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Vorsitzender des Verbandes bleiben konnte. Dementsprechend lauteten die an ihn gestellten Forderungen: 1) Niederlegung des Amtes als Vorsitzender. 2) Herbeischaffung des fehlenden Betrags. Andernfalls Anzeige bei der Staatsanwaltschaft. Die darauffolgende Szene zu beschreiben möge uns erlassen bleiben; Junge betheuerte den Beamten, daß er aus Noth so gehandelt habe, wies auf die in den letzten 2 Jahren sich mehrfach wiederholt habenden schweren Krankheitsfälle seiner noch jetzt kränklichen Frau und auf seine unglückliche, aus 7, der Schule noch nicht entwachsenen Kindern be stehende Familie, hin und erbat, wenn auch nicht für sich, so doch sür diese wenigstens noch eine Frist, damit er sich andere Arbeit suchen könnte. Man möchte doch seiner Familie nicht den letzten Weg ab schneiden, dadurch, daß man ihn durch plötzliche Entlassung auch gleich als Verbrecher hinstellte. Die Beamten befanden sich in einer eigenthümlichen Lage; wohl hatte sich Junge schwer vergangen, wohl hatte er einen groben Ver trauensbruch begangen und die Organisation uni einen namhaften Betrag geschädigt, aber er versprach, den Betrag sofort zu decken. Er wollte nicht länger beschäftigt sein, er wollte nur im Interesse seiner Familie einen Eklat vermieden wissen. Das letztere lag ja auch im Interesse des Verbandes. Kurzum, die Bitten fanden Gehör und die Menschlichkeit gewann die Oberhand über das strenge Pflichtgefühl, man einigte sich auf folgende Bedingungen: 1) Junge beschafft innerhalb 3 Tagen das fehlende Geld. 2) Junge sieht sich sofort nach anderer Arbeit um und hat vor der nächsten Generalversammlung sein Amt als Vorsitzender durch eine ausführliche, dem Vorstand und Ausschuß einzureichende, den Sachverhalt berichtende Erklärung niederzulegen. 3) Junge kündigt am 31. Dezember seine, neben dem Verbands^ bureau belegene, aus 3 Zimmern bestehende Wohnung zum 1. April 1895. 4) Im Falle der Nichterfüllung einer dieser drei Bedingungen erfolgt sofortige Mittheilung an den Vorstand und Ausschuß. Außerdem wurde di; Postverwaltung und besonders die Brief träger instruirt, keine Postsendungen mehr an Junge abzugeben. Diese von der Menschlichkeit diktirten, immerhin nicht gerade sehr milden Bedingungen, die von den Beamten in der besten Absicht, fest gesetzt waren, erwiesen sich wie überhaupt ihr Schweigen nur allzubald als ein an einen Unwürdigen verschwendeter Akt der Nachsicht denn kaum 6 Wochen nachher meldete der dem Hauptkassier unterstellte Expedient der Einzelmitglieder, der Hilfsarbeiter Karl Härtner, daß seine Abrechnung vom 4. Quartal 1894 mit einem Defizit von 163 Mk. abschließe. Eine vom Vorstand eingesetzte Prüfungskommission bestätigte dies und konstatirte, daß der Fehlbetrag sich größtentheils aus an Geldesstatt eingesandten Briefmarken zusammensetze. Der bei den Beamten Werner und Schlicke aus den vorhergegangenen Vorkommnissen gegen Junge wachgerufene Verdacht wurde zunächst durch Härtners Aussage bestärkt, daß er Stearinkerzentropfen an seinem Pult gefunden habe und daß er ein, Junge belastendes, Schriftstück, worin dieser ihm mittheilte, daß er ein Defizit gelegentlich der während eines