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Ein Sonntagskind! Von I. v. Schilling. (Schluß.) - (Nachdruck verboten.) Der Abend sinkt. Der Mond webt silberne Schleier um die Weißen Birkenstämme, zwischen denen der Wagen dahinrollt. Kittys Plaudern und Lachen ist verstummt; dort hinter den Stämmen leuchtet es silbern, geheimnisvoll — der See!, Entlang den schilfbekränzten Ufern fährt jetzt das Gig, nur etwas langsamer. „Wie schön! — Wie wunderschön!" sagt Kitty ganz leise; ein tiefer Atemzug hebt ihre Brust. Weiße Nebel wogen über die Helle Silberfläche wie wehende Schleier tanzender Nymphen. Ganz still ist es ringsumher. „Sehen Sie, gnädiges Fräulein, dort drüben tanzen Erlkönigs Töchter ihren Reigen!" bricht Baron Rappa das Schweigen. Sie rückt ein ganz klein wenig an ihn heran, wie ein Kind, das sich fürchtet. „Ich weiß," flüstert sie leise, verträumt. „Die dort tanzen, das sind meine Paten — ich bin ja ein Sonn tagskind!" „Also eine Art Prinzessin mit einem unsichtbaren Krönchen über der Stirn! . . . ." „Vielleicht," sagt sie halblaut und ein schwermütiges Lächeln erhellt ihr Gesicht. Der Wagen biegt jetzt links ab, um den Waldweg wieder zu gewinnen. Die Grenze des Rappaschen Parkes schneidet hier ab. Durch ein zierlich geflochtenes Drahtgitter erblickt man wette Rasenplätze, von dunklen Bosketts unter brochen. Eine große Fontäne schleudert unablässig ihre glitzernde Wassergarbe in die mondhelle Luft und in der Ferne leuchten die weißen Mauern des Herrenhauses. Baron Rappa zeigt mit der Peitsche hinüber. „Es ist schön auf Rappa, nicht wahr? Nur ein wenig einsam für solch einen alten Herrn wie ich ... ." Kitty starrt noch immer auf den Park, auf das Schloß mit dem schlanken Turm, — alle ihre Träume werden wach! „Aber gerade diese Einsamkeit ist so schön!" sagt sie jetzt langsam mit dem Weichen Timbre ihrer Stimme. Da rollt der Wagen über einen Stein und Kitty tut einen ganz kleinen Angstschrei. Wie halttos lehnt sie das blonde Köpfchen an den starken Arm, der die Zügel lenkt. Baron Rappa fährt jetzt ganz langsam durch den mondhellen Abend. Ihm ist so seltsam zu Sinn, so froh, so lebensfreudig. Er fühlt sich so jung und so stark in seinem Schutz gefühl dem Mädchen gegenüber, dessen Kopf noch immer an seiner Schulter lehnt. Wie schön ist so eine Fahrt zu zweien! Wenn solch ein silbernes Lachen, solch scherzendes Plaudern den Weg verkürzt! Wie reizend ist das ihm zugekehrte Gesicht mit den halb geschlossenen Augen, dem kinderhaft Weichen Mund mit den roten, aufwärts gebogenen Lippen. Ist es nur ihr Haar, das so golden leuchtet über der Weißen Stirn, oder das unsichtbare Krönchen der Holden, von der sie gesprochen hat? „Fräulein Kitty!" Sie schlägt den Blick zu ihm auf, langsam, fragend. „Möchten Sie immer so fahren mit mir? Immer so Wetter durch den einsamen Abend meines Lebens? — Wollen Sie in meinem Garten blühen als erste und ein zige Rose.... Kitty?" Sie antwortet nicht, sie lächelt nur, ein Lächeln, das Herzen betört und vergangene Lenze erweckt. . . Das Glück steht neben ihr, lockend, lachend mit seiner Blütenlast, das große, ersehnte, unfaßbare Glück. Und sie hält es fest an den bunten, schimmernden Flügeln. Wal. Von Gerhard Schäke. (Nachdruck verboten.)' Als ich in die Stadt gehen wollte, sagte meine Frau: I „Du mußt mir unbedingt drei Meter Wal mitbringen." » Ich erwiderte, daß ich es gern tun würde, steckte mir Geld ! ein und ging. Unterwegs dachte ich: Wal? Was ist Wal? I Fragte in einem Zigarrengeschäft, wo ich seit Jahren > kaufe, was Wal sei. „Wal, Wal?" lächelte der Händler, „sehr einfach, das I ist das Fest, wenn jemand gewählt wird. Sie wissen doch: I Präsidentenwahl, Reichstagswahl und so weiter." Ich sagte „danke schön!" und ging. Dabei überlegte ich: Will meine Frau in den Reichs- I tag, daß sie Wahl braucht? Aber das kann man doch I schließlich nicht dreimeterweise kaufen? ; Ein früherer Kollege, Schubert, stieß mich an, wett ich ! ihn nicht erkannte: „Alter Freund," lachte er, „was guckst > du denn in den Mond?" (Er hatte nicht ganz recht, denn es war hoher Vor- ; mittag.) „Ich bin ein wenig nachdenklich," meinte ich, „weißt l du, was Wal ist?" Er sah mich dumm an, wirklich sehr dumm, und redete ; von Wahlversammlung, Wahlheirat, schloß sogar auf i mein Kopfschütteln hin auf die wahnwitzigsten Zusammen- I stellungen, sprach von Wal-d, Wal-ter, bis ich genug hatte. . Wir waren beide etwas wütend geworden. So ein « klein bißchen, das gerade noch ausreicht, um die geringsten I Höflichkeiten aufrechtzuerhalten. Wir beschlossen, gemein- I sam nach dem seltsamen Wal zu forschen. In einem ; kleinen Bierlokal fragten uns die Stammgäste, die wir in » unsere Sorgen eingeweiht hatten, ob wir vielleicht Wall l meinten, eine Erdbefestigung, oder Wall als Hindernis , bei Pferderennen, oder Walstatt, Walhalla Wir dankten, grüßten, gingen. Schubert drückte mir schweigend die Hand. Es war ! mittlerweile Mittag geworden, Schubert wollte, nach > Hause. Ich fragte in einem Papiergeschäft, was Wal sei. Oh, sagte ein jüngerer Verkäufer, er komme von dort, ! das sei der südliche Mündungsarm des Rheins. Ich sah ihn mißtrauisch an und fragte bescheiden: » „Können Sie mir drei Meter davon geben?" Der Verkäufer setzte eine eisige Miene auf (in jedem I Ladengeschäft unentgeltlich zu haben),-sagte „Mein Herr" ! und öffnete die Tür. Ich war nicht wenig schlecht gelaunt. Endlich, im Fenster einer Buchhandlung, las ich: I Abenteuer eines Walfängers. Ich in die Buchhandlung ; stürzen, den Verkäufer beiseitenehmen, das Buch durch- i blättern, Bilder und Beschreibungen überfliegen, bezahlen ! und wieder raus — das war ein Augenblick. Wal, Wal! Jetzt hatte ich's! Meine Frau wollte ! morgen Fische kochen, weil wir Gesellschaft bekommen. In der nächsten Fischhandlung verlangte ich Wal. ! Drei Meter lang vielleicht. Die Inhaberin bemühte sich ; selber um mich und bedauerte unendlich. (Oh, wenn ich > alle „unendlich bedauernden" Leute umbringen dürfte!) Ich nahm ein Auto, fuhr in die besten Fischhandlun- l gen, verlangte Wal, gleich welcher Größe, vielleicht zwei ! kleine oder einen halben großen. ! Nichts, nichts, keiner wollte mir Wal verkaufen. Ich gab's auf, fuhr heim. Meiner Frau erste Frage: „Hast du meinen Wal mit- ; gebracht?" „Nein, aber Pfannkuchen zum Kaffee." Dann erzählte ich ihr. Sie war sehr beleidigt, nannte « mich fürchterlich dumm und gab mir die Zeitung, deutete . auf ein Inserat und las mir vor: Voile — das Beste für > niedliche Damenblusen. Meter 2 Mark.