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Abendläuten. Die Sonn ist Hinterm Wald hinab — Nun läuten sie den Tag zu Crab; Ich wandle noch im Tale. Die Abendschauer regen sich, Die Wipfel leis bewegen sich, Als wär's zum letzten Male. Der kühle Tau, der niedertaut, Dazu der ernste Elockenlaut — Auch mich macht's innerst beben: Ist's auch mein Totenglöcklein nicht, Ist doch das Aug, das eben bricht. Ein Stuck von meinem Leben. Siegfried Kapper. ZLWN. Skizze von Georg Persich. (Nachdruck verboten.) Juan, der Orangeoerkäufer, hatte nicht den besten Stand in der Avenida, aber er hatte seinen früheren besse ren an der Straßenkreuzung freiwillig aufgegeben. Er wollte die Straßenkreuzung hinaufsehen können, die sich von der Höhe der Villenstadt'zur Tiefe der am Meere hingelagerten Altstadt herabscnkte. Von dort hinunter kamen morgens die Wagen, in denen die Herren saßen, die nach ihren Kontoren und Amtsstu ben fuhren, von dort kamen später auch diejenigen mit den vornehmen Damen, die in den feinen Läden der Stadt ihre Einkäufe machen wollten. Es war eine ziemlich steile Straße und die Wagen mutzten scharf bremsen, aber jetzt waren es ja meist Autos, und da genügte ein Hebeldruck Und das eine, rote Auto, erkannt Juan schon, wenn es ganz hinten auf der Höhe aufleuchtete und noch so klein wie ein Spielzeug war. Sein Herzschlag ging rascher, sah er es kommen, sah er einen Hellen Hut, einen Spitzenschirm. Die Senorita! Wie schön sie war! So viele schöne Damen fuhren an ihm vorbei; sie war die schönste Manchmal trug sie auch nicht den Hellen Hut, sondern die schwarze Mantilla. Dann lenkte nicht der Mulatte, sondern sie selbst das Auto Und einmal hatte sie auch schon bei ihm gehalten und ihm Orangen abgekauft. Das Geld, das sie ihm gegeben, bewahrte er sich auf als iützes, heiliges Andenken. Seitdem grüßte er sie auch und war glücklich, wenn sie ihm durch ein Kopfneigen dankte. Aber nun —? Juan fühlte sich unglücklich. Sein Herz pochte noch rascher, wenn er das rote Auto in der Ferne erblickte, doch ein dumpfer Druck war in seiner Kehle und seine Züge beschattete Traurigkeit Die Senorita fuhr fast nie mehr allein, ein junger Mann saß neben ihr, ein hübscher, eleganter junger Mann, und sie waren beide so mit sich beschäftigt, lachten und schwatzten, daß die Senorita schon wiederholt seinen Gruß übersehen und nicht erwidert hatte. Christine, die alte Melonenhändlerin, kannte alle die reichen Leute oben in der Villenstadt, ihre Töchter waren dort bedienstet und sie besuchte sie öfter, und von 'hr er fuhr Juan, daß die junge Dame Inez, die Tochter des De putierten Olivera sei und der junge Herr ihr Verlobter. Bald würde die Hochzeit gefeiert werden. Juan hatte kaum einen Schmerzensschrei unterdrücken können Warum war er arm? Warum liebte Inez Olivera nicht ihn? Warum konnte sie nicht sein Weid werden? Er liebte sie doch! Keiner konnte sie so lieben! Und den Glücklichen, der sie bald besitzen würde, Hatzte er Hoffnungslose, sehnsüchtige Liebe zehrte an ihm. „Bist du krank, Jungchen'.'", fragte die alte Christine. Sie nahm Anteil an dem fleißigen, braven Burschen und wünschte, daß er ihr Schwiegersohn würde. Was war das heute wieder für ein herrlicher Tag! Wie blau der Himmel und wie strahlend die Sonne! Und doch nicht zu warm Ein leichter Wind trug den erfrischen den Hauch des Meeres herüber und die Kronen der schlan ken Palmen in der Avenida neigten sick in sanfter Be wegung. Und noch zahlreicher als sonst kamen die Gespanne ans Autos von der Höhe herab. Es würde bei dieicin Seewind ja selbst unten in der Stadt erträglich und ongenebm sein. Auch der rote Wagen, den Juan so gut kannte, wurde oben sichtbar Aber war es heute nicht ein etwas anderes Rot? Wie Blut erschien es 'hm im grellen Sonnenlicht. Sein Blick blieb darauf gerichtet, sah es näher und näher kommen, größer und größer werden — schneller als je. Und Hupensignale — doch nicht wie Warnungen, nein, wie Angst- und Hilferufe. Das rote Auto beschrieb selt same Kurven, war bald rechts, bald links, überholte die anderen n. toller Fahrt. Steuerte der Bräutigam und wollte er der Braut eine Probe seiner Geschicklichkeit und seines Mutes geben? Die Vigilanten waren auch schon aufmerksam gewor den, winkten mit ihren Stäben. Das Auto raste auf sie zu und sie mußten zur Seite springen, um nicht überrannt zu werden. Die Menschen schrien. Kein Uebermut, kein leichtfertiges Spiel war diese Fahrt, die Bremsvorrichtung mutzte versagen. Und in der nächsten Minute würde das Unglück geschehen, würde ein furchtbarer Zusammenstoß mit den Wagen und Karren an der Straßenkreuzung erfolgen. Madre Dios. Ein Hindernis! Juan warf das Tragholz, an dem er seine schweren Fruchtkörbe trug, quer über die Straße. Der Wagen rollte darüber hinweg. Zwei bleiche, tiefernste Gesichter. Inez mit starrblicken, den Augen, als sähe sie den Tod vor sich. Und wieder ein Aufschrei der Menschen. Der junge Orangenverkäufer hatte sich dem roten Wa gen entgegengeworfen, als könnte er ihn mit Riesenkraft aufhalten. Der Wagen war stärker, riß ihn nieder, schleifte den Körper mit sich, eine kurze Strecke nur, stand dann mit einem Ruck. Rot wie der Wagen war das Blut, das über die Straße floß. Aber noch einmal schlug Juan die Augen auf — al« die schöne Inez neben ihm kniete, seinen Kopf von dem harten Pflaster hob, ihn mit ihren weichen Armen stützte. „O Senorita!", murmelte er. „Senorita!" Und sie wußte, daß sie diesen letzten erlöschenden Blick nie vergessen würde. Von den Atempausen im Leben. Wir erleben es täglich, und man kann annehmen, daß dies immer so gewesen ist — daß wir Menschen begegnen, > die da eilig sind, in allem, was sie tun. Sie gönnen sich keine Ruhe zu einer Freude. Immer tragen sie eine Peitsche bei sich, mit Ler sie sich antreiben: Das ist die Furcht, nicht genug zu-schaffen, die Zeil nicht genügend ausgenutzt zu haben. Für sie existiert kein Frühling mit der Freude über das erste Veilchen, es gibt keinen Sommer für sie und keine Rast unter Heüenrosenlauben und Jas min. Vergeblich hat der Künstler Herbst für sie Bilder von bezaubernder Schönheit in der Landschaft geschaffen. Und ein klarer Wintermorgen mit klaren Rauhreifenfäden an Baum und Zaun reizt sie überhaupt nicht. Mit der keuchenden Last des Tages laufen sie an allem vorüber, über die scheltend, die bewundernd Halt machen vor den Schönheiten göttlicher Schöpfung. Cie wissen's nicht, die Toren, daß des Lebens Lasten leichter werden, wenn man die Hetzpeitsche beiseite legt, die Ueberlasten der Gedanken, es könne nicht genug geschaffen sein, abwälzcn und kleine Tagesfreuden dafür mit sich trägt. Wenn eine Stube Fenster hat, und man verhängt sie, damit keine Sonne hineinkommt, und schließt sie fest vor jedem Luftzug, dann züchtet man künstlich eine verderb liche Atmosphäre. So ist es auch mit dem Menschenherzen: es darf vor frischer Luft und Sonne nicht verschlossen wer den. Weitnaus die Türen und Fenster zum Herzen, damit der Blutstrom frischer durch die Adern geht. Das gibt ge sunden Leib und Seele. Jugend und Jungsein. Kein künstliches Präparat der Welt wird die Menschen vor dem Altern bewahren, die aus ihrem Herzen eine Kammer machen voll altem, verstaubtem Gerümpel. Macht auf dem Gange durch das Jahr Ruhepausen. Nehmt, was die Jahreszeit euch bietet und lernt euch daran freuen: Zu alt ist keiner