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— 70 — glücke des Menschengeschlechts sang. Hier stand auch der große Kessel, in welchem tur die verschiedenen Kölker ihre Sprachen zubereiret wurden, und eine Sa ge schildert uns folgendermaßen, wie Wannemunn« die Menschen und Thiere zusammenrief, um sie t ie Feßsprache, den Gesang zu lehren. „Und es entstand ein herzergreifendes Rauschen in den Lüften und Wannemunne ließ fick herab und leg» te sein lockiges Haupt zurecht und schüttelte seine Ge wänder und strick seinen Bart und reinigte seine Stimme und versuchte sein Saitenspicl. Dann spi.lie er sein Vorspiel und sang endlich das Lied, das alle Zuhörer ergüff, ihn selbst aber am meisten. Stille herrschte in der Versammlung und Alles lauschte an- dächtig dem Sange. Der Embach hemmte seinen Lauf, inen, wenn das Auge des Glückes wieder auf diesen Fluren w.ilen wird." Von dieser schönen und reich symbolischen Schil derung wendet sich die Sage auch den lieblichen B- trackiungcn der Narur zu und erzählt in höchst rei zender Weise, wie in der li der- und blum »reichen Wountzeit der kürzesten Nackte Abendroth und Mor gen, oth sich einander die Hand reichen. „Kennst du die Leuchte in Allvaters Hallen/ So eben ist sic zur Rube gegangen und da, wo sie er lischt, glänzt noch der Wiedersckein am Himmel. Schon zieht sich der Licblreif hinüber nack Osten, wo sie so gleich in voller Pracht wieder die ganze Schöpfung begrüßen soll. Kennst du die Hand, welche eie Son ne empfängt und zur Ruhe bringt, wenn sie ihren der Wind vergaß seine Hast, der Wald, die Thiere und Vögel horchten aufmerksam zu, und auch daS neckende Waldecho guckte zwischen den Bäumen hervor. Aber nicht Alle, die zugegen waren, begriffen das Ganze. Die Bäume deS Haines merkten sich nur das Rauschen, welches beim Nicdersteigcn des Gottes ent stand; und wenn ihr im Walde lustwandelt und ihr dieses feierliche Rauschen Hörl, so wißt, daß die Gott heit Euch nahe ist. Der Embach merkte sich daS Rau schen seines Gewandes, und so oft er im Frühling sich seiner neuen Jugend freut, braust er, wi er das Brausen dorr gehört. Der Wind hatte ,iM die grell sten Töne gemerkt. Einigen Tbieren Katie das Knar- ren der Wirbel des Sailenspiels gefallen, andern das Klimpern in den Saiten. Die Singvögel merkten sich daS Vorspiel, besonder- Nachtigall und Lerche. Die Fiscke waren am Unglücklichsten daran: sie steck» ren die Köpfe bis zu den Augen aus dem Wasser her. vor, ließen aber die Ohren drin, sie sahen die Beweg ungen des Mundes und ahmten diese nach, blieben aber stumm. Nur der Mensch faßte Alles, daher sein Gesang bis in die Tiefen des Herzens und hinauf zum Wohn sitz der Göller dringt. Und der Alte sang von der Größe deS Himmel- und von der Pracht der Erde und vom Glück und Unglück des Menschengeschlechtes. Und von seinem Gesänge wurde er so ergriffen, daß «r heiße Thränen vergoß, die durch seine sechs Röcke und sieben Hemden drangen. Und nun flog er zu Altvaters Wohnungen, um ihm zu singen und zu spie len. Und geweihten Ohren ist es vergönnt, bisweilen von fernen Höhen herab die Töne zu vernehmen. Damit die Menschen aber seinen Gesang nicht ver gessen, schickt er noch jetzt von Zeit zu Zeit seine Bo- len zur Erde. Auch wird er selbst' einmal wiederkvm» Lauf vollendet hat/ Kennst du die Hand, welche die. Erloschnc wieder ansacht und ihren neuen Lauf am Himmel beginnen laßt? Altvater halte zwei treue Diener aus dem Geschleckt, dein ewige Jugend ver liehen war; und als die Leuchte am ersten Abend ih ren Lauf vollbracht hatte, sagte er zur Aemmarik: Deiner Sorgfalt, mein Töchterchen, vertraue ich die sinkende Sonne an. Lösche sie aus und verbirg da- Feuer, damit kein Schade geschieht. Und als am an dern Morgen die Sonne wieder ihren neuen Lauf be ginnen sollte, sagte Altvater zum Kvit: Dein Amt. mein Söbncken, sei, die Lcuckre anzuzünkcn und zum neuen Lauf vorzubrreiten. Treulich übten Beide ihre Pflichten und keinen Lag fehlte die Leuchte am Him- n elsbogen. Und wenn sie un Winter am Rande deS Himmels hingeht, erlischt sie früher am Abend und beginnt später am Morgen ihren Lauf. Und wenn sie im Frühling die Blumen und den Gesang erweckt und im Sommer mit ihren heißen Strahlen die Früch te zur Reife bringt, so ist ihr nur eine kurze Ruhezeit vergönnt und Ammerik übergibt die erlöschende unmit telbar der Hand des Koit, der sie sogleich wieder zum neuen Leben antacht. Jene schöne Zeit war nun gekommen, wo dir Blu» wen erblühen und duften; und Vögel und Menschen erfüllten mit ihren Liedern ven Raum unter Jlmari- nens') Zelt. Da sahen Beide sich zu tief in die brau nen Augen und al« die verlöschende Sonne aus ihrer. Hand in die seinige ging, wurden die Hände auch gr». genseitig gedrückt und beider Lippen berührten sich. Aber ein Auge, das nimmer sich schließt, hatte be» merkt, was zur Zeit der stillen Mitternacht im Der- ') Jlmarine ist der Gott der Luftregionen, ein Bruder Wan« nemunner.