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Was war das? Es war ihm vorgekommen wie der scheue Tritt eines Menschen, der ihn belauerte, der Bö ses gegen ihn im Schilde führte! Aber weshalb? Was hatte er hier jemand zu Leide getan, er, der Fremdet Oder hatte er sich nur getäuscht? War es ein fal lendes Blatt gewesen, oder der Wind, der durch die blühenden Johannisbeersträucher fuhr? Helmbrecht sah nach des Ingenieurs Fortgehen wie- oer einsam in seinem Zimmer. Er hatte den Kopf in die Hand gestützt, und seine glanzlosen Augen richteten sich in unbestimmte Fernen. Seine Gedanken aber weilten ebenfalls bei dem neuen Ingenieur. Ob er dessen An kunft als ein Glück betrachten durfte? Ob er von ihm tatkräftige Stütze, Hilfe und Nat erwarten konnte? — Der Kommerzienrat gehörte nicht zu denen, die schnell Vertrauen schenken. Doch als der Amerikaner ihm gegen übersah, als er zu ihm sprach, als er alle seine Fragen so sachlich und klar beantwortete, da war es ihm ge wesen, als wenn eine Hand liebkosend über sein Haar ge strichen und als wenn Inges liebe Stimme in gewohn ter Weise zu ihm gesprochen hätte: „Es wird noch alles gut, Väterchen; sei ruhig." Und eine wohltuende Ruhe zog in sein Gemüt. Unter dem Bann dieses befriedigenden Gefühls stand er noch, als einige Zeit darauf die Mittagsmahlzeit die ganze Familie in dem Gartenzimmer versammelte. Helm brecht hatte den Ame 'taner gebeten, sein East zu sein, und Mr. Williams hatte mit Dank angenommen. Helmbrechts Laune war so gut, wie lange nicht; er sprach anregend und mit Interesse. Darum fiel es ihm nicht auf, dah Inge ziemlich schweigsam war. Sie wies alle sichtlichen Bemühungen des Ameri kaners, seine vorherige neckende Anspielung wieder gutzu machen, kurz ab. Sie konnte die „seltsamen Käfer" noch nicht vergessen. „Abscheulicher Mensch!" Ob Mr. Williams ahnte, welche für ihn schmeichel haften Gedanken sich hinter den seelenvollen Augen ver bargen? Man merkte es ihm nicht an. Er zeigte sich gewandt und bewies durch seine Formen, dah er drüben in Amerika gewohnt war, unter den Besten der Gesell schaft zu verkehren. 2. Mehrere Wochen waren vergangen. Mr. Williams waltete seines schwierigen, verantwor tungsvollen Amtes mit nimmermüder Kraft und Aus dauer. Aber seinen Plänen und Absichten legten sich be deutende Schwierigkeiten in den Weg, auf die er nicht gefaht gewesen war. Mit Schrecken wurde er gewahr, dah er vorderhand nichts anderes tun konnte, als für seine eigene Person Terrain und Anerkennung zu gewin nen, ja, auch nur seinen Platz zu behaupten. Der Zustand und Ton, der in der Fabrik unter den Arbeitern herrschte, war ein geradezu beispielloser. Unglaubliche Trägheit, Unzufriedenheit und Disziplin losigkeit, das waren die Eigenschaften, die das gesamte Personal kennzeichneten. Der neue Oberingenieur stich denn auch auf alle Ari Widerstand. Seine Anordnungen und Mahregeln wurden in den Wind geschlagen; seinen Befehlen hohn- lachte man, wenn man nicht gerade in der Stimmung war, sie auszuführen. Jeden anderen würde dieser Zustand zur Verzweif- lung und Fahnenflucht getrieben haben. Williams aber stand auf seinem Posten wie ein starker Baum, den kein Sturm zu brechen vermag. Er bih die Zähne zusammen und ballte die Fäuste vor Ingrimm: „Und ich zwinge es dennoch ich muh es zwin gen. Biegen oder Brechen." Auf seinen Zügen stand dieser eiserne Wille ge schrieben. Eines Tages herrschte grobe Aufregung in der Fa brik. Der Oberingenieur hatte einigen widerspenstigen Arbeitern den Laufpah gegeben, und diese waren auf eine Beschwerde bei ihrem blinden Herrn hin abschlägig beschieden worden. „Jeder hätte sich den Anordnungen seines Oberingenieurs zu fügen." batte Helmbrecht ihnen geantwortet. Zähneknirschend und wutschnaubend muhten die Ar« Leiter auf diesen Ausspruch hin die Fabrik verlassen. Aber sie schwuren dem Amerikaner Hah und Rache. Und es zeigte sich bald, was sie im Schilde führten. Die gute Wirkung, die die Entlassung der Kamera den auf die übrigen Arbeiter ausgeübt hatte, blieb zwar äuherlich bestehen. Man nahm sich mehr zusammen, und die Sache schien jetzt wirklich in ebenere Bahnen gelenkt zu sein. Doch innerlich gärte es in den Gemütern. Die Entlassenen liehen keine Gelegenheit vorübergshen, dieses Feuer zu schüren. Die Saat trieb gute Früchte, und wenn sie auch noch immer vor dem Aeuhersten zurück- schreckten, so erfolgte der Ausbruch doch noch eher, als anfangs beabsichtigt und erwartet worden war. Als Williams eines M—^ens die Fabrikräume be trat, waren sie leer. Kein Arbeiter war an seinem Platze. Ehe er sich von seiner Ueberraschung erholt hatte, drang von drauhen her ein Geräusch wie von zahlreichen durcheinander redenden Stimmen an sein Ohr. Er trat an das Fenster und sah sämtliche Arbeiter auf dem Fa brikhof stehen, eifrig sprechend und gestikulierend. Alle drängten sich um einen jungen Menschen, der hier eine Respektsperson sein muhte, denn auf ein Zeichen von ihm wurden die übrigen ruhig und lauschten seinen Worten. Williams konnte sie nicht verstehen; er beschloh aber, hinunterzugehen und zu sehen, was es gäbe. Furchtlos trat er auf den Fabrikhof. Ein wildes Gejohle empfing ihn, aber der junge Mensch gebot Ruhe. „Was geht hier vor? Warum seid ihr nicht an eurem Platz bei der Arbeit?" rief Williams jetzt mit lauter Stimme. Wieder wollte sich ein Tumult erheben und wieder wurde er von dem jungen Menschen unterdrückt. Dieser letztere trat jetzt mit zwei anderen Arbei tern — jedenfalls die Deputierten — vor Williams hin, ohne die Mütze abzunehmen. Williams mah den jungen Burschen mit einem schar fen, durchdringenden Blick. Er kannte ihn wohl, diesen jungen widerspenstigen Menschen, der ihn schon am ersten Tage seiner Ankunft eine merkwürdige Begrühung hatte zuteil werden lassen. Inzwischen hatte er ihm schon mehrere Male wegen sei ner Widersetzlichkeit den Tert lesen und mit Entlassung drohen müssen. „Was wollt ihr und welchen Zweck hat diese ganze Komödie?" fragte er noch einmal. Franz Lindens haherfüllte Augen richteten sich jetzt auf den Amerikaner. „Wir stellen unsere Arbeit ein, falls uns nicht ge währt wird, was wir verlangen," antwortete Franz Lin den frech und kühn. „So? Und was verlangt ihr?" fragte Williams ruhig, ohne sich von seinem Platz zu rühren. Ein hönisches Lächeln flog um des Burschen Mund. „Wir wollen Ihre Entlassung!" Wenn der Monteur erMrtet hatte, der Amerikaner würde bei dieser Forderung »schrecken, zum mindesten er bleichen, so sah er sich getäuscht. Kein Wimper zuckte; kein Farbenwechsel verriet, dah ihn dieser Ausspruch auch nur im entferntesten errege. „Sonst nichts?" fragte er so ruhig und gelassen, als ginge ihn persönlich die ganze Geschichte nichts an. „Wir haben alle geschworen," fuhr Franz Linden fort, „nicht eher einen Finger bei der Arbeit zu rühren, bis Sie entlassen sind. Wir wollen einen Deutschen und brauchen keinen Fremden über uns zu dulden," rief er leidenschaftlich, während die beiden anderen Deputierten dazu beistimmend mit dem Kopfe nickten. Ein eigentümliches Lächeln flog den Bruchteil einer Sekunde über Williams Züge. Dann entgegnete er ernst: „Euer Patriotismus kommt auf eine sehr seltsame Art zutage." „Wir wollen uns nicht weiter so schinden lassen, wie in der Zeit, da Sie hier sind." „Hm," machte Williams und strich nachdenklich den Bart. (Fortsetzung folgt.)