Volltext Seite (XML)
hinterher als unmöglich verwerfen mutzte: denn allem fehlte das Wichtigste: die Zustimmung des Oheims. Don Robert kam zuweilen Nachricht Er schrieb an Tante Sabine und legte einen Brief an Senta bei Unten ging jeder Brief durch Fräulein von Ruperts Hönde, und sie hatte sich dieser gegenüber stets über den Absender aus zuweisen, was peinlich und demütigend war. Tante Sabine sowohl wie Senta begrüßten diese Briefe stets mit Freude. Die erstere sah den Urenkel ihres gelieb ten Helmut in ihm: denn es hatte sich inzwischen herans gestellt, daß er es in der Tat war. Robert hatte Nachfor schungen angestellt, und aus diesen hatte sich ergeben, daß fener Helmut Kenzinger ein bedeutender Sänger und Kom ponist und Roberts Urgroßvater, einst Tante Sabines Bräutigam gewesen war. Dem Mimen flicht die Nachwelt keine Kränze, und so wäre sein Name und sein Andenken fast erloschen gewesen, wenn sich nicht einige Briefe und Papiere unter dem Nachlaß von Roberts Vater gefunden hätten. Dieses Zusammentreffen war ein sehr seltsames, um so mehr, als ein anderes Glied der Wolfsburger sich mit der Familie Kenzinger verbunden hatte: Diethelms Frau und Sentas Mutter war eine Enkelin jenes Helmut Kenzinger gewesen. Dieses trug dazu bei, die drei Menschen fest zu verbin den. Tante Sabine half Robert mit Geldmitteln ans, und dieser schrieb begeisterte Briefe, daß er nun in den Stand gesetzt sei, sein hohes Ziel zu erreichen. „Wenn Du nur auch erst so weit wärst." Das war stets der Endrefrain seiner Episteln an Senta. Für Senta hieß es jedoch vorläufig nur: Geduld haben. „Geduld, Geduld, mein Engelchen," predigte auch die Alte. Eines Tages hatte Senta sich länger als gewöhnlich bei Tante Sabine aufgehalten. Sie hatte vergessen, daß Fräu lein von Rupert sie zu dem gewohnten Spaziergange zu einer bestimmten Stunde erwartete. Diese obligaten Spa ziergänge waren ihr höchst zuwider, und sie entzog sich ihnen nur zu gern, ungeachtet dessen, daß sie die Dame dadurch noch mehr gegen sich einnahm. Diesmal war es aber nicht Absicht gewesen: sie hatte es einfach vergessen. Es fiel ihr erst wieder ein, als sie im Begriff war, die Tür nach ihrem Zimmer zu öffnen und Fräulein von Rupert ihr plötzlich entgegentrat. Sie fuhr nun doch ein wenig er schreckt zurück. Das Gesicht Fräulein von Ruperts zeigte diesmal nicht den. gewohnten sutz lächelnden Ausdruck Die Lippen waren verzogen, und ein strenger, durchdringender Blick traf das junge Mädchen. Ohne ein Wort zu sprechen, trat sie in Sentas Zimmer zurück, ließ diese ebenfalls eintreten und schloß danach die Tur. Diese stillschweigende Manipulation hatte etwas Un heimliches, Bedrückendes. „Ich warte bereits seit einer Stunde auf Sie," nahm sie endlich das Wort, „und obgleich ich solche Rücksichtslosig keit von Ihnen ja bereits gewöhnt bin, möchte ich heute doch endlich einmal klar sehen." Senta war durch das gänzliche Fallenlassen der gewohn ten süßfreundlichen Maske bei ihrer Ehrendame etwas ver wirrt, aber nur im ersten Augenblick. „Ich bedauere, daß Sie warten mutzten," erwiderte sie nach kurzer Pause, „ich hatte den Spaziergang total ver geßen." „Vergessen — natürlich wie immer die alte Ausrede, mein Kind. Damit speisen Sie mich jedoch nicht mehr ab. — Vergessen — worüber? Das will ich wissen. Ich bin für Ihr Tun und Lasten verantwortlich, und Sie haben mir daher ohne Umschweife Rechenschaft davon zu geben." Senta war abwechselnd rot und blaß geworden. Bei den letzten Worten bäumte es sich wild und trotzig in ihr auf. „Nein — darüber bin ich Ihnen keine Rechenschaft schul dig. Ich gehe keine unrechten Wege und — haste das ewige Beobachtetwerden." Fräulein von Ruperts Nasenspitze wurde gelblich-weiß, während die Augen nahezu grün schillerten, aber sie hatte sich noch in der Gewalt. „Es kommt hierbei wohl nicht darauf an, was Sie — hasten. Sie drücken sich gern in krassen Worten aus, doch sage ich Ihnen immer wieder, daß dergleichen einer Kom- jeße Wolfsburg wenig ansteht. — Meine Pflicht zwingt mich, Aufschluß von Ihnen zu fordern, und wenn Eie sich noch länger hartnäckig weigern, ihn mir zu geben, müßte ich mich veranlaßt sehen, dem Herrn Grafen Mitteilung davon zu machen." Senta zuckte zusammen, und das Blut stieg ihr zum Herzen. „Tun Sie. was Ihnen beliebt. Cs wäre nicht das erste Mal. daß Sie mich bei — dem Herrn Grafen verleum deten." „Komtesse Senta, ich mutz doch sehr bitten, daß Sie Ihre Worte wägen!" ries sie, ihre vornehme Ruhe ver geßend, mit zornsprühenden Augen. „Wie sollte ich es sonst nennen?" fragte Senta gleich mütig. „Glauben Sie, ich merkte es nicht längst, daß Sie mich bei jeder Gelegenheit als ein räudiges Schaf dar stellen? Aber fahren Sie nur so fort — ich — mache mir gar nichts daraus — wirklich gar nichts." Zu dieser energischen Bekräftigung standen die Tränen, die in ihre Augen traten, in seltsamem Widerspruch. Fräulein von Rupert sah sie nicht. Sie war bei den Worten ihres Zöglings tief erblaßt, und ihre Stimme zit terte erregt. „Ich bin es in meiner langjährigen Praxis bisher nicht gewöhnt gewesen, daß man mir so, wie Sie soeben, zn begegnen wagte, und ich will mir auch niemals nachsagen lassen, daß ich mir von einem — Kinde Vorschriften machen, meine Handlungen kritisieren ließe Ich habe ver sucht, Ihren starren Eigensinn durch Güte und Nachsicht zu brechen. Meine Geduld hat jetzt ein Ende. Mögen Sie also die Folgen Ihres heutigen Benehmens tragen." Sie öffnete die Tür und rauschte hoheitsvoll hinaus. Senta sah ihr mit gemischten Gefühlen nach. Weder Reue noch Furcht war es, was sie empfand, sondern etwas ganz seltsam Bangendes. Sie schüttelte es jedoch energisch ab und beschloß, Ruth Degenhart, die sie einige Tage nicht gesehen hatte, zu besuchen. Sie nahm Hut und Schirm und eilte in den Park hinaus. Es war ein herrlicher Maientag. Um sie herum sproßte und grünte es, ein tiefblauer Himmel spannte sich über sie ans, und die Vögel sangen, die Nachtigall schlug. Da ging ihr das Herz aus Vergessen war die vorangegangene un liebsame Szene. Wie eine echte Künstlernatur empfand sie das Berauschende, das im einsamen Waldfrieden liegt, in dem einsamen, stillen Wandern durch grüne Auen, am Waldessaum entlang, in der weichen, warmem Frühlings- luft. Nach halbstündigem Wandern hatte sie das idyllisch ge legene Pfarrhäuschen erreicht. Sie öffnete die Pforte und trat in den Garten. In der Laube saß ein Mann, den Kopf tief über ein Buch gebückt, mit dem Rücken nach ihr zu. „Guten Tag, Herr Pfarrer," rief sie mit Heller Stimme und trat an den Eingang der Laube. Der Mann wandte sich um, und Senta machte betroffen einige Schritte rückwärts. Das war nicht der liebe, weiß haarige Kopf des alten Pfarrers, sondern ein junges, fri sches Gesicht mit langen, blonden Haaren. „Verzeihung, ich irrte mich," sagte Senta und wollte sich zurückziehen. Doch der junge Mann war schon aufgc- standen und hatte sich vor ihr verbeugt. Eine klare, klang volle Stimme schlug an ihr Ohr. „Sie vermuteten augenscheinlich meinen Onkel hier. Ich bin Iohannes Degenhart —." „Herr Degenhart — der Bruder Ruths?" rief Senta überrasch: und sah in das Gesicht des jungen Mannes, wie suchend nach einer Aehnlichkeit mit der Freundin. Und sie fand diese Aehnlichkeit sofort heraus, wenn sie auch nur in dem weichen, sanften Ausdruck der Züge bestand. Er war nicht so hübsch wie Ruth, aber der Kops, ein echter Iohanneskopf, mit dem langen, blonden Haar, wirkte doch. „Ich bin cs," erwiderte Iohannes, sich abermals ver beugend. „Ihre Kenntnis von meiner Existenz beweist mir" daß Sie mir nicht unbekannt sind. Darf ich raten, mit wem ich die Ehre habe?" Senta lachte. „So raten Sie!" „Komtesse Senta Wolfsburg." „Ah — woher kennen Sie mich?" „Ans Ruths Briefen," antwortete er einfach. (Fortsetzung folgt.) Da mal> war sä nicht, c