Volltext Seite (XML)
29. Fortsetzung. „Nein —" ein verhaltenes Schluchzen klang durch ihre Stimme, „ich hatte nur den einen Wunsch — fort! Aber jetzt sehe ich ein. daß ich unüberlegt gehandelt habe — vergib mir!" „Gottlob, daß ein Zufall es mich verhindern ließ. Hät test du gewartet, so — wäre die Lösung von selbst ge kommen." „Wie meinst du?" „Ich — ich ,elbst hab« den Entschluß gefaßt, dich — tn Pension zu geben." „Wie'' Tu wolltest mich fortgeben, du, der du dich stets dem widersetztest?" fragte Senta erstaunt und un gläubig und sah nicht die Qual, die sich auf seinen Zügen absxiegelte »Ja — denn die Umstände erfordern es," antwortete er „Fräulein con Rupert wird heute noch das Schloß verlassen, und ich — beabsichtige, für längere Zeit aus Reisen zu gehen. Tu kannst nicht allein aus der Wolfs burg bleiben" Sie stand starr vor Staunen. Er zögerte einige Sekun den, ehe er weiter sprach. „Auch — Hans Joachim ist heute früh abgereist. Ein Regimentsbefehl riet ihn in seine Garnison zurück. Er konnte sich nicht mehr von dir verabschieden und — läßt dir durch mich einen Gruß bestellen" Senta war von diesen überraschenden Nachrichten wie niedeigeschmettert Welch« neue Schmach und Demüti gung wälzte sich aus ihre Seele! Hans Joachim war ab gereist ohne Abschied — die Rupert verließ heute noch das Schloß und — der Onkel wollte sie fortschicken!_ So war es ihm zu Ohren gekommen die Rupert hatte sie, wie so ost schon, verleumdet, und er glaubte ihren Verleumdungen denn wozu sonst diese Maßregeln? — Sie hätte vor Scham in den Boden sinken mögen. O. über ihre törichte Schwäche, die sie noch einmal in den Park trieb! Diese demütigende Begegnung wäre ihr erspart geblieben Maximilian nahm ihr verstörtes Wesen für Trennungs- ichmerz und Verletztsein über Hans Joachims plötzliche Ab reise, und das Herz krampfte sich ihm zusammen. Sie liebte ihn, das war klar, und sie litt nun doppelt um ihn Sie hatte durch die schmähenden Worte Karlas, die sie in ihren heiligsten Gefühlen verletzt haben mußten vor ihm fliehen wollen, ahnungslos, daß sie ihm gerade dadurch beinahe in die Arme gerannt wäre, denn sie hätten mit demselben Zuge fahren müssen An Hans Joachim war es. sie für die Schmähungen zu entschädigen, ihr seine Liebe und seine Hand zu bieten. Nun mußte sie glauben, daß er ihre Liebe nicht erwidere, daß er ein Spiel mit ihr getrieben und sie dadurch in den Ruf und das Ansehen einer Koketten ge bracht habe. Maximilian kämpfte einen heißen Kampf und stöhnte dabei auf vor Qual. Sage ihr, daß Hans Joachim sie lNachdruck verboten.^ liebt und um sie geworben habe — stelle dich nicht hindernd zwischen beider Glück! rief die eine Stimme, und: Sie ist zu jung, sie kann und soll jetzt nicht entscheiden, sich durch ungerechte Schmähungen und heiße, stofze Empfindungen nicht beeinflussen lassen Nach zwei Jahren ist noch immer Zeit genug für einen so wichtigen Schritt der für das ganze Leben gilt, sprach die andere dagegen. Senta ist noch ein Kind, das beweist ihr heutiges törichtes Vor haben, sagte er sich Und wie kann ein Mann auch ahnen, welche Vorgänge sich in der Seele eines zart empfindenden Weibes abspielen! Ihm fehlt das rechte Verständnis für den unanfechtbaren Stolz, der in ihr wohnt, er kann es nicht begreifen, wie ein Weib zu den tollsten Schritten fähig wird wenn auch nur ein Schatten auf ihre Reinheit und Keuschheit geworfen wird. So blieb die Sache mit Hans Joachim unausgesprochen. „Wohin wolltest du dich wenden, und woher nahmst du die Mittel?" fragte er, um sie aus ihren Gedanken zu wecken. „Ich bat Tante Sabine darum." „So hat die Alte dich doch mit ihren romantischen Ideen beeinflußt?" „Nein, nein," wehrte Senta ab, „sie gab nur zögernd ihre Zustimmung zu meinem Plan." „Die alte Wolfsburgerin ist in Kinderhänden;^ch werd« nicht mit ihr rechten. Und wohin wolltest du gehen?" „Nach — Berlin, zu — Rodenbachs." „Ah!" „Sie sind die einzigen, die ich kenne, die mir nahestehen." „Ich werde eine andere Pension für dich ausfindig machen," sagte er mit düster zusammengezogenen Augen brauen. - „Warum? Was hast du gegen Rodenbachs, die meinen Eltern und mir so oft ihre Freundschaft bewiesen haben? — Bei ihnen allein würde ich mich wohl fühlen," erwiderte sie mit zitternder Stimme. „Ich habe nichts gegen die Menschen an sich, sondern gegen ihren Stand Wir haben schon einmal darüber gesprochen: du weißt, wie ich denke." „Was fürchtest du?" fragte sie, noch immer bebend vor Erregung. „Meinst du, ich würde die Kunst nicht auch wo anders ausüben können^ Und — laß mich doch ihr leben — sie ist ja doch mein alles, mein Höchstes Und ob ich nun zu Rodenbachs oder wo anders hingche, das ist doch ganz gleich." Er war bleich wie der Tod geworden. Er wußte, daß sic Erjatz und Trost in ihrer geliebten Kunst suchte; er hatte sie ja gestern noch selbst darin gesucht Wie durfte er ihr auch noch das Letzte rauben! „Lieber unter den Gauklern!" Hatte er nicht einmal so gerufen? Welcher Uebel war das kleinere?