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Ein viertes Deutel barg in sich ein Schock Funfpfenniger, und im fünften Beutel steckten 10 alte Schafhäujelsechser, 10 Acht groschenstücke, 5 Eulden und 4 blanke Taler. So viel Eeld hatten die armen Leute noch nicht beisammen gesehen, wahr lich, für ihre Armut ein großes Vermögen! Diese fünf Beutel sind ein wertvolles Dokument, wie man damals sparte. Wie lange mögen die armen Leute gedarbt haben, um diese Schätze anzusammeln! Wieviel Arbeit und Entbehrung mag es ge kostet haben, die Beutel zu füllen. Das ererbte Haus hatte allerdings nur drei Fenster Front, war aber dafür drei Stockwerke hoch, und hatte unter dem Dache sogar noch einen Taubenschlag. Im Parterre war neben der Hausflur nur eine Stube. Im Raume hinter derselben stand eine alte Wäscherolle, die für 2 Pfennige pro Stunde an di« Leute vermietet wurde. An glücklichen Sonnabenden bracht« die Rolle 10 bis 14 Pfennige ein. Im Taubenschlage hausten die Ratten und verübten nachts einen solchen Lärm, daß die Kinder, die darunter schliefen, keine Ruhe fanden. Hinter dem Hause lag ein kleiner Garten, in dem sich auch ein Wassertümpel befand, den die Manschen Kinder . Teich" nann ten. Dieser Teicki war die grökte Freude der Kinder. Beber- bergt« er auch keine Fische, io doch ein Dutzend Frösche. Das waren die Lieblinae der Kinder! Da standen sie in ibrer freien Zeit und fütterten die Frösche mit allem mönlichen. Diese ruderten ans Ufer, und einige besonders zutrauliche lie ßen sickk sogar fangen und streicheln. Feder Frosch erhielt von den Kindern einen Namen. Und wie dankbar waren die Frösche! Namentlich am Abend, wenn die Kinder im Bette lagen, brachten sie ihren Dank vereint in einem herrlichen Konzert dar. Ach. wie freuten sich die Kinder, wenn . Arthur" das Konzert eröffnete. „Paul" bald einfiel und ..Fritz" ibm folgte. Da sprangen sie aus den Betten, öffneten die Fenster und ouakten mit, bis die Eltern an die Decke vochten und sie zur Ruhe sagten. Die Herrlichkeit sollte fedoch bald ein Ende haben. Die Nachbarn beschwerten sich, der neue BcUrksarzt kam ins Haus, um eine gesundheitliche Untersuchung des Kau fes vorzunehmen. Beim Anblick des Wasiertümpels im Gar ten schlug er die Hände Lberm Kovf zusammen und erklärte, dasi dieser „Best- und Ebolerapfubl" sofort verschwinden müsse. Und schon am nächsten Tage brachte der Ortspolneier Eberhard einen Zettel vom Herrn Stadtrichter Lanritz mit der Aufforderung, „binnen setzt und drei Tagen den Tümnel aus- Mfüllen und dis Frofchkolonie zu töten bei 15 guter Groschen Strafe". Das schlug wie eine Bombe ein. Die Frösche töten? Nein! Ein Familienrat beschloß, den Tümpel so weit auszu- schövfen, daß man die Frösche fangen konnte. Dies geschah am nächsten Tage. Man haschte die Frösche, steckte sie in einen groben Deckelhandkorb und trug sie hinaus nach dem großen „Zechenteiche", hinter dem alten Schiebhaus. „Dort wurde feuer einzelne herausgenommen, aeliebkost, gestreichelt und ins Waller gelassen. Unter wieviel Seufzern und Tränen dies ge schehen ist. kann ich beute, nach 60 Jobren nicht mehr feststel len", erzählt Karl May als Greis. Wer solche Siebe zu den Tieren hat, der wird auch ferne Mitmenschen lieben. Wenn trotzdem der'Mann Karl May auf so abschüssige Bahn geriet, daß er. wie seine Feinde behauptet haben, zum ..Räutzerbaupt- mann", zum „Marktweiberschreck" wurde, io liegt sicher ein großer Teil der Schuld außerhalb seiner Person bei seinen lieben Mitmenschen. Daß der Besitz von Geld und Gut dem Menschen nicht immer zum Heile gereicht, zeigte sich auch an Vater May. Die reiche Erbschaft erweckte in ibm den Glauben, daß er durch einen Taubenhandel auf leichtere Weile Eeld verdienen könnte, weil er meinte, daß dazu wenig Vorkenntnisse gehör ten. Er batte sich aber bitter getauscht: denn von aewillen- lofen Kändlern war er bald um einen Teil der reichen Erb schaft betrogen worden. Als Mutter Man ihre Erbschaft immer mehr dabinschwinden sah. wandte sie sich rat- und hilfesuchend an den Stadtrichter Layritz. Der riet ihr, mit dem Reste der Erhschaft nach Dresden zu geben und Heb amme zu werden. Zugleich versprach er ihr, falls sie die erste Zensur erhielte, sie in Ernstthal als Hebamme anzustellen. Frau May folgte diesem Rat. Don Dresden mit der ersten Zensur zurückgekehrt, fand sie Anstellung als Hebamme in Ernstthal. Bei ihrem Dresdner Aufenthalt lernte sie auch die Aerzte kennen, die ihrem blinden Knaben Karl das Augen licht Wiedergaben. Der Mutter Aufenthalt in Dresden und die ärztliche Behandlung des kleinen Karl hatten die Finan zen der Familie May derart in Anspruch genommen, daß das Hau» verkauft werden mußte. Die Familie May zog zur Miete in ein Haus am Markte, unweit der Kirche. An der Kirche sammelten sich täglich gegen Abend viele Ernstthalcr Kinder, meist den besseren Kreisen angehürend, um sich Ge schichten und Märchen zu erzählen. Ter kleine 5jährige May, die Augen noch teilweise verbunden, gesellte sich zu ihnen und war bald der Mittelpunkt der Kinderschar, die zumeist aus 12- bis 14jährigen Kindern bestand Wie kam das? Der kleine May wußte wunderbare Geschichten und Märchen aus fremden Ländern zu erzählen, die er von seiner Großmutter gehört hatte. Täglich peinigte er nun die Großmutter, daß sie ihm neue Märchen erzählte. Und sie wurde nicht müde im Erzählen, Karl May aber nicht müde im Zuhören. Der Volksschuler Karl May Mit dem fünften Jahre kam Karl May in die Schule. Das war nur möglich, weil Vater May mit sämtlichen Lehrern, dem Rektor und auch dem Herrn Lokalschulinspektor, dem Pfar rer, gut bekannt, ja befreundet war. Geistig war Karl May allen seinen Mitschülern weit überlegen. Nach kurzer Zeit konnte er lesen und schreiben, da Vater, Großmutter und die Schwestern zu Hause tüchtig nachhalfen. Als er das Ziel sei ner Klaffe erreicht hatte, versetzte ihn der Lehrer in die nächst höhere Klaffe. Kein Lehrer behielt den begabten Knaben ein ganzes Jahr in der Klasse; jeder schob ihn weiter, sobald er das Klassenziel erreicht hatte. So kam es, daß der 8jäh- rige Knabe unter ^en 12jährigen saß. Das war ein großer Fehler von den Lehrern und äußerst nachteilig für den Kna ben selbst. (Von den Lehrern war es eigentlich gut gemeint.) Karl May sagt selbst, daß er dadurch den Boden unter den Füßen vollständig verloren und nie einen wahren Freund als Kind gehabt habe. Seine Altersgenossen wurden ihm fremd, und ältere Kinder wollten ihn als Spielgenoffen nicht haben. Die Zeit des Schulbesuches überschreibt Karl May in seiner Selbstbiographie mit den Worten: „Keine Jugend". Die Schuld daran lag an den ganz falschen Ansichten Les Vaters über Erziehung. Trotz allen Fleißes und ausgezeichneter Be gabung war es dem Vater nicht gelungen, sich emporzu- aubeiten. Er blieb ein armer Weber. Was ihm aber nicht möglich gewesen war, das sollte nun sein Sohn Karl erreichen. Der sollte nicht nur ein reicher, sondern auch ein berühmter Mann, ein großer Gelehrter werden, den alle Welt bewun dern sollte. Sobald der Knabe lesen konnte, schleppte der Vater Bücher herbei, wo und wie er sie fand, ganz gleich, ob sie für den Knaben geeignet waren oder nicht. Diese Bücher mußte der Knabe lesen und abschreiben, weil der Vater meinte, daß er sich dadurch den Inhalt besser merkte. So brachte er einst eine ganz veraltete über 500 Seiten umfassende Geographie von Europa aus dem Jahre 1802 heim, die der arme Karl lesen, abschreiben und lernen mußte, obwohl doch der Vater wissen mußte, daß die Grenzen der einzelnen Länder, die Zahlen über die Größe derselben, die Angaben über die Ein wohnerzahl der Länder und Städte längst nicht mehr stimm ten. Der Vater konnte es nicht ersehen, daß der Knabe auch nur 5 Minuten müßig dasaß. So kam es, daß Karl May bald alle Bücher seiner Lehrer, des Rektors Fickelscherer, der eine ganz bedeutende Sammlung ethnographischer u. d geo graphischer Werke besaß, sowie die Traktätchen des Herrn Pfarrers durchgelesen hatte. Kantor Strauch gab dem auch musikalisch sehr gut befähigten Knaben unentgeltlich Unter richt im Orgel-, Klavier- und Violinspiel, sowie auch in der Harmonielehre. Karl May hatte eine schöne Stimme, sodaß er wiederholt bei der Weihnachtsmette von der Kanzel herab die Weissagung des Jesajas Kap. 9, Vers 2—7 singen durfte. Als sich Gelegenheit zum Erlernen fremder Sprachen bot, mußte Karl nach dem Willen seines Vaters mit drei Sprachen, nämlich Englisch, Französisch und Latein, zugleich beginnen. Nebenbei mußte der Knabe als Kurrendaner (Lhorschüler) jeden Sonntag zweimal, an den Wochentagen nach Bedarf, in der Kirche singen und zu Hause fleißig mit der Großmutter und den Schwestern Handschuhe nähen. Der Vater duldete nicht, daß der Knabe mit anderen Kindern verkehrte, weil er meinte, er könne dadurch sittlich verdorben werden. Er wollte den Knaben stets bei sich haben, und wenn er über Land ging, mußte der Knabe ihn begleiten. Und Vater May hatte oft Veranlassung zu Ausgängen. Da Frau May Hebamme war. so hatte sie auch die Eevatterbriefe den Taufpaten zu über bringen. Ein bestimmter Tarif für diese Botengänge mar nicht festgesetzt, doch gaben die meisten Leute reichlich. Tie Wege auf die Dörfer hinaus besorgte Vater May selbst -nd