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„Es ist alles so traurig — am liebsten würde ich Gift nehmen — hast du nicht irgend so was?" Konrad lächelte. „Was ist so traurig? Muß es ein Gift sein, das sofort tötet und nicht so schlecht schmeckt?" Dorli stutzte. „Tu mokierst dich wieder —" Konrad legte die Hand auf ihre Schulter. Er hätte am liebsten mitgeheult. „Was ist denn so traurig? — Daß ich weggehe — etwa?" „Ach du!" sagte sie trotzig, „das doch nicht!" „Aber?" „Mit Johanna — und —" „Und?" Dorli schwieg und sah starr geradeaus. Ihre Nasen flügel bebten. Er sah sie an und dachte: Tu siehst sie heute zum letztenmal. Plötzlich fiel ihm etwas ein. „Du trauerst nicht um Johanna. Du trauerst um einen andern —" Dorli wurde ganz blaß. „Sag' das nicht! Oh, sag' das nie wieder!" „Tu hast einen lieb —" „Oh, Konrad — warum sagst du das? Oh, das Un glück! Das furchtbare, namenlose Unglück —" „Du weinst um Hubbi Kußmaul —" Dorli fuhr hoch — einen Augenblick starrte sie ihren Schwager fassungslos an. Dann lachte sie scheu. „Welchen Hubbi meinst du?" Konrad wurde ungeduldig. „Nun denn — deinen Kerl mit der Glatze — du weißt doch —" „Hatte er eine Glatze?" „Mein Gott, du sagtest doch —" „Sagte ich das? Ach, Konrad —" Sie lachte plötzlich ganz jung und ausgelassen wie nur je in ihrem Leben. „Den gibt es doch gar nicht! Den hab' ich mir nur ausgedacht!" Konrad stand wie vor den Kopf geschlagen. „Den Hubbi — ausgedacht?" „Ich mußte doch auch jemand gegen die Familie haben! Sie hätten mich doch sonst an die Wand gedrückt!" Sie wurde ernst. „Der Hubbi hat mich vor dem Assessor gerettet — sag' nichts auf meinen Hubbi!" Konrad konnte es noch immer nicht fassen. „Und Lotte Kußmaul?" „Auch ausgedacht. Alle Kußmauls! Darum konntet ihr sie nicht im Adreßbuch finden!" Einen Augenblick sah Konrad vor sich auf den Boden. „Und ich dachte, du liebtest den," sagte er langsam, ohne aufzusehen. Dorli wich zurück. Mit weiten Augen starrte sie ihn an. „Tas hast du geglaubt? Das hast du geglaubt?" Er zuckte die Achseln. „Oh," sagte sie nur und sah auch vor sich nieder. „Und nun reist du wirklich ab?" Er nickte. Morgen wollte er reisen. Sie standen beide und wußten nichts mehr zu sagen. Dorli dachte: Wie kann ein Diann doch blind sein, und Konrad dachte: Hättest du das eher gewußt! Dann gaben sie sich die Hände, ohne sich anzusehcn. Beide taten so überlegen wie möglich, aber beiden war es auch so schwer ums Herz wie möglich. „Leb' wohl!" „Leb' wohl!" Tann ging Konrad. In der Tür wandle er sich noch einmal um. Da sah er ihre Augen. „Hm," machte er nur und wußte nicht, was das mit ihren Augen auf sich hatte. „Also den Hubbi hat's nie gegeben —?" „Nie." „Leb' wohl!" „Leb' wohl!" Noch einmal wandte er sich um. Nur sehen wollte er, ob ihre Augen noch so waren, so — neu — so — Aber er ging, weil sie ihre Augen verbarg. Einen Augenblick stand er noch vor ihrer Tür. Nun j weint sie, dachte er und erschrak. Wenn sie weinte — und , wenn es keinen Hubbi gab — und wenn sie doch weinte — ' Er kehrte noch einmal um. Steckte vorsichtig den Kopf I in die Tür. Sie weinte nicht, aber sie sah ihm mit leuch- s tenden Augen entgegen. „Dorli!" schrie er hellauf, daß es von den Wänden ü widerhallte. „Dorli!" Das war ein Falkenschrei — ein richtiger Schuljungen- j schrei — und das war der Ton, der den Weg zu Dorlis « Herzen frei machte. , „Mach' wenigstens die Tür ganz zu," trotzte sie noch j einmal auf, und da Konrad es gehorsam tat, spielte sich j da^s übrige hinter der geschlossenen Tür ab. Unten im Wohnzimmer aber stand die Justizrätin und ! weinte in ihr Taschentuch. I „So einen Schwiegersohn — so einen Schwiegersohn s — finden wir nie — wieder — ach —" — Ende.— ! Oer letzte Schritt. Von Arno Wagner. Ernst wußte, daß nun alles vorbei war. Er war zum letzten Schritt entschlossen. Eigentlich fühlte er sich zu jung, um diesem schönen s Leben ein Ende zu bereiten; eigentlich drängte es ihn andererseits mit eiserner Gewalt, dennoch ein energisches „Nie und nimmer!" zu schreien. Aber lieber in den jähen Abgrund mit männlichem Mute hineingesprungen, als — weiterzuvegetieren, von allen Seiten mit Rechnungen, längst überfälligen Wechseln und Schuldscheinen bedrängt zu werden. Seine Freunde, der Geselligkeitsverein, das kleine Mädel in der Stammbar, der Junggesellenklub, die Kol legen, die Korpsbrüder, fast die ganze jämmerliche und ehrenwerte Verwandtschaft, kurz alle, alle würden erstaunt die Köpfe schütteln und, ihn bedauernd, sagen: „Das hätten wir nie gedacht! Das hätte ihm keiner zugetraut!" und dann — dann würde man sich damit abfinden, wie man sich im Leben mit so vielen Dingen abfindet. Nur im Anfang würde mancher sich die Stunden zurück wünschen, in denen sie noch den lustigen, singenden, lachenden, tanzenden, ledigen, heiteren, fröhlichen, fidelen Ernst gekannt hatten. Bitterkeit quoll in ihm hoch. Betrübt ordnete er seine Papiere. Da legte er die Wechsel zurecht. Höhnisch lächelnd: „Ha! Jetzt kann ich euch begleichen!" Da legte er die Schuldscheine zusammen: „Ihr hart klagenden Ab schriften! Jetzt werden die Gläubiger Augen machen! Wie ost schon zweifelte die Meute zerknirscht oder wut schnaubend an eurer Einlösung!" Dann griff er zu den Rechnungsbergen, den Browning, der darauf lag, weh mütig bettachtend: „Mit dir habe ich damals das Duell um jenes Mädel, das ich liebe, ausgefochten. Ach, jenes Wesen, dem ich mein Leben weihen wollte! Sie war und ist zu arm! Ob sie wohl, wehmütig an ihn denkend, von seinem Schritte durch die Zeitung erfahren wird? Sicher beugt sie dann schmerzerfüllt und heftig schluchzend das süße, liebe Gesichtchen über das Blatt. Armes Mädel!" „Da! Ihr herzigen Briefe! Die durften nicht in die Hände eines anderen, kalten Menschen fallen. Hinweg mit ihnen." Langsam fiel ein Blatt nach dem anderen in die Glut des Kamins, dort die Flammen aufzüngeln lassend, wie kleine feurige Seelen, die durch den Schorn stein zum Himmel flattern wollen. Dahin — wo alles Leid aus war! Das war sein Abschied vom letzten, was ihn noch von jenem unseligen Schritt zurückgehalten hätte. Ihr Bild in einen Umschlag steckend, schob er den Abschiedsbrief bei: „Verzeih' mir! Ich konnte nicht anders. Diese Trennung mußte sein. Ach, die teuflischen Wechsel! Diese Schulden! — Der Traum ist aus. Mir blieb nur dieser letzte Schritt übrig. Verzeih' und vergiß! Dein ewig von Dir ge gangener Ernst." Und somit war das letzte Band zerschnitten, das ihn noch hätte zurückziehen können von seiner verzweiflungs vollen Tai. Nun ging er mit aufeinandergebissenen Lippen, aber mutig seinem Ende entgegen. Nun heiratete er die Reiche!