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Vor Sem Siurm Sie hängen dräuend, tief und schwer, Die ungeheuren Wolkenballen. Gebannt das beiße, dunkle Meer — Kein Ton. lein Hauch, kein leises Wallen. Die nackten, grauen Felsen glühn, Und um sie her der Gluten Zittern: Aus mächtiger Bucht phosphorisch Sprühn, Fernher das Winken von Gewittern. Gespenstisch fast des Schiffes Last, Rings blutlos düstre Angesichter; Matrosen regungslos am Mast, Wie starre Sünder vor dem Richter. Arnold Schloenbach. Das ErleHm's des Geigers. Don Walter Richert. (Nachdruck verboten.) An der felsigen Küste eines kleinen Dorfes am Golf von Biscaya hatte der Geiger Innozenz Salvator seinen schönsten Platz gesunden, der ihm als einer der wunder vollsten galt, die er je gesehen. Von einer Gastspielreise hatte er soeben Erholung für seine angegriffene Gesundheit gesucht, und hier schien sich ihm die beste Gelegenheit zu Vieten. Niemand kannte ihn in diesem Ort Ganz allein, wie er war, lebte er abgeschieden von der Welt deren Post ihn auf seine Anordnung noch nicht einmal erreichte, dahin und genas langsam von den großen Anstrengungen seines Berufes. In den frühen Morgenstunden pflegte er regelmäßig mit seiner Geige einen stillen Platz aufzusuchen von dem aus er die prächtigste Aussicht auf den Golf hatte Hoch gereckt ragte der Fels aus dem Wasser. Zu seinen Füßen sprühten und verzischten die Wogen, die herangerollt kamen, unermüdlich in einem ewigen Rhythmus, der seine empfind same Seele in starke harmonische Schwingungen brachte. Hier lebte er nur seiner Kunst, seiner Geige der er wie einem vertrauten Menschen seine Erlebnisse mitteilte und der er wundersam klingende Antworten entzauberte. Versunken in seine Phantasien, saß er meist auf einem Stein und strich den Bogen über die Seiten, so weich, so traumhaft zart, daß ihn sein Spiel immer mehl Hinriß und er, sich selbst vergessend, den tieferen Empfindungen seiner Seele nachspürte. An einem Morgen war es. da schrak er aus seinen Träumereien empor Aus de: Tiefe herauf drang fassungs loses Schluchzen, ohne daß er aber jemanden erspähen konnte. Er legte das Instrument auf die Erde und begann, die Fellen hinabzusieigen, um den Menschen, der dort in Leid zu vergehen schien, zu suchen. Das Geröll rieselte unter seinen Tritten und rollte polternd hinab. Plötzlich sah er. wie sich eine schwarz gekleidete Frauengestalt erhob und. während sie seiner an sichtig wurde, wie gesagt entfloh. Angstvoll schaute sie mehrmals um sich und lief dann immer weiter, bis sie entlich an einer Biegung des Strandes entschwand Ueberrascht und nachdenklich schaute Innozenz Salvator ihr nach. Er vermochte sich den Fall nicht zu erklären Aber die Lust am Spiel war dahin, und langsamen Schrit tes ging er in den Ort zurück, wo die Fischer und ihre Frauen aerade ihre Netze ausbcsierten oder sie zum Trocknen in die Sonne hängten, indem sie schwermütige Melodien sangen. Obwohl ihn der Vorfall sehr beschäftigte, fragte er den noch niemanden nach der sonderbaren Frau denn er liebte es nicht, seine eigenen Erlebnisse mitzuteilen Seltsam berührt wurde er aber am folgenden Tage, als er die gleiche Frau wieder an derselben Stelle entdeckte, nachdem er ebenfalls sine Weile auf seiner Geige gespielt hatte. Auch diesmal hörte er ihr schluchzendes Weinen: auch diesmal floh sie angsterfüllt den gleichen Weg am Strand entlang. Er hätte ihr folgen können, aber eine ungewisse Scheu hielt ihn davon zurück Die Ursache war ihm selbst nicht klar, aber er hatte das Gefühl, daß er nicht folgen durfte Mehrere Tage hindurch hatte er das gleiche Erlebnis. Ja. wenn er jetzt morgens aus dem Orte schritt dann war es stets in der Erwartung, daß sich die gleichen Vorgänge wieder ereignen würden. Es war ein stiller Tag. Kein Windhauch regte sich. Das Meer lag still und glatt in seiner spiegelnden Fläche. Die aufgcgangene Sonne erhellte und erwärmte die Land schaft, die sonst so einsam dalag mit ihrem Sand, den Felsen und dem Meer. Innozenz Salvator war heiter gestimmt. Eine Helle Fröhlichkeit ersütlte seine Sinne, und so kam es, daß er heute auch nur freundliche Melodien fand und endlich seine Geige in jubelnden Tanzweisen er tönen ließ. In seiner glücklichen Eehobenheit beschloß er, die selt same Unbekannte mit seiner singenden Geige aufzusuchen. Welch dunkles Schicksal sie auch haben mochre, er war über zeugt, daß es seinem Spiel gelingen würde, die unglückliche Frau aufzuheitern. Wohl machte es ihm einige Anstrengung, den Bogen zn streichen, während er den steilen Abhang hinunterkletterte. Doch sein Wille überwand die Schwierigkeiten. Seine Ahnung hatte ihn nicht enttäuscht. Beim Näher kommen sah er die Frau auf den Steinen sitzen und mit erwartungsvollen Augen auf das Meer Hinausschauen. Es war ein schmales, blasses Antlitz, das sich ihm dar bot. Scharfs Falten liefen um Nase und Mund Die Stirn war mit feinen Runen durchzogen. Ihrer Kleidung und dem Aussehen nach mußte sie guten Ständen angehören, denn alles an ihr deutete auf eine gediegene Vornehm heit hin. Sie beachtete sein Näherkommen nicht, schien auch gar nicht zu bemerken, daß er neben ihr stand und sie nun sein Spiel ganz nahe hären konnte. „Nun kehren sie zurück," flüsterte sie immer wieder. „Nun kehren sie zurück." Und dann lachte sie glücklich. Innozenz konnte es nicht fasten. Der Bogen wollte sei ner Hand entsinken, und nur mit Mühe spielte er die Melodien weiter, um sie nicht zu erschrecken. „War sie wahnsinnig?" fuhr es ihm durch den Sinn. Das Bild, das er sah, sprach genug. Es konnte sich nur nm einen Menschen handeln, besten Sinne durch irgendein Ereignis gestört worden waren. „Madame," flüsterte er leise, ohne sein Spiel zu unter brechen. Sie wandte ruhig den Kopf und sah ihn mit großen, flackernden Augen an, die deutlich ihre Krankheit verrieten. „Monsieur Dillier," redete sie ihn mit ihrer etwas herben Stimme an. „Nicht wahr, nun sehen Sie selbst, daß sie zurückkehren. Mein teurer Freund, mein Gatte und meine Kinder. Gaston und Renard. O, ich werde sie wieder umarmen können, die Teuren. Ich ipußte es, sie sind nicht ertrunken. Der häßliche Hesnard hat es mir erzählt. Hier, sagte er, ist das Schiff zerschellt Hier sind sie umgekommen, so sagte er. O, dieser Hesnard!" Sie ballte ihre seinen Hände und hob sie drohend empor. Erschrocken von diesem Bild des Grauens, trat Innozenz ein paar Schritte zurück. Die Hände ließ er sinken. Er konnte nicht mehr spielen. „Spielen Sie, mein teurer Freund, es ist mein Freuden tag. Wiedersehenstag ist heute!" ..Madame," sprach er nochmals, bis ins innerste er griffen. Da ereignete sich der grausigste Augenblick seines Lebens. Die Augen der Frau öffneten sich weit; sie schien zu erkennen, daß er nicht der war, für den sie ihn hielt. Ihre Blicke irrten über den Horizont, wo kein Schiff, kein Boot zu erschauen war. „Nie kehren sie zurück," schrie sie, „nie, nie!" Es war ein fürchterliches Schreien, das sie ausstieß. Und dann rannte sie wie gehetzt den Strand hinunter, schwang sich auf einen Fels und stürzte sich von dort in die Flut, die gerade an dieser Stelle tosend wirbelte und zu kochen schien. S nell entschlossen eilte der Geiger ihr nach. Aber als er mit den Wellen kämpfte, war sie schon weit abgetrieben. Die Wogen warfen ihren Körper auf und ab und schleu derten die in tiefer Todesnot rufende Frau auf eine Klippe. Die nächste Welle aber zog sie schon wieder hinab, und sie kam nicht mehr zum Vorschein. Von seiner vergeblichen Neitungsmühe entkräftet, suchte Innozenz Salvator wieder das Ufer zu erreichen. Müde wanderte er in das Dorf zurück. Schon am gleichen Abend fuhr er mit dem Zuge fort von der Küste, nachdem er im Dorfe von dem Vorkommnis Mitteilung gemacht hatte. Er floh den Ort, der ihm ein solch schreckliches Erlebnis gebracht hatte.