Volltext Seite (XML)
Saerspruch. Bemeßt den Schritt! Bemeßt den Schwung! Die Erde bleibt noch lange jung! Dort fällt ein Korn, das stirbt und ruht. Die Ruh ist süß. Es hat es gut. Hier eins, das durch die Scholle bricht. Es hat es gut. Süß ist das Licht. Und keines fällt auf dieser Welt, Und jedes fällt, wie s Eott gefällt. E. F. Meyer. Ein kleines Mißverständnis. Humoreske von Richard Hanns Hoffmann. (Nachdruck verboten.) Herr Rentier Leber, früherer Fleischermeister, ging mit wütenden Schritten im Zimmer auf und ab. — Seine Toch ter Annchen saß am Fenster, hochrot vor Aufregung, und stickte so eifrig, als sollte sie sich damit ihr Brot verdienen, und in der Mitte des Zimmers stand Herr Winter, ein Bild der tödlichsten Verlegenheit. „Sie wollen also meine Tochter heiraten?" fing Herr Leber endlich etwas ironisch an. „Ich muß gestehen, ich finde Ihr Betragen sehr sonderbar! Sie haben meine Toch ter bei einer Hochzeit kennengelernt und hinter meinem Rücken mit ihr Briefe gewechselt! Heute unterstehen Sie sich sogar, während meiner Abwesenheit in meine Woh nung einzudringen, und als ich unerwartet eintrete und Sie frage, was Sie wollen, kommen Sie mit einem Hei ratsantrag — was sind Sie denn eigentlich?" „Ich bin Schriftsteller," stotterte der junge Mann, „ich schreibe Romane." „Schriftsteller!" sagte verächtlich Herr Leber. „Wissen Sie, als Nebenbeschäftigung ist das ganz nett und besser als Skat spielen und unsinnig viel Vier trinken, aber für einen anständigen Menschen ist es doch ein jammervolles Dasein, nichts weiter zu tun, als verliebten Unsinn zu schreiben, der höchstens als Einwickelpapier zu gebrauchen ist. Wie ich noch mein Geschäft hatte, da habe ich manch mal Zeug gelesen, daß ich mich genierte, ein appetitliches Stück Wurst hineinzupacken! Sie denken wahrscheinlich, weil ich für einen wohlhabenden Mann gelte, ein paar Häuser habe und Annchen mein einziges Kind ist, Sie könnten sich sozusagen Hineinsetzen und von meinem Fette zehren, da sind Sie aber doch schief gewickelt! Kind, weine nicht, du weißt, ich kann das nicht vertragen; so einem Federfuchser gebe ich dich nicht, du kannst ganz andere Par tien machen!" Jetzt schwieg Herr Leber und sah bedeutungsvoll nach der Tür. Jndeß, Herr Winter fand es für passend, den lei sen Wink zu übersehen: ein deutscher Mann wirft die Flinte nicht gleich ins Korn. „Herr Leber," begann er, „Sie denken sehr gering von meinem Berufe und von mir, jedoch, Sie können sich dar auf verlassen, wenn meine Tante Ursula " „Gewiß, eine sehr würdige Dame," unterbrach ihn Herr Leber, „aber die kann meinem Annchen nichts nützen." „Oder mein Erbonkel " „Oho, Erbonkel, das läßt sich hören; der Herr Winter gefällt dir wohl, Annchen?" „Oder meine Familiendiamanten " „Donnerwetter, die hätte ich Ihnen gar nicht angesehen. — Na, Kind, ich habe ja kein Herz von Stein!" „Oder meine Million Mark " „Eine Million.Mark. — Kinder, was machen wir noch lange Redensarten, da habt Ihr Euch und seid glücklich!" Augenblicklich lagen sich die beiden Liebenden in Len Armen; bald umarmlen sie den Vater, bald wieder sich und hatten einander so viel zu erzählen, daß Herr Leber die Pause benutzte, um ein paar Flaschen Wein aus dem Keller zu holen. Da saßen sie nun alle drei und waren kreuz- vergnügt, ja, Herr Leber machte mit seinem künftigen Schwiegersöhne sogar Brüderschaft und versicherte ihm mehrmals: so und nicht anders hätte er sich stets den Mann seines Annchens vorgestellt. Nachdem sich die Aufregung etwas gelegt hatte, brachte Herr Leber als praktischer Geschäftsmann die häuslichen Angelegenheiten zur Sprache. „Ihr wosnUtkrli^^meinem AauseHs lasse ich mir nicht nehpren, und ich werde mich auch sonst nicht lum pig machen, wenn es der Herr Schwiegersohn nicht Uebel, nimmt und auf meine bescheidenen Mittel geringschätzig herabsieht." Herr Winter machte ein erstauntes Gesicht und ver sicherte dem Schwiegervater in spe, daß er schon jetzt die größte Hochachtung vor seinem Gelds hätte. „Die Hochzeit muß bald sein," entschied Herr Leber. Auch dagegen hatte Herr Winter nichts einzuwenden. „Aus einer langen Brautzeit kommt nie was Gescheites heraus! Wo ist denn deine Tante Ursula?" „In Leipzig, bei Adolf Stern." „Wer ist denn das?" „Verlagsbuchhändler." „So, so — und der Erbonkel, wo steckt denn der? Zur Hochzeit müßen wir ihn doch da haben?" „In Hamburg, bei Hansen und Söhne." „Wohl ein Bankhaus? Ja, ja, wer so an der Quell« sitzt, der kann was durchs Spekulieren verdienen." „Nein, das ist eine berühmte Buchhandlungsfirma." „Ja, richtig. Na, wo sind denn die Familiendiamanten aufgehoben?" > „In München." „Das ist. recht — gewiß bei einem Juwelier?" „Nein, ich habe sie einem Buchhändler übergeben." „Einem Buchhändler? — Das ist ja merkwürdig, und die Million? Doch nicht etwa in Rußland angelegt?" (Herr Leber las jeden Morgen sehr aufmerksam den Kurs- zettel, obgleich er sein Vermögen nur in Häusern und ersten Hypotheken angelegt hatte.) „O nein," sagte Herr Hinter arglos, „dort hätte man wohl keine Verwendung dafür." „In Rußland keine Verwendung für eine Million?" Herr Leber wollte das bezweifeln. „Die liegt jetzt noch ruhig in meinem Tischkasten, aber ehe ich den „Giftmord" ausführe, werde ich sie wohl nach Berlin senden." Jetzt wurde es Herrn Leber aber doch zu toll. „Mensch," schrie er und sprang vom Stuhle auf, „wen willst Lu ver giften, deinen Erbonkel, die Tante Ursula oder mich, oder was soll dein Gewäsch bedeuten?" „Aber Vater," nahm jetzt Annchen zum ersten Mal Las Wort, „der „Erbonkel" und der „Giftmord" sind doch die Titel von Romanen, die Ernst geschrieben hat. — Ach. Ernst, wenn wir verheiratet sind, mußt du sie mir alle vorlesen — das wird himmlisch! — Das habe ich gleich verstanden, daß er damit Bücher meint," schloß sie ihre Rede und sah mit überlegenem Lächeln ihren Vater an — ein neuer Beweis, daß das Ei stets klüger als die Henne ist. Herr Leber war vernichtet. „Du hast also keine Tante und keinen Erbonkel und auch gar keinen Familienschmuck?" rief er empört. „Bewahre," lachte Herr Winter, „mein Vater war Dorf schullehrer — wie käme ich zu so etwas?" „Du hast auch keine Million Mark?" fragte kleinlaut Herr Leber. „Nicht so viel Pfennige, wenn es dich beruhigt, Echwie- gerpapa!" „Wie kamst du denn darauf, mir so etwas vorzuflun kern?" „Das habe ich durchaus nicht getan; ich wollte sagen: meine „Familiendiamanten", meine „Million Mark" wird mir, wenn ich einen Verleger finde, sicher noch Ehre und Geld einbringen. Du ließest mich aber gar nicht ausrede» und fielst mir gleich um den Hals." „Winter," sagte Herr Leber nach einer Pause, die den Liebenden endlos vorkam, „ein Mann, ein Wort: was ich gesagt habe, nehme ich nicht wieder zurück. Aber ich habe eine Bedingung, einen Beruf mußt du ergreifen. Wie wäre es, wenn ich dir eine Leihbibliothek kaufte? Da kannst du den ganzen Tag mit Büchern herumhantieren und nach Herzenslust Romane lesen, di« andere Leute ge schrieben haben. Findest du dann nach ein paar Jahren, daß die Welt deine „Tante Ursula" und deinen „Giftmord" nicht entbehren kann, so wollen wir sie drucken laßen — darauf soll es mir nicht ankommen; denkst du aber selbst, daß es genug derartiges Zeug in der Welt gibt — dann hebe sie zum Andenken für deine Nachkommen auf!"