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Schwärmerei. Schwärmerei! man sagt's und dünkt sich So beruhigt-groß dabei. Aber glaubt: Kein Adler schwingt sich Lichtwärts ohne Schwärmerei — Und kein Sprechen und kein Streben, Nur ein schaurig Einerlei, Keine Freude, ja, kein Leben Cäb' es ohne Schwärmerei. Ernst v. F e u ch t e r s l e b e n. Im -linden Eifer. Humoreske von Franz Holler. ^Nachdruck verboten.) Die ganzen Zeitungen hatten spaltenlange Artikel über den neuesten Fall verwegener Hochstapelei veröffentlicht und die Kriminalpolizei der verschiedenen Länder war eifrig bemüht, den dreisten Schwindler dingfest zu machen. Aber immer wenn man glaubte, ihm auf die Spur gekom men zu sein, war er im letzten Augenblick verschwunden und hatte auf diese Weise schon mehrfach die Beamten an der Nase herumgesührt. Auch die Reifenden unterhielten sich über diesen „Fall" eifrig und man debattierte über die Möglichkeit der Festnahme des Gauners. So fasten auch in eistem Abteil der ersten Klaffe des D-Zuges, der von Han nover nach Berlin fuhr, zwei Herren, die beide den besseren Gesellschaftskreisen anzugehören schienen. Der eine war in seiner etwas protzigen übermodernen Kleidung der Typ eines erst in jüngster Zeit wohlhabend gewordenen Ge schäftsmannes, während der andere mehr nach einem Bör senmakler aussah. Sie kamen bald miteinander ins Gespräch, sprachen viel von Volkswirtschaft, holländischen Gulden, Dollaran leihen und ähnlichem und rückten einander immer näher. Dem Schaffner, der die Fahrkarten nachsehen kam, drückte der eine eine Schachtel Zigaretten in die Hand, während der andere ihm ein paar ansehnliche „dicke" Zigarren über reichte und ihm zu verstehen gab, dah sie gern allein blie ben. Trotz der reichen Spende liest der Schaffner kurz vor Abgang des Zuges noch einen dritten Fahrgast einsteigen und flüsterte den beiden, als der Eindringling einen Augen blick in den Korridor hinausgetreten war, heimlich zu: „Vorsicht, meine Herren, das ist Herr Inspektor S. von un serem Betrieb, der sich auf einer Inspektionsreise befindet." Indes, die beiden Fahrkarten der Herren waren in bester Ordnung, und als der wieder zurückgekehrte Inspek tor sich in die Lektüre seiner Zeitung vertiefte, störte nie mand die Ruhe des Abteils. Die beiden flüsterten immer leiser, schienen sich immer bester zu verstehen. Bald traten auch große Notizblocks in Aktion, Füllfederhalter wurden gezückt, abgetrennte Blätter wurden ausgetauscht. Der Inspektor las unbekümmert weiter. Kurz vor der Kreuzungsstation verließ der Geschäfts mann das Abteil. Der andere warf ihm einen hastigen Blick nach und näherte sich dem Inspektor. „Ich bin Kri minalbeamter!" sagte er mit fliegendem Atem. „Hier meine Legitimation. Der Mann, der soeben das Abteil verließ — ich bin einer großangelegten Sache auf der Spur —, ging mir glatt auf den Leim — bestellt seine Komplizen tele graphisch nach B. — Ich kann nicht zum Telegraphen — der Hochstapler würde Argwohn schöpfen — die Pflicht jedes Beamten — die Behörden unterstützen — würden Sie dieses Telegramm für mich aufgeben, Herr Inspektor? Ich bestelle meine Leute nach den Bahnhof in B." Der Inspektor warf einen Blick auf den Zettel. „Deckworte natürlich!" lächelte der Kriminalbeamte. „Sehr gern!" sagte der Inspektor. Er stieg, als die Station ausgerufen wurde, aus dem Abteil. Bei der Abfertigung kam er, da er breite Schultern besaß und sich energisch vordrängte, direkt hinter den Ge schäftsmann zu stehen. So konnte er auch einige Worte ausfangen, die sein Vormann zu den Beamten und in den Schalter hinein flüsterte. Ein leises Lächeln umspielten die Lippen des Inspektors. Als er den Zug wieder bestieg, nahm der Kriminal beamte keinerlei Notiz von ihm, begreiflich! Das gehört Zu den elementarsten Regeln des Metiers. Indes schien auch der Inspektor jeder Lage gewachsen, er bückte sich, nahm ein fingiertes Etwas vom Boden auf und drückte mit einem: „Dieser Zettel ist ihnen entfallen, mein Herr!" das Rezepisse dem beglückten Kriminalbeamten in d^e Hand. Die Situation blieb unverändert die gleiche. Der In spektor las ruhig seine Zeitung weiter, die beiden anderen flüsterten miteinander, steckten Lie Köpfe zusammen, tauschten Berechnungen und Zettel. . „B. Alles Aussteigen!" Ter Schaffner riß die Tür auf, der Inspektor nahm eine große, schon recht abgeschabte Handtasche aus dem Netz, rückte abschiednehmend an der Reisemütze und verließ das Abteil. Auf dem Bahnsteig verhielt er sich etwas, sah scharf nach dem verlassenen Abteil herüber. Vier „Herren", denen man auf hundert Schritt die verkleideten Polizisten ansah, steuerten quer durch die Aussteigenden. Don rechts her schimmerten die Tschakos dreier anderer Jünger der heiligen Hcrmandad. Der Inspektor lächelte zufrieden, ver ließ den Bahnsteig durch das Dienstzimmer, das sich ihm. nach Vorweisung der Legitimation, ehrfurchtsvoll öffnete und bestieg vor dem Bahnhof ein neues Merzedes-Auto. Inzwischen trödelten die beiden Zurückdleibenden ganz unverantwortlich lange. Cie knipsen ihre Handtaschen auf und zu, suchten auf den Polstern nach vergessenen Klei nigkeiten und belauerten einander fcharf übers Eck. End lich mußten sie sich dennoch entschließen, auszusteigen. „Bitte, nach Ihnen!" „Nach Ihnen, bitte!" Keiner wollte den Anfang machen, und die Situation war schon recht gespannt, als der erste der Verkleideten das Abteil betrat. Der Geschäftsmann atmete hörbar auf. „Verhaften Sie den Mann hier!" sagte er mit Auto rität. „Hochstapler M., Feine Nummer!" „Ich?" „Der Kriminalbeamte rang nach Atem. Er zog seine Legitimation aus der Tasche, die mit einem Hohngelächter empfangen wurde. O, man war gut informiert im Polizei präsidium! Hochstapler M., eine große Nummer, fuhr stets mit gefälschten Papieren. Diesmal — man wußte es ge nau — sollte er sogar in amtlicher Eigenschaft reisen! Die Legitimation des Kriminalbeamten war nun ein Beweis mehr gegen ihn. Er wurde in die Mitte genommen und nicht eben sanft gegen den Ausgang gestoßen. „Halt!" Der Ausgang war. durch uniformierte Polizisten ge sperrt. Neben ihnen stand, ganz durchdrungen von seiner Wichtigkeit, der Schaffner des Zuges. „Ach, Ihr habt den Vogel?" fragte der Wachthabende enttäuscht. Er warf einen Blick auf den Kriminalbeamten, der gefesselt, beschmutzt, mit schief aufgestülpter Reifemütze, einem Schwerverbrecher ähnlich sah wie ein Ei dem ander. „Ach nein!" Ein erleichtertes Aufatmen. „Wir suchen den Hochstapler M.!" Die vier verkleideten und der Häft ling durchschritten die Sperre, der Geschäftsmann wollte ihnen folgen. „Dies ist der Herr!" zischelte der Schaffner aufgeregt. In der Tat — das telegraphisch gegebene Signalement, welches der Inspektor so hilfsbereit vermittelt hatte, paßte haarscharf auf den Geschäftsmann. Vergeblich berief sich dieser darauf, daß er selbst Kriminalbeamter und in be sonderer Mission entsendet, daß der Häftling der vier Ver kleideten auf feine, des Geschäftsmannes Veranlassung dingfest gemacht worden sei. Auch die Legitimation, die der Verdächtige vorzeigte, löste nur ein wohliges Grinsen des Wachhabenden aus. Hochstapler M., ein schwerer Zunge, reiste ja stets mit gefälschten Papieren — man hatte seine Information auf dem Polizeipräsidium! Diesmal sollte er gar — der Gipfel der Frechheit — „amtlich" kommen! Der Geschäftsmann wurde trotz seines Protestes ge fesselt fortgcführt. Inzwischen tauschte der Inspektor im Auto die Kleider, ließ den Chauffeur halten und ergriff selbst das Steuer. Auch ohne Äutobrille und Pelz sah man ihm den Sportsmann auf hundert Schritte an, auch lau teten die Papiers diesmal auf den Fabrikbesitzer so und so. „Nette Sache heute!" sagte er zu dem Fahrer an seiner Seite. „Wurde verpfiffen — sogar meinen Namen wußten die Greifer bereits — man schickte ihrer zwei — zum Glück aus verschiedenen Refforts — kannten einander nicht — und Fritz, halten Sie den Atem an, damit Sie nicht vom Stengel fallen — die Greifer lockten sich gegenseitig an — verhaftete dann einer den anderen — zum Schreien komisch, nicht? Na heute abend kommen wir sicher über die Grenze, und dann? — Paffen Sie Achtung, Fritz! Der BahnhoL"