Volltext Seite (XML)
Sie blieb stehen und wandte sich jäh zu ihm um. Die ! beiden waren am Rand des Waldes angclangt; die Schule ! lag dicht vor ihnen. Sie schlug ihren Mantel fester um sich I und warf den Kopf leicht zurück, eine Eigenart, die er an I ihr des öfteren bemerkt hatte. „Dies ist nicht der Ort für eine Unterhaltung, Mister ! Glenarm. Ich hatte nicht die geringste Absicht, Sie I wiederzusehen, will Ihnen jedoch das Folgende sagen —* „Was Pickerings Schuldscheine betrifft," fiel John » ihr stotternd ins Wort, „so werde ich meinen Großvater > bitten, sie Ihnen als Zeichen meiner Hochachtung zu I schenken." Sie fuhr zurück wie vor einem Peitschenhieb. „Sie haben viel dafür gewagt," fuhr John fort, - „für ihn—" „Mr. Glenarm, ich habe keine Neigung, dies oder I irgend etwas anderes mit Ihnen zu besprechen —" „Es ist die beste Lösung —" I »Ihre Beschuldigungen, Ihre Anspielungen sind ' infam." „Aber ich habe doch mit eigenen Augen gesehen —" I stammelte er. — „Natürlich, Sie haben allen Anlaß, auf ; Ihre Beobachtungsgabe stolz zu sein." „Und selbst, wenn ich es nicht wäre, es gibt Dinge, die I Sie nicht wegleugnen können: Ihre Herausforderung, I Ihnen zu folgen und dadurch die mir auferlegten Be- i dtngnngen zu verletzen, Pickerings Anwesenheit bei ! meinem Besuch in Cincinnati, Ihre Suche nach den I Schuldscheinen. Können Sie sich nicht vorstellen, daß mir I all dies sehr weh getan hat? Seit der Stunde, da ich Sie ! zum erstenmal sah, als Sie mit dem Kahn in den Sonnen- ' Untergang hinausfuhren, hat mir der Gedanke an Sie I mein einsames Leben verschönt, mich aufgerichtet, wenn I ich fast verzweifeln wollte, Ehrgeiz, den ich schon auf- ! gegeben hatte, wieder entfacht, und nun, da der Kampf, ' den ich Ihretwegen geführt habe, beendet ist, erscheint er I mir so müßig, so nutzlos. Ich möchte Ihnen nur noch I sagen, daß Artur Pickering unter dem, was geschehen ist, i nicht zu leiden haben wird. Ich beabsichtige nicht, ihn zur » Verantwortung zu ziehen. Ihretwegen soll, was er getan » hat, ungesühnt bleiben." Ein Seufzer, so tief, daß er wie ein Schluchzen klang, * brach aus ihrer Kehle. Wie in Beschwörung hob sie eine ' ihrer Hände. „Warum gehen Sie nicht zu ihm mit Ihrer Groß- I mut? Sie, der Sie so geneigt sind, Böses von mir zu f denken! Ich beabsichtige nicht, mich zu verteidigen, aber » dieses eine will ich Ihnen sagen, Mr. Glenarm: Ich hatte I keine Ahnung, daß Pickering an jenem Abend zu den I Armstrongs kommen würde. Ich war davon ebenso über- f rascht wie Sie und als ich Sie in jener Nacht im Tunnel » traf, hatte ich eine bestimmte Absicht, — eine Absicht —" „Nun?" Sie hielt inne und John neigte sich vor in Erwartung ' ihrer ferneren Worte, bewußt, daß an ihnen sein Lebens- ' glück hing. „Ich fürchtete, — ich fürchtete, daß Ihr Großvater I nicht mehr rechtzeitig zurückkommen würde und Sie in f Ihrem Kampf unterliegen würden. Ich bin mit Mister » Pickering zurückgckommen, weil mich der Gedanke quälte, I daß sich hier schreckliche Dinge ereignen könnten — daß I Ihnen etwas zustoßen könnte." Bevor sie ihre letzten Worte, die kaum mehr als » gehaucht waren, vollendet hatte, wandte sie sich um und I lief, wie ein verfolgtes Wild, in die Dunkelheit hinaus. I John hörte deutlich das Flattern ihres Mantels und ; folgte ihr, so schnell es ihm die Finsternis gestattete. Sie , war bereits bei der Eingangstür unter dem Schein der I Lampe, die darüber hing, und hielt schon die Türklinke I in der Hand, als er sie cinholte. „Aber wie hätte ich das wissen sollen," stieß er hervor. » „Sie haben mich doch sooft wegen meines Exils in l Glenarm verspottet und mich von hier fortgelockt, obwohl f Sie wußten, daß mein Großvater noch lebte und erfahren « würde, daß ich seinem Wunsch zuwidergehandelt habe. ! Wenn Sie mir das erklären, mir darauf eine Antwort i geben können —" „Ich werde Ihnen kein Wort mehr sagen, nach all » dem Schlechten, was Sie von mir gedacht haben." „Aber nur, weil ich Sie liebe. Es war meine Eifer- I sucht, die Eifersucht auf meinen Jugendfreund, die mich trieb, mich an jeden Zweifel zu klammern. Ich habe mich j so sehr auf den Frühling gefreut, einen Frühling hier mit » Ihnen, und ich gehe nun fort, weil ich die Einsamkeit hier ! ohne Sie nicht ertragen könnte." „O bitte —" Sie atmete schwer und zerrte an dem f Türschloß zum Zeichen, daß das Gespräch für sie zu Ende ; war. John wollte sie jedoch in dem Aufruhr von Hoff- » nungen und Zweifeln, die ihn durchwühlten, nicht ver- I lassen. Er ergriff ihre Hände und suchte ihre Augen. „Sie haben mich herausgefordert, Ihnen zu folgen. ; Ich will wissen, warum Sie das taten?" Sie zuckte vor ihm zurück und versuchte, ihre Hände zu i befreien. „Warum taten Sie es, Marianne?" „Weil ich wollte —" „Nun?" „Weil ich wollte, daß Sie kommen, Mr.-Glenarm." > Schluß. : Frühling war in den Wäldern von Glenarm einge- I zogen, die Blaumeisen waren zurückgekehrt. Glenarmhaus I war die Stätte reger Betriebsamkeit geworden. Nachdem ; die Spuren des Kampfes jenes Wintermorgens, der das » Haus zu einem Schlachtfeld gemacht hatte, beseitigt waren, i traf ein kleines Heer von Handwerkern ein, um Glenarm- I Haus in der Pracht, die sein Erbauer geplant hatte, fertig- ; zustellen. John Glenarm hatte den Bau unter den An- ' Weisungen seines Großvaters, jedoch mit voller Freiheit, I ihn nach seinen eigenen Wünschen umzugestalten, geleitet, I Mancher Kompromiß zwischen der alten Zeit, in deren Geist John Melville Glenarm sein Haus errichten wollte, > und der neuen, verkörpert durch den jungen Ingenieur, ! war zustande gekommen. f Der alte Mr. Glenarm hatte auf Fertigstellung ge- I drängt, da er, wie er öfter launig bemerkte, nicht mehr viel ' Zeit hatte, es in seiner Pollendung zu genießen. Die ! eigentliche treibende Seele war jedoch John, und wer ihn I bei seiner Arbeit beobachtet hätte, würde bemerkt haben, ; daß seine hauptsächlichste Sorge jenen Räumen galt, in ' die alsbald seine junge Frau als Herrin einziehen sollte. Der Tag, da dies geschah, an dem Stoddard John I Glenarm und Marianne Devereux in der kleinen Kapelle ; der St.-Agathen-Schule miteinander verband, war der ' glücklichste nicht allein im Leben der jungen Eheleute, I sondern auch des alten Herrn, der darin die Verwirk- I lichung all seiner Hoffnungen sah. ; In der Zeit ungetrübten Glückes, die der Wiederkehr ' John Melville Glenarms ins Leben folgte, hatte es nur I eine Sorge für John gegeben: die um die Wohlfahrt I Donovans, seines treuesten Freundes. Der Gefangene im ; Kartoffelkeller war in allen Ehren entlassen worden und ' eine großmütige Kriegsentschädigung hatte ihn die cmpfan- I gene unwürdige Behandlung und vieles andere vergessen I lassen. Trotzdem blieb Donovan ein Flüchtling vor dem ; Gesetz. Erst nach Jahren gelang es mit Hilfe der beiden ' Glenarms seinen Anwälten, das Verfahren gegen ihn i niederzuschlagen unter der Bedingung, daß er niemals ! wieder den Boden von Irland betrete. ; Bald nach Donovan hatte auch Bate Glenarmhaus ' verlassen und sich in Kalifornien als Obstzüchter nieder- ! gelassen. Nur Pickerings Haus war leer geblieben. I Sein finanzieller Zusammenbruch und sein darauffolgen- I des Verschwinden war eine Zeitlang die Sensation des ' Tages. Der Tunnel und das Versteck hinter dem Kamin I waren auf Wunsch Johns, entgegen den Absichten seines ! Großvaters, erhalten geblieben. Sie beherbergten die ' Weinschätze des Glenarmschen Hauses. Melville Glenarm berührte sie nie, außer einmal im Jahre, am Tag seiner I Wiederkehr ins Leben. Dann serviert Bate, der an diesem j Tag nie sehlt, einige Flaschen des besten und kostbarsten ' Champagnerweins, dessen sich Glenarmhaus rühmen kann. Auch Laurence Donovan, der sich in Newyork als Rechts- I anwalt niedergelassen hat, erscheint stets an diesem Tag, I und nachdem die festliche Mahlzeit zu Ende ist, erhebt ' John Melville Glenarm in noch völliger Frische sein Glas, gefüllt mit der goldgelben, perlenden Flüssigkeit, um es I auf das Wohl von Glenarmhaus und seiner Bewohner zu leeren.