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(Schluß folgt.) Gewanöelies Reissglück. Von Franz Holl meier. (Nachdruck verboten.) Mit froher Miene und leichtem Herzen hatte der junge Bibliothekar Dr. Ernst Hofmüller sich soeben von seinem Vorgesetzten verabschiedet, um den lang geplanten Urlaub für eine längere Studienreise anzutreten. Sechs schöne Reisewochen lagen vor ihm und die Vorfreude auf all das Neue und Interessante, das ein solcher Ausflug in die weite Welt ihm bringen würde, erfüllte ihn so ganz, daß er wie im Traum durch die Straßen zum Neiscburcau schritt, um sich die Fahrkarte zu bestellen. Da wäre es ihm um ein Haar passiert, daß er die hübsche junge Dame über sehen hätte, die im Vorübergehcn mit unverhohlenem Er staunen die schönen dunklen Augen zu seinem strahlenden Gesicht erhoben hatte. Gerade zur rechten Zeit noch wurde er ihrer gewahr, nun aber war seine Freude über die Be gegnung um so augenfälliger. „Fräulein Marie! — Wie hübsch, daß ich Sie vor meiner Abreise noch sehe. Ich hatte mir ja fest vorge nommen, Ihrer verehrten Frau Mutter noch einen Besuch zu machen, ehe es in die weite Welt hinausgeht, aber ich fürchte beinahe, daß die Vorbereitungen mir keine Zeit dazu lassen werden. Eine Urlaubsreife, wie ich sie vor mir habe, ist doch schließlich keine Landpartie, für die man nur eben den Rucksack zu packen braucht." Dabei lachte er in beinahe kindlicher Vergnügtheit und war offenbar herzensfroh, einen Menschen vor sich zu haben, zu dem er von dem einzigen reden konnte, das alle seine Gedanken erfüllte. Und Marie Berger, so blaß und ernst sie auch eben noch ausgesehen hatte, tat ihm den Ge fallen, mit freundlichem Interesse auf die großartigen Pläne einzugehen, die er im Wciterschreitcn vor ihrem geistigen Auge entrollte. „Mit Kopenhagen fängt es an, dann über Stockholm nach Christiania, von da hinauf bis zum Nordkap und schließlich auf dem Dampfschiff längs der herrlichen skan dinavischen Küste heimwärts. Finden Sie nicht, daß cs eine köstliche Reiseroute ist, Fräulein Marie?" „Ja, mein Papa, der auch einmal oben im Norden gewesen ist, hat mir noch kurz vor seinem Tode mit wahrer Begeisterung von den empfangenen Eindrücken erzählt. Aber Sie müssen ja ein Großkapitalist geworden sein, Herr Doktor, um sich so ausschweifende Genüsse gestatten zu können." Es war gewiß nur als harmloser Scherz gemeint, aber der junge Gelehrte nahm alles, was mit seinem groß artigen Reiseprojekt zusammenhing, heilig ernst. „Wissen Sie, wie lange ich an den sechshundert Mark gespart habe, die mich diese Reise kosten darf? Drei volle Jahre! Zum Oberbibliothekar rücke ich ja erst im Herbst auf und bis dahin ist es mit den Einkünften verzweifelt knapp. Aber die Nordlandfahrt ist das leuchtende Ziel, das mir schon in meiner Studentenzeit als der Preis sür manche harte Entbehrung und manche saure Mühe vor Augen stand. Groschenweise sind die sechshundert Mark zusammengekommen. Dafür tausche ich nun auch mit keinem König." „So wünsche ich Ihnen von Herzen glückliche Fahrt und recht viel Vergnügen. Sie werden nach Ihrer Heim kehr gewiß eine Menge interessanter Dinge zu erzählen haben." Sie hatte ihm zur Verabschiedung die Hand entgegen- gestreüt und er ergriff sie mit Wärme. Aber das fröhliche Dankeswort, das er schon auf den Lippen gebabt hatte, blieb ungesprochen, denn er sah erst jetzt, wie schmerzlich ge zwungen ihr Lächeln war und daß ihre Augen voll Tranen standen. „Mein Gott, Fräulein Marie, ich schwatze hier lang und breit von meinem Urlaubsglück, während Sie viel leicht Kopf und Herz voll ganz anderen Dingen haben. Sie sehen so niedergeschlagen aus, ist Ihnen denn etwas Schmerzliches widerfahren? Sie haben doch hoffentlich keine schlechten Nachrichten über das Befinden Ihres Bru ders aus dem Sanatorium?" Das junge Mädchen schüttelte den Kopf. Sie wollte gewiß noch immer tapfer sein, aber sic konnte doch nicht hindern, daß die verräterischen Tropfen jetzt auch an ihren Wimpern zitterten. „Nein. Der leitende Arzt hat der Mama vor einer j Woche geschrieben, daß in Brunos Befinden endlich eine « Wendung zum Besseren eingetreten ist. Der Krankheits- ! Prozeß in den Lungen sei anscheinend zum Stillstand ge- I kommen und es bestehe beinahe sichere Hoffnung auf volle > Genesung, wenn die begonnene Kur wenigstens zwei Mo- - nate lang fortgesetzt würde. Das aber ist leider unmög- ! lich. Es war schon unsäglich schwer, die bisherigen Kosten > aufzu bringen. Nnn sind unsere Hilfsquellen völlig er- , schöpft." Sie atmete schwer. Nus jedem Zuge ihres lieben Ge- , sichtchens sprach der tiefste Kummer. Aus der fröhlichen I Miene des Doktors aber war plötzlich eine höchst bestürzte j geworden. „Ja, das — das ist schrecklich — das muß doch zu ! machen sein," stammelte er. „Wenn man sich vielleicht an I eine Stiftung wenden würde? Ihr Vater war doch ein j sehr verdienstvoller Schriftsteller " Wieder antwortete ihm ein mutloses Kopfschütteln. ! „Es scheint, daß seine Verdienste sehr rasch vergessen I worden sind. Ich bin überall gewesen, wo ich glaubte, I auf Beistand hoffen zu dürfen, und überall hat man mich ! mit Worten höflichen Bedauerns abgewiesen. Soeben ü habe ich meine allerletzte Hoffnung begraben und nun I bleibt uns nichts anderes übrig, als meinen Bruder zu- l rückzuholen." Doktor Hofmüller geriet in große Erregung. I „Aber das darf — das kann doch nicht sein," wieder- i holte er immer wieder. „Dieser hochbegabte, hoffnungs- I volle junge Mann. Er muß doch der Trost und die Stütze ! Ihrer Mutter werden." ! „Wenn er ihr genommen wird, sinkt sicherlich auch > meine Mutter ins Grab. Es ist doch schließlich alles, was I wir besitzen." Noch ein kleines Stück gingen sie schweigend neben- ! einander her. Dann sagte der Doktor, wie wenn ihm Plötz- I lich ein erleuchtender Einfall gekommen wäre: „Sie dürfen trotzdem die Hoffnung noch nicht auf- . geben, liebes Fräulein Marie. Ich erinnere mich eben an ! gewisse ausgezeichnete Beziehungen, die ich zu dem Kurator I einer für die Hinterbliebenen verdienstvoller Künstler und I Schriftsteller bestehenden Stiftung habe. Da ist bestimmt I etwas zu erreichen. Ich mache mich unverzüglich auf den i Weg und spätestens heute abend bringe ich Ihnen I Bescheid." Mit einem Blick voll innigster Dankbarkeit sah das , junge Mädchen zu ihm auf. ; „Sie sind sehr gütig, Herr Doktor — aber könnte ich I nicht selbst " „Nein, nein," wehrte er hastig ab. „Der Erfolg wird . sicherer sein, wenn ich mit dem Herrn rede. So ein alter ; Geheimrat muß von seiner schwachen Seite ungefaßt wer- i den. Und darauf verstehe ich mich ausgezeichnet. Auf I heute abend also und Sie dürfen Ihre Frau Mutter ge- ! tröst darauf vorbcreiten, daß ich gute Botschaft bringe." I „Aber Ihre Reisevorbereitungen, Herr Doktor —" Er hatte ihr schon die Hand gedrückt und sich eilig nach I der anderen Seite gewendet. ! „Oh, damit werde ich noch bequem fertig!" rief er im i Fortgehen zurück. „Schlimmstenfalls fahre ich einen Tag i später oder " Der Rest verlor sich in einem Gemurmel, das Marie ' nicht mehr verstand. ; Um die Abendzeit klang richtig die Glocke an der Woh- i nungstür der Schriftstellerswitwe und Fräulein Marie I war es, die dem Dr. Hosmüller auftat. Er sah jetzt wieder ; ebenso vergnügt aus wie bei ihrer Begegnung am Vor- ; mittag; sie aber zog ihn zunächst in ein Nebengemach i und sagte: „Ich habe meiner Mutter noch nichts gesagt, weil ich ! nicht Hoffnungen in ihr erwecken wollte, die möglicher- ; weise unerfüllt bleiben würden. Wenn Sie also keinen > Erfolg gehabt haben " „Oho, liebes Fräulein Marie, sehe ich denn aus wir z ein Windbeutel, der leichtfertige Versprechungen macht? ; Es ist alles in bester Ordnung. Sechshundert Mark, — i das wird doch Wohl für den Augenblick ausreichen, I nicht wahr?" !