Volltext Seite (XML)
Adorker Wochenblatt. Mittheilungen über örtliche und vaterländische Angelegenheiten. Fünfzehnter Jahrgang. Preil für den Jahrgang bei Bestellung von der Post: 1 Thaler, bei Bestellung de« Blatte« durch Botengelerenheit» 22 Ngr. s Pf. 50. Mittwoch, 11. Dezember 1850» Die Deutschen in Paris von L. Kalisch. Ja keiner Stadt der Welt werden so viel Luft schlösser gebaut, wie in Paris. Hier lügt die Hoff, nung so schön, so boSbaft liebenswürdig, daß man am Rande des Abgrundes kaum sieht, wie boshaft man von ihr hintergangen worden. Wem die gütige Natur Verschmitztheit, Schlauheit, Charlatanerie und ähnliche Gaben verliehen, durch wel che man die Aufmerksamkeit zu erregen vermag, der wird sich hier zuweilen ein leibliches, vielleicht gar ein glänzendes Dasein begründen; denn sich bemerkbar machen, heißt hier schon den Grundstein zu seinem Glucke legen. Das bescheidene Verdienst aber, daS im Bewußtsein seines Werthes harrt, bis es gewür digt wird, geht in Paris sehr häufig in Noth und Elend unter. Freilich gelingt eS in Paris auch den Unbescheide nen nicht sehr häufig, da die Eoncnrrenz zu stark ist, und ein großer Charlatan aus der Glücksjagd von ei nem größeren Charlatan überholt und niedergeworfen wird; aber die Charlatanerie ganz verachten, ist so viel, als dem Glücke den Krieg erklären und mit der Noth ein unzertrennliches Bünvniß schließen. Kein Volk indessen liefert der Hauptstadt Frank reichs so viel Opfer, als da- unserige. Von den Deutschen, die nicht dem Handwerkerstände angehören, geht hier mindestens die größere Hälfte unter. Sie dringen gewöhnlich eine blühende Jugend, einen Schatz von Kenntnissen, einen Reichlhum an Talent mit und sind überzeugt, daß bei solchen Begabungen das schön ste, das herrlichst» Ziel erreicht werden müsse. Sie glauben den Ruhm, die Unsterblichkeit und eine glän- -ende Lcbenseristenz schon gesichert; aber ei» Tag nach dem andern entflieht, ein Monat nach dem andern verschwindet, ein Jahr nach dem andern geht hin. Die Wechsel auf den Ruhm und die Unsterblichkeit sind mit Protest zurückgewiesen worden; die schönsten Jahre, wo das Talent am freudigsten und fruchtbar sten schafft, sind vertrauert worden in Jammer und Noth und die Getäuschten geben sich immer noch neue« Täuschungen hin, und glauben den lügnerischen Ver» s-vrechungen, mit d»uen sie hiittergangen werden. Ich habe hier merkwürdige Opfer dieser Art gese« hen. So babe ich einen jungen, deutschen Mathema tiker kennen gelernt, der in Paris nicht nur für einen Gelehrten, sondern für ein Wunder, für ein mathe matisches Ungeheuer gilt. Vor mehreren Jahren kommt er nach Paris, in der festen Ueberzeugung hier sein Glück zu machen. Er läßt durch Arago, der seine Verdienste bereits kennt, der Akademie der Wissenschaft ein Memoire einreichen, in welchem die Entbehrlichkeit der Logarithmentafeln nachgewicsen wird. Arago be- vorwortet das Werk in den wärmsten Ausdrücken, und das Memoire wird von der Akademie lobend erwähnt. Die größten französischen Mathematiker erstaunen über seine Fähigkeiten und beuten sie auS; aber der junge Mann lebt in solch' drückenden Verhältnissen daß er am Abend nicht weiß, mit welchen neuen Lügen er am Morgen seinen ungläubig gewordenen Magen ad- speisen soll. Als ich ihn fragte, warum er nicht nach England gehe, antwortete er, daß ihm di» Mittel zur Reise fehlten; zwar, fügte er hinzu, könne er diese Mittel von Pariser Gelehrten seine» Faches wohl erhalten, aber gewiß nur unter der kaum verhehlten Bedingung, daß er nicht wieder nach Paris zurückkehre. Die Pariser Belehrten wollen überhaupt keine freen- de«, besonders keine deutschen Gelehrten aufkommen lassen; ob sie sich in dieser Beziehung mehr vor der Qualität als vor der Quantität fürchten, weiß ich nicht; gewiß aber ist, daß unsere gelehrten Landsleute, wenn sie in Paris eine Stellung suchen, taufend Stei ne deS Anstoßes finden, über die nur sehr Wenige ge. schickt hinwegzuspringen verstehen. So kam vor nicht langer Zeit ein sehr namhafter, deutscher Naturforscher nach Paris. Sein reiches Wis sen war dort Niemandem verborgen, denn manche sei» ner Werke waren von der Akademie gekrönt worden. Aber der Mann hatte gewisse Eigenthümlichkeiten, g». wisse Manieren, durch die er in der Pariser abgeschiif» fenen Welt Anstoß erregte und Widersacher erweckte; und bald sah er sich von dem Allernöthigsten so sehr entblößt, daß er froh war, durch Hülfe einiger mitlei» digen Freunde nach Amerika auswandern zu können. Groß sist in Paris besonders die Zahl deutscher