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Johanna antwortete nicht. Aber am nächsten Tage, als Dorli gerade Blumen in der Vase ordnete, kam Johanna in ihrem weißen Leinenkittel und rief sie. »Komm doch," sagte sie gleichmütig und hatte keine Zeit, noch auf Antwort zu warten. Dorli ging nach oben. Sie wußte, daß nun der Schwager dort war. Aber feige erscheinen wollte sie auch nicht. Sie hatte außerdem eine viel zu große Neugierde nach feinen Froschexperimenten. Er stand über einen Tisch geneigt und sah kaum auf, als sie kam. überall standen Glasröhrchen und Behälter. Es roch nach Äther. Er nickte ihr kurz zu und sah ein wenig über die Schulter. „Kommst du als Vertreter des Tierschutzver eins?" Aber dann tat es ihm leid, daß er das gesagt hatte, und er zeigte ihr die Frösche. Es waren gewöhn liche große, braune Wiesenfrösche, die auf feuchtem Moos breit und häßlich zusammenkauerten. Aber der Schwager schien sich an keiner Häßlichkeit zu stoßen. Mit fast liebe vollen Händen griff er einen heraus und hielt ihn Dorli hin. „Ich habe sie gestern geschickt bekommen," erzählte er. „Man sollte meinen, daßein einfacher Grasfrosch nicht so teuer bezahlt werden muß, wenn man ihn braucht! Ich glaube, di« Leute machen ein gutes Geschäft damit." Dorli sah, wie dem Tier das Herz klopfte. „Tut Ihnen das nun gar nicht leid?" fragte sie vor- tourfsvoll. Er sah sie erstaunt an. „Für die Wissenschaft? Nein, Dorli, das tut mir nicht leid. Es muß eben sein. Oder würdest du das besser finden, wenn wir mit Menschen experimentierten? Etwa mit Verbrechern oder so?" Er ließ das widerwärtige Froschtier von einer Hand in di« andere gleiten und hatte nicht den geringsten Ekel davor. „Vielleicht tut mir das doch leid. Ich Weitz nicht. Aber es ist ja ein schneller Tod. Und hier im Glas haben sie es gar nicht so schlecht. Sie wissen es ja nicht," setzte er lächelnd hinzu. „Es ist nachher nur ein schneller Stich ins Genick." Dorli sah seine große ruhige Hand an und hatte plötzlich das Gefühl: nein, es tut nicht weh, wenn diese ruhige Hand einem sachgemäß ins Genick sticht. Sie mußte immer wieder auf die Hand sehen. Da fühlte sie, daß er sie ansah. Sie wurde dunkelrot vor Schreck und Verlegenheit. „Du bist auch zu schnell gewachsen," stellte er sachlich fest. „Das ist nichts mit euch Mädchen in diesem Alter —" Mit einer ungeduldigen Bewegung warf er den breiten Frosch in seinen Behälter zurück, wo er sich flach aufs Moos preßte. „Ich glaube, wenn du es mit ansehen solltest, würdest du einfach glattweg ohnmächtig," sagte er achselzuckend. »Ich hätte es dir sonst gern gezeigt." Dorli warf den Kopf auf. „Glauben Sie wegen der paar toten Frösche? Dann kennen Sie mich schlecht!" Er lachte. „Wie sollte ich meine kleine Schwägerin auch wchl kennenlernen — wenn sie mir so ostentativ aus dem Wege läuft?" . Dorli wurde verlegen. „Hätte ich das getan?" Sie wollte eigentlich noch viel mehr sagen, aber als sie seine grauen Augen auf sich fühlte, verwirrte sie sich und wußte plötzlich nichts mehr zu sagen. Sie ging schweigend neben ihm her und ließ sich alles erklären, was er ihr zeigte. Daß er die lebenden Froschherzchen im Glasrohr weiterschlagen ließ, um ein l neues Narkotikum daran auszuprobieren, daß er die I Weißen Mäuse impfte und Ratten Gehirnpartien heraus- > nahm, war ihr unfaßbar. Sie mußte sich widerwillig ein- > gestehen, daß sie Achtung vor seinem Können bekam. Johanna saß an ihrem Tisch und ließ sich durch nichts ! stören. Sie hätte sich nie die Zeit genommen, der Schwester j etwas zu zeigen und zu erklären. Solange sie dies kleine > Laboratorium hatte, war sie noch nie auf den Gedanken gekommen, Dorli mit hinaufzunehmen. Sie trug den Schlüssel dazu in der Tasche und niemand durfte außer I ihr hinein. Da war der Schwager doch großherziger! „Wir bekommen jetzt einen Kater," sagte sie von ' ihrem Tisch her, ohne aufzublicken. „Er wird mit 5 I serve gefüttert^ die wir im Verdacht haben, daß sie gesu..^- I heitsschädlich wirkt." Dorli sah ganz erschrocken aus. „Und wenn — ?" Johanna zuckte die Achseln. „Dann geht er natürlich l ein." „Ach," sagte Dorli betroffen. „Was ist es für ein » Kater?" ' ! Doktor Fromm lachte. „Ein ganz gewöhnlicher. Schwarzer." „Woher habt ihr den?" , „Der Portier vom Stadtkrankenhaus hat ihn mir I besorgt. Kater ist Kater — warum fragst du danach?" „Und nur die Konserven soll er fressen? Nichts I anderes? Ach, der arme Kater." „Du kannst ja immer kommen und ihn betreuen," I lächelte der Schwager und schob Dorli ohne viel Um- l stände zur Tür hinaus. „Aber jetzt müssen wir an die l Arbeit, was,' Johanna? Unsere freie Zeit ist knapp." So hielt denn der schwarze Konservenkater seinen feier- ! lichen Einzug in das Haus. Freudig begrüßt von Johanna I und Konrad Fromm — aber tief bemitleidet von Dorli, die I ihn am liebsten für sich genommen hätte. Es war ein , prächtiger schwarzer Kater, der sich in dem kleinen Käfig ! wenig wohl fühlte. Er saß wie ein echtes Raubtier mit i zurückgelegten Ohren in der dunkelsten Ecke und- seine j Augen leuchteten falsch und grün. „Schade," seufzte Dorli mit einem ergebenen Blick ! auf die Reihe der verdächtigen Konserven, die der arme I Kater nun so nach und nach verspeisen sollte. Ein paar Tage sah sie es aber ruhig an und be- ; schränkte sich darauf, den armen Kerl wenigstens so ost « wie möglich zu besuchen. Aber als Johanna eines Tages I bei Disch erzählte, daß es den Anschein habe, als ob es , dem Kater jetzt anfange, schlecht zu bekommen, brach sich ; ihre ganze Empörung Bahn. „Das ist eine bodenlose Gemeinheit!" rief sie entrüstet i und verstummte doch im selben Augenblick vor Konrad j Fromms kalt-erstauntem Blick. „Was sagtest du?" fragte Konrad freundlich, aber , Dorli sah an seinem Mund, daß er es wohl verstanden > hatte. „Ich finde, es ist eine Tierquälerei —," versuchte sie « noch einmal schüchtern, aber Johanna wies sie mit einem ' kurzen „das verstehst du nicht" in ihre Grenzen zurück, i Dorli aber gab den Kamps noch nicht so leicht auf. Sie ging ins Laboratorium. Fromm war allein dort. > Einen Augenblick stand sie ratlos in der Tür und ! hoffte, daß er sie sehen möchte und wenigstens fragen, l warum sie hier sei. Aber er sah sie nicht und fragte auch j nicht. Er saß über die Glasplatte seines Experimentier- » tisches geneigt und hantierte mit einer feinen Nickelpinzette. ! „Ich bin hier," sing Dorli schüchtern an. Er sah sich nicht um. „Ich hörte dich kommen," sagte I er und das klang nicht anders, als ob einer sagt: es regnet j draußen oder: die Gemüsefrau ist da. Gleichgültiger > konnte es überhaupt nicht klingen. Dorli ärgerte sich, daß sie das empfand. Hatte sie i etwa erwartet, daß er aufspringen würde und entzückt aus- ' rufen: wie reizend — du bist hier, liebe Dorli? Seppl » freilich hätte es wohl getan. Wie sprang der hoch, wenn > man in sein Atelier kam! Und gleich hatte er einem I tausend Neuigkeiten zu erzählen und Bilder zu zeigen und j Entwürfe zu besprechen. Ja, mit Seppl war es schon > eine andere Sache. „Was machst du eigentlich mit der Pinzette?" fragte I sie, eigentlich nur um etwas zu sagen. Da sah er sich langsam um. „Du?" Er lächelte etwas. „Siehst du, Dorli — es I geht also auch mit,Du'!" „Schwer genug ist es mir aber auch geworden!" gab ! Dorli kleinlaut zu. „Aber nun würde ich es vielleicht ! immer bei dem Du lassen — aber — wenn —" (Fortsetzung folgt.) ' sung, nen g rung!