten." Ja. wenn es noch so wäre, wie früher! Aber es stand doch etwas zwischen ihnen, wenn es auch äußerlich ausgeglichen zu sein schien. Endlich üb«-