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Adorker Wochenblatt. Mittheil« nge« über örtliche und vaterländische Angelegenheiten. Fünfzehnter Jahrgang. Preis für dtn Jahrgang bei Bestellung von der Post: 1 Thaler, hei Bestellung de« Blattet durch Botengelegenheits SS Stgr. S Pf. 21. Mittwoch, SS. Mai 1850, „Was sich der Wald erzählt." Wir sind im Jrrthum, wenn wir glauben, daß die Blumen nichts können, als knospen, blühen, duften und verwelken, denn diese Ansicht, so viel verbreitet sie auch sein mag, hat uns doch nur unser eigener Egoismus aufgcdrungen, der uns gern weiß machen möchte, Alles in der Natur sei allein für uns da, und da wir eben nur das äußere Leben der Blumen wahr nehmen könnten, hatten sie au» gar kein inneres. Dem ist nicht so, und wie jede Blume ihren eigenen Charakter Hal, die eine bescheiden ist, die andere stolz und eic-l, diese heiter und glanzend, jene duster und unscheinbar, so hat auä> jede ihr eigenes Wünschen, Streben, Jauchzen, Traucin und Lieben, alle aber haben sie einen überwiegenden Patriotismus, das heißt eine Anhänglichkeit nicht allein an das Land, sondern sogar an die Stelle, auf der sie aufgewachsen sind, so daß sie anderswo gar nicht cxistiren könnten: ein Ge fühl , welches man in neuerer Zeit bei den Menschen oft hat vermissen wollen. Aber auch ein Organ der Mittdeilung haben die Blumen, und wer nur ihre Sprache verstünde, dem könnten sie manches Gedicht, manches Mährchen ins Ohr hauchen,' der würde gern manche Nacht (denn das ist besonders die Zeil ihrer Mittheilungcn, wie wir bald sehen werden) auf der blumigen Flur lauschen, und all' die bunten Bilder, chen. die ihm vorgeführt würden, möchten ihm leicht wie ein schöner poetischer Traum erscheinen. Ich lag einmal in einer duftigen mondhellen Nacht auf dem blühenden Teppich dcS Waldes und lauschte — da hörte ich auf einmal tausend Stimmchen aus den Bltü men aufstcigcn. Melancholisch flüsterte das Schilf, gras dem Nachbar ein lange- lyrisches Gedicht in's Obr und der Nachbar hörte aufmerksam zu. Dazwi- schen plapperte die Klatschrose, die bei den Blumen die Chronique scandaleuse ist und die Klatschlitcratur repräsentirt. Richt weit ab kicherten rothe Moosblü. then zusammen und hatten sich gewiß eben etwas recht Launiges erzählt. Die Glockenblume war zwar stumm, aber sie bestätigte fortwährend die Reden der Nachbarn, indem sie rechts und links mit dem Kopfe nickte. Das war nun mit dem Zittergras ganz anders, kenn das schüttelte beständig mit dem Kopke und wollte nichts glauben von alle dem, was eS um sich Hörre. O weh, riek klagend eine Achaar von Thymian- blütken, da hat unS wieder der plumpe Fuß einer Menschen unsere liebsten Geschwister zerknickt. Ja, sie achten uns gar nicht, sagte eine Pechnelke, die so gern bemerkt wäre und sich deshalb reckt doch auf ihrem schlanken Stiel emporstrecktc, wie wir uns auch zärtlich an sie schmiegen und fcsthalten. Wenn sie uns noch vernichteten, weil ihr ihnen schädlich sind, wie der Schierling, aber nichts ist schwerer zu tragen, als ihre Mißachtung, in der sie es picht einmal für wcrth halten, ihren Fuß von uns zu wenden. Nicht doch, flüsterte begütigend ein Vergißmein nicht dazwischen, sollte man doch, nach euern Reden, die Menschen für gar ungerecht gegen unS halten? Und doch kann ick eure Vorwurfe widerlegen. Sind wir ihnen nicht der liebste Schmuck bei festlichen Gele genheiten und wählen sie uns nichr immer als Boten für ihre heiligsten Gefühle, für die Licoe? Die Zeiten sind längst vorüber, sagte höchst ver stimmt der Sauerampfer. Halten sich die Menschen nicht in ihrem aufgeblasenen Stolze für berechtigt, selbst dem Schöpfer in's Handwerk zu pfuschen,- ja ihn zu verbessern, indem sie unS in jämmerlichen, pa. piernen, gemalten Dingern nachahmen, ja verschönert nachbilden wollen? Und womit schmücken sie sicy denn jetzt, mit uns oder mit jenen verächtlichen Abbildern? Und zu LiebeSboten nehmen sie uns auch nur, wenn sie nichts bessere- haben, sonst ist aber diese Blumen«