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„O bitte, ich war ost draußen, aber die Herren nie da." „Die Arbeit, die Arbeit! Ja, Gräfin Ussy, so sieht die vielgerühmte Freiheit der Männer in der Nähe besehen aus. Ja, Franz — wo ist Herr Wending?" „Ich hab' ihn nicht gesehen, Herr Doktor!" „Schockschwerenot noch mal, der hat heut' ein Talent, den ganze» Abend zu verschwinden!" Franz sah ein wenig skeptisch zu Mehring hinüber, und da mutzte Susanne mit einem Male an das Tete-a-tete vorhin mit der kleinen Rother an der Saaltür denken. „Suchen Sie ihn mal!" Mehring zwinkerte Franz zu. „Ja, gnädiges Fräulein, schon seit Weihnachten wohne ich hier im „Schwan". Ich konnte doch unmöglich während Frau Wendings schwerer Erkrankung im Hause bleiben." Oh, wie ich sie heut' vermisse! Erinnern Sie sich noch unserer gemütlichen Tafelrunde damals in Breslau?" „Na, Gott sei Dank, das ist das erste nette Wort, das ich heut' von Ihnen höre." „So, das ist recht hübsch." „Na, wissen Sie, beim ersten Walzer sind Sie mit Ihren Gedanken überhaupt nicht im Ballsaal gewesen." Er sah ziemlich ostentativ zu Postler hinüber. Susanne errötete. „Und bei den andern Tänzen haben Sie bloß am Tanzen selbst Freude gehabt, und erst jetzt erinnern Sie sich, daß Ihre Tänzer doch Herren sind, die ganz gern mal einen freundlichen Blick, ein nettes Wort von Ihnen ge schenkt bekommen hätten. Na, endlich, Paul!" Ein wenig verlegen setzte sich Wending an den Tisch neben Mehring; Susanne, die an Mehrings anderer Seite saß, merkte deutlich, daß dieser seinen Freund lebhaft mit dem Fuße bearbeitete. „Hier ist nicht alles in Ordnung," dachte sie. Aber dann hatte sie keine Zeit mehr, darüber nachzudenken, sich um das zu kümmern, was sie doch auch interessierte, weil cs mit dem guten, treuen Hiller zusammenhing. Mehring sorgte dafür, daß sie ihre Aufmerksamkeit auf ihn und sein Necken richtete. Ach, wie fröhlich sie lachen konnte! Wie schön das Leben war! Die bewundernden Augen Mehrings und Postlers ließen sie nicht los. Aber dann mit einem Male ein jähes Verstummen. Der Voglersche Diener war an den Tisch getreten. „Um Gott, was gibt's?" Susanne fuhr empor. Sie wunderte sich bloß, daß Frau Vogler so ruhig blieb. „Herzel," sie griff über den Tisch hinüber nach Su- sannes Hand, „erschrick doch nicht so. Ich hab' mir alle zwei Stunden Botschaft bestellt, wie es daheim geht, da mit ich in Ruhe hierbleiben kann." „Es ist alles in Ordnung," rapportierte der Mann. Dann lockten wieder Geige und Klavier. Draußen hatte sich inzwischen der Mond durch die Wolken hindurchgearbeitet; es hatte aufgehört zu regnen. Er stand noch voll und rund am Himmel, als Susanne in Frau Voglers und Wagners Begleitung an Mehrings Arm, Postler zur Seite, hcimging. Es war heut' abend zu nett gewesen. Erst als die Ringe an den Stierköpfen beim Offnen der Tür leise klangen und dann das Glöckchen laut in die stille Nacht hineinschrillte, dachte sie daran, daß sie heut' im Bösen von Tante Mathilde geschieden sei. Und daß es ihr mit dem Zürnen ernst war, merkte sic daran, daß sic heute nicht mit ihr sprach, trotzdem sie durch Susannes Eintritt munter geworden war. Ach, dieser ewige Streit! Konnte denn nichts in Ruhe besprochen werden! Als Susanne am Morgen erwachte, war die Tante schon aufgestanden, ihr Bett leer. Susanne hatte nichts gemerkt. Von wirren Träumen gebannt, hatte sie fest und tief geschlafen. Als sie zum Frühstück ins Wohnzimmer trar, roch es betäubcnd nach getrockneter, frisch gewaschener Wäsche. Mathilde saß emsig stopfend am Fenster. „Fange inn Gottes willen nicht etwa von der Postlerschen An gelegenheit an!" sagte sie. „Tie ist ein für allemal für mich abgetan. Mir summt der Kopf noch von alledem, was ich mit hab' anbören müssen. Franz ist natürlich auf deiner Seite. Das könnt' ich mir eigentlich schon denken. So I ist's ja immer gewesen, wenn Jugend im Haus war." » Neuntes Kapitel. Sacht und unmerklich war der Frühling gekommen. I Zuerst hatte er Schneeglöckchen mitgebracht, dann lichte j grüne Schleier über Strauch und Baum gebreitet und ' schließlich die Wiesen mit Anemonen und Veilchen besteckt. I Frau Wending stand im Vorgarten zum Ausgehen I gerüstet. Der braune, elegante Frühjahrsmantel schlotterte ! um die mager gewordene Gestalt. Das Gesicht sah ein- ! gefallen und grau aus. Unter den Augen lagen tiefe I ' Schatten, um den Mund der Zug eines heißen, leiden- I schaftlich durchgckämpften Schmerzes. ! „Guten Tag, Madame Wending!" Buchhalter Pohl, k das alte Wcndingsche Familienfaktotum, stand auf dem I breiten Fahrweg, dicht am Gartenzaun, der unmittelbar I nach der Fabrik führte. „Ich hab' Sie gerade kommen sehen ! und da konnte ich nicht vorübergehen, ohne Sie zu be- ! grüßen. Wieder auf dem Posten?" „Meinen Sie das im Ernst, Pohl?" „So ganz sind Sie wohl doch noch nicht hergestellt?" « „Nie mehr, Pohl, nie mehr!" „Das wär' noch schöner!" „Sie brauchen mich bloß anzusehen und ich Sie. Da < wissen wir alle beide, woran wir sind." ! „Da haben Sie recht. Ich merk's, daß Sie wirklich I noch nicht ans dem.Posten sind. Das wird aber wieder j werden. Müssen halt was für sich tun. Unser Klima taugt ' nichts für Sie. Selbst über den Wald hinüber kriegen » wir von der Oder her die feuchten Dünste. Sie müssen I halt jetzt fort, fort nach dem Süden, Frau Wending." „Du lieber Gott, was das kostet!" ; „Na, erlauben Sie mal: bis jetzt waren andere dran ' und haben aus der Fabrik gezogen, nun sind Sie an der I Reihe. Na, Fran Wending, bei allem Respekt, den ich l vor Ihnen habe, aber in dem Punkt begreife ich Sie I wirklich nicht." „Wo soll's Herkommen?" „Das wäre mir ganz egal. Da müssen sich jetzt eben I andere mal einschränken. Ich dächte, die Gesundheit ginge I vor, noch dazu die der Mutter. Und das setzte ich durch, ' und wenn 's Donner und Blitz kostete. Na, Fran Wending, I auch bei seinem leiblichen Fleisch und Blut gibt's 'ne i Grenze. Herrjesses, Sie sind doch noch so nötig. Ich j dächte, wir verständen uns. Also nicht wahr, die Reise ' nach dem Süden setzen Sie durch? Versprechen Sie mir ! das, Frau Wending?" „Ich werd' mir's überlegen, Pohl. Aber Ihre Worte j haben mir wohlgetan. Ich danke Ihnen dafür." Sie reichte ihm über den Zaun die Hand. Pohl zog die Mütze. Im Weiterschreiten murmelte er: „Jst's schon soweit f gekommen, daß sie sich über Almosen freut? Dja, zu gut > muß der Mensch auch nicht sein." Frau Wending stand noch u. .ner an den Zaun ge- i lehnt. Ihr graues Gesicht hatte mit einem Male Farbe j bekommen. Also soweit war's schon, daß alle darum wußten, alle, I von dem Streit zwischen Mutter und Sohn, der ihr selbst l doch noch so neu, so überraschend neu war, daß sie noch I immer meinte, sie täusche sich, und nun batte es Pohl mit ' dürren, unverblümten Worten angedeutet. Sie legte die Hände an die Ohren; die schmerzten sie I noch von der lauten, grellen Stimme, mit der ihr Sohn ! eben erklärt hatte, bevormunden lasse er sich nicht, und ! wenn sie das Recht dazu etwa aus der Bestimmung des ! Vaters, daß ihnen die Fabrik zu gleichen Teilen gehöre, ! herleite, so würde er sich mit ihr auseinandersetzen: ent- ! weder zahlte er sie aus oder sie ihn. In letzterem Falle ' suche er sich etwas anderes; vielleicht mit Mehring zu- I sammen; also müsse sie sich entscheiden. Lasse sie ihm aber I seine Ruhe, bliebe alles beim alten. I Krachend hatte er dann die Tür ins Schloß geworfen ! und sie wie versteinert zurückgclasscn. , lForisetzung sotgt.) ;