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^Das ist auch ihr täglicher Spaziergang nach Tisch.' — — Alles weitere überlasse ich dir. Und nun es ist nur noch eine kurze halbe Stunde bis dahin Iah uns diese verplaudern. Du hast mir noch nichts von dir und deinen Erlebnissen während der langen, lan gen Jahre erzählt. Du darfst mir nichts verschweigen — — jede Stunde aus deinem Leben, die du fern von mir warst, möchte ich kennen. Begreifst du das?" „Ich begreife es, Vater, und ich werde dir alles er zählen. Wenn es heute zusammenhanglos und verwor ren klingen sollte, so vergib ein Sturm wogt in meiner Brust " Und Georg erzählte und beantwortete alle Fragen so gut, wie es ihm seine Stimmung erlaubte. Plötzlich fuhr ein Wagen vor. „Sie sind es," sagte Helmbrecht sich erhevend. „Ich warte es garnicht ab, bis man mich zu Tisch ruft, sondern gehe sogleich hinüber. Bleibe noch eine Weile vier im Zimmer und zeige dich nicht vorzeitig. Sonst geht das trotzige Kind nicht in die Kirschenallee, und du triffst es nicht? „Ich treffe sie überall, Vater, ich werde sie suchen, bis ich sie gefunden habe. Mag sie sich in dem tiefsten Winkel vor mir verbergen ich lasse sie nicht." „Recht so, mein Sohn. Gott schütze dich bei deinem Vorhaben." „Williams ist unerwartet zurückgekehrt," sagte Helm brecht bei Tisch zu Frau und Tochter. Inge fuhr erschreckt auf, und Frau Helmbrecht fragte erstaunt, warum er seine Ankunft nicht mitgeteilt habe, sondern so überraschend gekommen sei. „Das hat eine eigene Bewandtnis, liebe Elisabeth," antwortete er, während es eigentümlich in seinem Gesicht zuckte. „Er hat seine Ankunft nicht genau vorausbestim- men können, deshalb kam er ohne Anmeldung und er weih er kommt jederzeit willkommen. Du glaubst nicht, wie ich mich freue, ihn wieder zu haben." „Ich kann es mir denken, Karl," erwiderte sie mit einem leichten Aufatmen. Die Hoffnung, dah der Trüb sinn nun wieder von ihrem Gatten weichen würde, stahl sich in ihr Herz. „Wirst du uns nun morgen nach Misdron begleiten nun du Williams hier zu deiner Vertretung hast?" „Nein morgen noch nicht aber ich folge euch bald." „Warum willst du noch bleiben?" Helmbrecht zögerte etwas und warf einen Blick auf die teilnahmslos dasitzende Inge. ,,Weil ich weil ich vorher noch eine Angelegen heit m Ordnung bringen möchte, die mir sehr am Herzen .liegt. Ich will euch mitteilen, was ich vorhabe, längst schon vorhatte: Ich nehme Williams als Mitinha ber in die Fabrik — er wird mein Nachfolger." Ein Schreckensruf unterbrach seine Worte. Inge hatte ihn ausgerufen. „Mein Kind, was ist dir?" fragte die Mutter be sorgt. Sie hatte sich schon wieder gefasst. " „Nichts Mutti, ich fühlte nur plötzlich meine alten Schmerzen wieder — — es geht schon vorüber." Sie lehnte sich wieder in ihren Stuhl zurück und schloh die Augen. Die Mahlzeit, von der sie nur wenige Bissen genossen hatte, war vorüber und der Nachtisch wurde gereicht. Inge dankte. Helmbrecht betrachtete sie verstohlen und nickte be friedigt. Er sprach trotz des Jammerbildes, das Inge bot, ruhig weiter, ja es klang manchmal etwas so Frohes, Glückliches durch seine Stimme, dah Frau Helmbrecht aus dem Staunen gar nicht herauskam. Was war denn mit ihrem Mann, der seit jener Schreckenszeit kaum ein mattes Lächeln gehabt hatte, geschehen? Der Nachtisch war beendet und die Familie erhob sich- Helmbrecht trat zu Inge und legte den Arm um sie. „Wirst du jetzt deinen gewohnten Spaziergang in Lea Garten macken?" tränte er. Rnsgermahen erstaunt sah Ange zu ihm auf. Er pflegte sich sonst nicht um ihre Spaziergänge zu küm mern. „Ja, Vater," erwiderte sie matt und tonlos. Er zog sie fester an sich. „Inge morgen geht es an den Ostseestrand und in ein neues Leben. Die Seeluft wird dich stärken, und die alte fröhliche Inge wird wieder erstehen." „Nie, Vater." „Du bist noch so jung, mein Kind, noch liegt das Leben offen vor dir und — auch das Glück." Sie schüttelte schmerzlich lächelnd den Kopf. „Ich alter Mann hoffe ja noch darauf, Kind. Denkst du denn gar nicht mehr an deinen Wahlspruch: „Es wird alles wieder gut?" „Er hat mich betrogen." Er schob sie sanft von sich. „Geb, mein Kind, geh in den Garten lerne von der Natur, wie alles wieder neu ersteht, was einen Winterschlaf halten muhte." Und Inge ging hinaus. Die Rosen und der Jasmin dufteten, ein sanftes Wehen umkoste ihre bleiche Stirn. Die schwarze Trauergestalt nahm sich wunderbar in all der blühenden Pracht ringsum aus. Inge sah nichts von dieser Pracht: ihre Gedanken waren quälend und beängstigend. Mr. Williams war zurückgekehrt um nie wieder zu gehen. Er trat in die Fabrik ein als ihres Vaters Teil haber — — er wurde dereinst sein Nachfolger. — — Also war sie gewissermahen dann von ihm abhängig: sie war gezwungen, mit ihm in Verbindung zu bleiben, er würde ihr Vermögen verwalten, ihr die Zinsen und den Gewinn auszahlen, vorrechnen sie muhte also seine Gegenwart bis ans Ende dulden. Es dünkte ihr unmöglich. Hoffentlich lag die Zeit noch fern, hoffentlich schenkte Gott ihrem Vater noch ein langes Leben, aber gleichviel er blieb in Bu chenau, auch jetzt schon. So muhte sie also fort. Eine Stellung auzuneh- men, geziemte ihr nicht. Sie war ja ganz plötzlich ein reiches Mädchen geworden. Ihr Vater hatte in den letz ten Tagen von einem Gewinn gesprochen, den die Erfin dung Mr. Williams ihm eingebracht, und der ihn mit einem Schlage zum reichen Mann gemacht hatte. Wäre doch der Reichtum früher gekommen, vielleicht hätte Hans dann nicht zum Verbrecher zu werden brauchen! Oder ob es in seinem Blute lag? Sie schauerte fröstelnd zusammen und suchte sich von diesen trübsinnigen Gedanken abzulenken. Sie hatte die Kirschenallee erreicht und blieb plötz lich still lauschend stehen. Eine Nachtigall sang ganz in ihrer Nähe ihre schmelzenden Töne, gerade wie damals am Vorabend ihres achtzehnten Geburtstages. Die Töne weckten eine süh schmerzliche Erinnerung in ihr: „Damals!" Wie fern das Damals lag! Die Zeiten waren vergangen und wie eine Greisin blickte sie auf eine glückliche Jugendzeit zurück. Doch was war das was lieh plötzlich das Blut in ihren Adern stocken? Eine Gestalt kam die Allee herauf — — immer näher — — jetzt eine Stimme ein mein Gott Sie prehte die Hand auf das Herz — vor ihren Augen schwindelte es. ? „Inge." ' Mit ausgebreiteten Armen eilte er auf sie zu er umfing die zarte Gestalt, die umzusinken drohte — er zog sie an sich und prehte sie an seine Brust. „Inge sühe, geliebte Inge." Willenlos — — ohne zu begreifen und zu ver stehen, ruhte sie an seiner Brust. Sie hatte nur ein Ge fühl, als wenn alles Leid, aller Kummer plötzlich wie eine Last von ihr abfielen, als wenn sie einen Schutz und sicheren Hort gegen jedes Erdenleid gesunden habe, als wenn hier an der Brust dieses Mannes ihr ein ziger Platz auf der Welt sei. ' .(Schluß folgt.)