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Karl May Ein Gedenkblatt zu seinem 85. Geburtstag am 25. Februar Karl May wurde am 25. Februar 1842 in Ernstthal geboren. Er stammte aus den allerärmsten häus lichen Verhältnissen, so baß er sich wohl mit Recht in seiner Selbstbio graphie ein „Lieblingskind der Not, der Sorge, des Kummers" nennen kann. Sein Vater war ein armer Weber, der mit seinem Verdienste neun Personen zu ernähren hatte. Zur Mayschen Familie gehörten außer den Eltern, vier Töchtern und dem Sohne Karl, auch die bei den Großmütter. Die beiden Groß väter Karl Mays waren in ziemlich jungen Jahren verunglückt. Der Großvater väterlicherseits war am Weihnachtsheiligabend in ein Nach- bardorf gegangen, um Brot zu holen. Auf dem Rückwege über raschte ihn die Nacht, ein furcht bares Schneegestöber setzte ein, er kam vom rechten Wege ab und stürzte in eine steile Schlucht des „Krähenholzes". Dort blieb er lie gen und erfror. Der Schnee ver wehte seine Spuren, und erst nach dem Tauwetter fand man die Leiche. Neben ihr ruhten die Brote, wor auf die Angehörigen zu Hause so sehnsüchtig gewartet hatten. Die Großmutter mütterlicherseits scheuerte für die Leute und spann Watte, womit sie sich täglich 25 Pfennige verdiente. Zuweilen wurde sie freigebig gegen ihre fünf Enkel. Sie kaufte dann beim Bäcker zwei altbackene, schimmlige Dreierbrötchen für 4 Pfennige und verteilte sie unter die Kinder. Trotz aller Armut war sie heiter und zufrieden. Sie starb in ziemlich jungen Jahren an „Altersschwäche", bester gesagt, an „Unter ernährung". Die Mutter Karl Mays war eine ungemein fleißige, ruhige and geduldige Frau, die trotz der eigenen Armut doch stets opferbereit für andere arme Leute war. Karl May blickte zu ihr auf wie zu einer „Märtyrerin" und verehrte sie wie eine „Heilige". Seinen Vater nennt Karl May einen „Menschen mit zwei Seelen, die eine unendlich weich, die andere tyrannisch, voll Uebermaß im Zorn, unfähig, sich zu beherrschen". Trotzdem der Later Mays keine Schul« besucht hatte, besaß er doch gute Kenntnisse im Lesen, Schreiben, Rechnen und Naturgeschichte, vor allem aber eine angeborene Ge schicklichkeit der Hand, die ihn be fähigte, sein eigener Schuster und Schneider zu sein. Als der Knabe Karl May einst eine Geige brauchte, und das Geld auch zu dem dazu gehörigen Bogen nicht ausreichte, fertigte Vater May selbst einen Geigenbogen an, dem es zwar „ein wenig an schöner Schweifung und Eleganz" fehlte, der aber seinen Zweck vollkommen verrichtete. Der Vater war den ganzen Tag über in Aufregung und gereizt und glich einem Vulkan, besten Ausbruch von Minute zu Minute zu erwar ten war. Am Webstuhl hing ein dreifach geflochtener Strick und hin ter dem Ofen steckte eine Birken rute, die er vor jedesmaligem Ge brauche im Ofentopf einweichte, um sie elastischer und eindringlicher zu machen. Schlug Vater May auch zu, so lange er nur konnte, so war er doch bald- darauf an Liebes beweisen gegenüber seinen Kindern nicht zu übertreffen. Ein Rätsel! Erwähnt sei noch, daß Karl May kurz nach seiner Geburt infolge Nachlästigkeit und falscher Behandlung der. Augen er blindete. Erst im 5. Lebensjahr wurde er durch ärztliche Kunst wieder sehend. Diese 4jährige Blindheit ist für die seelische Entwicklung des Knaben von großer Bedeutung geworden. Hervorgerufen durch viele Märchenerzählungen seiner Groß mutter väterlicherseits hatte sich in dem geistig regen, phan tasiebegabten Knaben eine Weltanschauung ausgebildet, die bei der Rückkehr des Augenlichtes gar nicht mit der Wirklich keit übereinstimmte. Dieser Umstand ist bedeutungsvoll ge worden für das ganze Leben des Schriftstellers Karl May. Aus diesem Zwiespalt ist er sein ganzes Leben lang nicht her ausgekommen. Ein vollständiger Umschwung im Leben der Familie May trat ein, als die Mutter ganz unerwartet von einem entfern ten Verwandten ein Haus in Ernstthal und 5 kleine leinene Geldbeutel erbte. Ein Beutel enthielt lauter Zweipfenniger, ein anderer lauter Dreipfenniger, ein dritter lauter Groschen.