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„Aber Mittwoch müssen Sie doch immer in der Matinee spielen und könnten also nicht zu Hause sein./ sagte er. Gwenda betrachtete ihn nachdenklich. „Nein, das stimmt/ sagte sie. „Laden Sie sic also zu Sonntag nachmittag ein. Sie wird jedenfalls an keinem anderen Tage kommen können, da sie doch in einem Warenhaus tätig ist, und ich möchte sie auch ganz gern sehen/ Fräulein Millie Farland war eins junge Dame, die fatalerweise in der Öffentlichkeit eine Rolle gespielt hatte. Diese Erfahrung wirkt auf manche Menschen wie ein Gist. Ein Trinker oder eine Morphinistin sind leichter zu heilen als jemand, der nicht über viel Verstand verfügt und seinen Namen einmal in einer Zeitung gedruckt ge sehen hat. Die Sucht, wieder von sich reden zu machen, ist unheilbar. Ein solcher Mensch fühlt sich nur glücklich, wenn er der Mittelpunkt einer sensationellen Zeitungs nachricht ist. Fräulein Farland war bei einem geplanten Waren hauseinbruch in der Zeitung als „Heldin" erwähnt worden und in dem Bericht war ihre Handlungsweise auf das wärmste gelobt worden. Er hatte folgende Über schrift gehabt: „Geschickte Auslieferung von Warenhaus diebe« durch ein hübsches junges Mädchen." Ihr Bild, wie sie den Gerichtssaal betrat und ver ließ, war in allen Zeitungen, und auch ein Kino stellte sie dar. Jetzt hatte sich ein waschechter Marquis auf offener Straße für sie geschlagen! Ein richtiggehender Marquis hatte sich ihretwegen verhaften lassen und hatte sie nach Hause begleitet! Fünfzig junge Damen schliefen in ihrer Etage bei der Firma Belham u. Sapworth und fünfzig in der Etage unter ihr, aber keines von diesen jungen Mädchen blieb an jenem Abend in Unkenntnis der Tatsache, daß sich der hochwohllöbliche Marquis von Pelborough für Fräulein Farland in der Regentenstraße geschlagen hatte. Am nächsten Morgen ging sie ganz früh auf die Straße hinunter, um eine Zeitung zu holen; denn sie hegte nicht den leisesten Zweifel daran, daß man ihrem interessanten Abenteuer eine ganze Spalte widmen und dafür einen jener Berichte über solche unwichtigen Gegenstände, wie die Sitzungen des Gerichtshofes oder die Reden des Ministerpräsidenten, wesentlich abkürzen würde. Im Geiste hatte sie bereits fettgedruckte Überschriften gesehen, wie „Ein Marquis eilt zu Hilfe einer bildschönen Waren hausverkäuferin, die von einem rohen Kerl überfallen wird"; denn Fräulein Farland war sich nicht im geringsten im unklaren über ihre Reize. Und die ganze Sache wurde nicht mit einem Wort erwähnt! „Wahrscheinlich hat er den Zeitungen Anweisungen gegeben, die Sache totzuschweigen/ sagte sie bei dem eiligen gemeinsamen Frühstück um halb neun Uhr. „Natürlich will er nicht in eine solck)e Skandalaffäre ver wickelt sein und will anscheinend auch nicht, daß mein Name erwähnt wird. Er ist furchtbar fein! Wie er den Hut vor mir abnahm! Ein Vergnügen war es, das zu sehen!" „Na, paffen Sie auf, Mille, es dauert nicht lange und Sie sind eine Marquise!" rief ein freches kleines Lehr mädchen. Aber Fräulein Farland, die zu den älteren An gestellten gerechnet wurde, hielt es für unter ihrer Würde, auf diese Bemerkung einer so weit unter ihr stehenden Person zu antworten. Und dann erhielt sie einen Brief von Bubi, der in seiner großen Handschrift „Pelborough" unterzeichnet war. Dieses Ereignis versetzte sie vollends in Ekstase. Am Abend dieses Tages gab es kein Mitglied des Personals von dem ersten Abteilungschef bis zu dem jüngsten Lehrling herunter, der nicht erfahren hatte, daß Fräulein Farland am Sonntag zum Nachmittagstce bei Lord Pelborough eingeladen wär, daß er in seinem priese an sie die Hoffnung ausgesprochen hatte, daß tue Auf regung von neulich ihr nicht geschadet hätte, daß er das Wetter für sehr veränderlich hielte und schließlich, daß er „in aufrichtiger Hochachtung Ihr ergebenster Pelborough" wäre. „Das ist es, was mir so an ihm gefällt — seine Auf- j richtigkeit —," gestand Fräulein Farland ihren um sie » versammelten Freunden und Freundinnen. „Ein Mann ! wie Lord Pelborough würde niemals lügen; das ist über« I Haupt das schöne bei einem wirklichen „Gentleman", daß er stets aufrichtig ist." So fand sie sich am Sonntag nachmittag bei Lord « Pelborough ein. Gwenda war zwar sehr nett, brachte I sie aber zuerst etwas aus der Fassung, weil sie sie für > die „Freundin" seiner Lordschaft hielt. Was Bubi betraf, war er so natürlich und herzlich, » sprach mit ihr über den Boxkampf und das Wetter (sie « interessierte sich zwar weder für das eine noch für das I andere) und er war nicht die Spur befangen. j Nach und nach überwand sie ihre Schüchternheit und i verzichtete auf das irritierende Hüsteln, mit dem sie bis I dahin jeden Satz eingeleitet hatte. Bald fühlte sie sich so I zu Hause, daß sie ihren Gastgeber mit „Bubi" anredete. ! Bubi wurde ganz rot darüber, verschluckte sich, aber er ! fand es sehr niedlich. Gwenda jedoch wurde weder rot I noch verschluckte sie sich, dafür fand sie es abscheulich. Im Munde dieses Mädchens verlor, nach ihrem Ge« » fühl, dieser so traute Kosename seinen Reiz und klang i nur geschmacklos. Bubi begleitete dis junge Dame nach Hause. „Sie werden mir schreiben, nicht wahr, Bubi?" fragte I Millie Farland beim Abschied und ließ das bezaubernde I Schmollmündchcn, das sie zu Hause bis zur Vollendung I vor dem Spiegel einstudiert hatte, das übrige tun. „Schreiben?!" fragte der erstaunte Bubi. „Ach, hm, ! ja, natürlich, ja, natürlich werde ich schreiben . . . hm, I worüber soll ich schreiben?" „Ich möchte Sie doch näher kennenlernen, können Sie ; das nicht verstehen, Bubi?" sagte sie und spielte mit dem » obersten Knopf seines Überziehers. „Ist der Knopf lose?" fragte Bubi besorgt. „Aber nein," lachte sie. „Doch schreiben werden Sie i mir, nicht wahr? Ich fühle mich so einsam hier und Sie ' können sich nicht vorftellen, wie Wohl mir dieser Nach- I mittag in einem trauten Heim getan hat — bei Ihnen," I fügte sie hinzu und blickte schüchtern zu ihm auf. I Obgleich Bubi diesen schmachtenden Augenaufschlag i schon hundertmal in Kinos gesehen hatte, erkannte er ihn I jetzt doch nicht wieder. Sie aber hatte diese und viele » andere.Künste gesehen und sich gemerkt. „Wie fanden Sie Fräulein Farland?" fragte Bubi, ! als er wieder nach Hause kam. „Ich finde, daß sie ein sehr hübsches kleines Mädchen j ist," sagte Gwenda. „Nicht wahr?" entgegnete Bubi erfreut. „Die arme i kleine Seele fühlt sich so einsam hier. Es gefiel ihr bei I uns so gut — sic bat mich übrigens, an sie zu schreiben," fügte er hinzu. Gwenda ging ans Fenster und sah hinaus. „Es hat angefangcn, zu regnen," sagte sie. „Ich weiß," erwiderte Bubi. „Es regnete schon, als ! ich nach Hause kam. Aber sagen Sic mal, Gwenda, wor- ! über kann ich ihr schreiben?" Sie wandte sich vom Fenster ihm zu. „Welche Frage, Bubi!" sagte sie und ging zur Tür. » „Aber ich weiß wirklich ..." „Schreiben Sie ihr über Petroleum," schlug Gwenda, I die schon auf der Schwelle war, vor, „und über Box- I kämpfe, aber ja nichts Persönliches, weder von sich noch j von ihr. Das ist der Rat einer erfahrenen Frau." „Um Gottes willen!" rief Bubi, „sie wird sich doch I nicht für Petroleum interessieren!" Aber Gwenda war schon fort. Am nächsten Tage versuchte er, einen Brief an Frau- ! lein Farland zu schreiben, merkte aber bald, wie schwierig I es war, mit einer Dame, deren Geschmack und Interessen > man nicht kennt, zu korrespondieren. Glücklicherweise er- » sparte Fräulein Farland ihm die Mühe, indem sie ihm ! zuerst schrieb. (Fortsetzung folgt.)